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Wartungsarbeiten an der Nord-Stream-Pipeline: Droht die Gas-Dämmerung?

Anlandestation der Nord-Stream-Pipeline in Lubmin (Mecklenburg-Vorpommern): Ab Montag beginnen die Wartungsarbeiten


Foto: Hannibal Hanschke / REUTERS

Es ist ein metallisches Rauschen, ein Pfeifen und ein Sirren. Im Nichts, auf einer Halbinsel unweit des Örtchens Lubmin am Greifswalder Bodden durchbricht der Lärm der Gasröhren Tag und Nacht die Stille. Es ist ein bedrohliches Geräusch, das nach einer Weile in den Ohren schmerzt.

Der Lärm der Anlandestation von Nordstream 1 unterstreicht den Ernst der Lage dieser Tage. In Lubmin, einem Schicksalsort für die deutsche Energiepolitik, aber auch sonst. In Lubmin kommt Gas an. Russisches Gas, durch die Pipeline Nordstream 1. Gleich dahinter die ebenfalls umzäunte Anlage von Nordstream 2, einem weiteren Beton gewordenen Symbol von Deutschlands Naivität gegenüber Putins Regime. Allen Forderungen von der Linken und der AfD zum Trotz wird sie wohl nie in Betrieb gehen, als Technologieruine enden. Genauso wie das Atomkraftwerk Bruno Leuschner, einst der ganze Stolz der DDR, dessen Überreste die Kulisse in Lubmin einrahmen.

Kommende Woche wird es still werden in Lubmin. Am Montag beginnen die jährlichen Wartungsarbeiten der Pipeline Nord Stream 1. Der Betreiber der Röhre, die Nordstream AG mit Sitz in Zug in der Schweiz, wird »beide Leitungsstränge ihrer Gasleitung für routinemäßige Wartungsarbeiten vorübergehend abschalten«, wie das Unternehmen mitteilte. Bis zum 21. Juli sollen die Arbeiten dauern.

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Die Angst vor dem Gas-Lieferstopp

Die Angst von Politik und Wirtschaft vor den kommenden Wochen ist groß. Was, wenn die Wartungsarbeiten länger dauern, zu einer »politischen Wartung« werden , wie etwa Klaus Müller, Chef der Bundesnetzagentur, fürchtet? Was, wenn Putins Regime Deutschland den Gashahn ganz zudreht? Abgesehen davon, dass ein Stopp der Gaslieferungen auch Russland vor ein ernstes Problem stellen würde – das Gas aus den sibirischen Feldern lässt sich nicht einfach »zudrehen« – mehren sich in diesen Sommertagen die Sorgen vor weitreichenden Folgen für Wirtschaft und Verbraucherinnen.

Die Sorgen sind nicht neu. Bereits im April warnte Martina Merz, die Vorstandsvorsitzende von Thyssenkrupp im SPIEGEL-Interview vor dem Aus ganzer Industriezweige ohne russisches Gas. Ein »Abschalten und Stilllegen« würde dann unausweichlich. Und die vergangenen Wochen führten vielen die große Abhängigkeit Deutschlands von russischem Gas vor Augen. Etwa als die Nordstream AG, die zu 51 Prozent dem russischen Staatskonzern Gazprom gehört, Ende Juni ihre Lieferungen nach Deutschland drosselte. Zeitgleich mit dem Besuch des Bundeskanzlers in Kiew reduzierte die Nordstream AG die Gasmenge durch die Röhre in Lubmin, auf 40 Prozent ihrer Kapazität. Das hatte zur Aktivierung der zweiten von insgesamt drei Warnstufen im »Notfallplan Gas« der Bundesregierung geführt.

Russland begründete die Drosselung mit dem Fehlen einer Turbine, die in Kanada gewartet werde. Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) hält diese Begründung für einen »vorgeschobenen Grund«, Bundeskanzler Scholz (SPD) sagte »niemand in der EU glaubt daran, das Russland seine Gaslieferungen aus technischen Gründen reduziert«. Gas als Waffe, einmal mehr.

Inzwischen hat die kanadische Regierung die »aus technischen Gründen« bei Siemens in Montreal gewarteten Turbinen freigegeben. »Wir begrüßen die Entscheidung unserer kanadischen Freunde und Verbündeten«, teilte der Bundeskanzler mit. Für die Kanadier ist die Freigabe der Turbine ein heikler Schritt, weil sie mit der Auslieferung der Turbine an den russischen Staatskonzern Gazprom gegen Sanktionsvorschriften verstoßen hätte. Nun werde die Turbine aber an Deutschland ausgeliefert, mit einer zeitlich begrenzten und widerrufbaren Genehmigung für Siemens Canada , so die kanadische Regierung.

Staatshilfe für angeschlagenen Gas-Importeur?

Das Aufatmen in Deutschland dürfte von kurzer Dauer sein. Deutschland könnten schwierige Monate, gar eine Wirtschaftskrise bevorstehen. Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck wählte im Interview mit dem Deutschlandfunk drastische Worte: »Es kann sein, dass gar nichts mehr kommt. Und wir müssen uns ehrlicherweise immer auf das Schlimmste einstellen und ein bisschen für das Beste arbeiten«, so Habeck. Doch ist das Land überhaupt vorbereitet auf das, was da kommen könnte?

Die Sorgen des Wirtschaftsministers gelten vor allem den Gasspeichern. Wenn sie nicht gefüllt sind, könnte es im Winter noch enger werden. Zurzeit sind die Gasspeicher zu 62 Prozent gefüllt. Dass einige Gasversorger wegen hoher Preise dazu übergegangen sind, Gas aus den Speichern abzugeben, kritisierte Habeck – ebenso wie die europäischen Vorgaben, die vorsehen, dass bei einem Gasmangel zuerst bei den Unternehmen und zuletzt bei den Verbrauchern gespart werden dürfe. »Das finde ich unbefriedigend. Aber es ist die europäische Rechtsnorm und sie ist noch nicht geändert worden«, sagte er.


Wie Olaf Scholz begrüßte Habeck Staatshilfen für den angeschlagenen Gas-Importeur Uniper in Düsseldorf, einem Tochterunternehmen des staatlichen finnischen Energiekonzerns Fortum. »Ich habe eine Verantwortung für die Energiesicherheit in Deutschland, und der muss man sich stellen«, so Habeck.

Dieser Verantwortung, so der Tenor, sollen sich auch die Menschen in Deutschland stellen. Das Land soll Energie sparen, auch im Sommer. Ein paar Grad weniger beim Duschen, ein bisschen kürzer. Doch während unter den Männern in der Koalition ein öffentlich ausgetragener Dusch-Wettstreit loriotschen Ausmaßes begonnen hat (Habeck: »Ich habe noch nie in meinem Leben fünf Minuten lang geduscht.« – Kubicki: »Ich dusche überwiegend kalt.«) dürfte es besonders für die Geringverdienenden im Land noch schwieriger werden.


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Verbraucherschutzministerin Steffi Lemke (Grüne) warnte in der »Bild am Sonntag« vor »schwierigen Zeiten« im Winter und forderte: »Wir brauchen dann für die Verbraucher ein Moratorium für Strom- und Gassperren«. Hintergrund der Forderung ist die Gefahr, dass die Bundesnetzagentur in einer Extremlage den Energieversorgern erlauben könnte, stark gestiegene Preise auch in laufenden Verträgen an die Verbraucher weiterzugeben. Das würde zu hohen Nachzahlungen führen – für alle.

Die Folgen könnten hart werden, möglicherweise zu hart, so der Tenor, auch bei der Opposition. CDU-Sozialpolitiker Kai Whittaker etwa forderte ein Gas-Geld in Höhe von 2000 Euro für die untere Einkommensschicht, verbunden mit einer Aussetzung der Mehrwertsteuer auf Gas, »damit die Menschen ihre Nachzahlungen, die im Februar kommen werden, bezahlen können«, sagte Whittaker dem Sender ntv.

FDP fordert Prüfung von Gasförderung in der Nordsee

Auch in der Koalition gibt es Spannungen bei der Frage, wie der kommende Winter bewältigt werden soll. Die FDP ist mit dem Kurs von Umwelt- und Wirtschaftsministerium (beide grün geführt) nicht einverstanden. Es geht um alte Fragen, alte Gewissheiten. »Ein möglicher Weiterbetrieb unserer noch am Netz befindlichen Kernkraftwerke muss daher jetzt neu bewertet werden und sicher anders, als wir dies noch im Frühjahr konnten«, sagt etwa die stellvertretende Fraktionsvorsitzende Carina Konrad dem SPIEGEL. Das von Lemke geleitete Umweltministerium hatte einen Weiterbetrieb mit Verweis auf eine »intensive Überprüfung« und Gespräche mit den Betreibern abgelehnt. Auch für diese Haltung gerät ihr Ministerium zunehmend unter Druck.

Die FDP fordert zudem, das knappe Gas müsse »prioritär für Wohnungen und die Industrie zur Verfügung gestellt und nicht verstromt werden«. »Langfristig gehört dazu, dass wir auch die deutsche Gasförderung in der Nordsee und an Land ins Auge fassen, um uns aus der fatalen russischen Abhängigkeit zu befreien.«

Diese Frage dürfte beim grünen Koalitionspartner zwar großes Befremden auslösen. Viel schwerer wiegt die Frage, was passiert, wenn die Gas-Mangellage tatsächlich eintritt. Wenn nicht nur die zweite, sondern auch die dritte Stufe im Notfallplan aktiviert werden muss. Wem wird dann als Erstes das Gas abgestellt? Habeck sprach von einem »politischen Albtraum-Szenario«. Was aber folgte daraus? Was ist die Konsequenz aus den vielstimmigen Warnungen?

Auffallend still ist die Regierung bei dieser Frage. Genauso wie jene, die zu Beginn des Krieges ein vollständiges Gas-Embargo gefordert hatten. Und wie die Anlagen von Nord Stream 1 in Lubmin. Ab morgen, wenn das Gas nicht mehr fließt.


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