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Außenministerin Annalena Baerbock auf Palau: Warten, bis das Meer kommt

Außenministerin Baerbock auf Palau: Die Folgen des Klimawandels sehen


Foto: Britta Pedersen / dpa

Joe Aitaro breitet die Arme aus. »Da konnte man Fußball spielen«, sagt er und zeigt nach rechts. »Da konnte man Volleyball spielen«, sagt er und zeigt nach links. »Und da sogar noch Baseball.« So viel Platz war einmal auf dem feinen hellen Sandstrand, soll das heißen. Jetzt kann man da, wo er hinzeigt, nur noch durch kniehohes Wasser waten.

Aitaro arbeitet für den Klimaschutz des Inselstaates Palau im Pazifik und ist Teil einer Gruppe, die an diesem Vormittag die deutsche Außenministerin Annalena Baerbock auf einer der vielen kleinen Inseln weit draußen empfängt, um ihr zu zeigen, was der Klimawandel hier bedeutet.

Das Wasser steigt, es frisst die Strände und irgendwann wird es große Teile Palaus fressen.

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Baerbock läuft über den Sand, der übersät ist mit Stücken weißer Korallen. Weiß heißt gebleicht, abgestorben, zerstört. Sie zeigt auf Baumstämme samt Wurzeln, die auf dem Strand herumliegen: »Was ist mit den Bäumen?«

»Das Wasser entwurzelt die Bäume, wenn die Flut sehr hoch steigt«, erklärt eine Frau aus der Palauer Gruppe.

Man kann sich an auf diesem kleinen Fleck Strand auf den Rock Islands von Palau in wenigen Minuten auch noch andere Klimakrisenfolgen erklären lassen: Die Taifunzone rückt näher. Stürme treffen auf geschwächte Riffe, zerstören sie, Wellen haben freien Weg zur Küste. Weil der Sand überspült wird, müssen Schildkröten weiterziehen, um Eier ablegen zu können, wo es gefährlicher ist; wenn sie nicht in zu flachem Sand Eier legen, die dann die Flut nimmt. Wassertemperaturen steigen und die Fische werden weniger.

Das sind noch nicht einmal alle Folgen, nur an diesem Ort.

Als Baerbock das Außenministerium übernahm, griff sie sich auch die Zuständigkeit für internationale Klimapolitik. Fortan sollte Klimaaußenpolitik ein Schwerpunkt der Arbeit des Auswärtigen Amtes sein. Sie setzte die ehemalige Chefin von Greenpeace International Jennifer Morgan als Staatssekretärin und Sonderbeauftragte ein.

Nur überfiel Russland eben die Ukraine, und Baerbock ist reichlich damit beschäftigt, sich um akute Krisen zu kümmern. So ganz genau lässt sich nach einigen Monaten wohl auch deshalb noch nicht sagen, was Klimaaußenpolitik eigentlich ausmacht und was auf die großen Ankündigungen folgt.

Mit ihrer Reise, die mit dem G20-Außenministertreffen auf Bali und damit Russlands Krieg begann, und die sie dann nach Palau fortsetzte, um einen ganzen Tag fast nur dem Klima zu widmen, schafft sie sich wieder Raum für Klimaaußenpolitik, ihre Möglichkeiten und Tücken.


Klimaschutzstaatssekretärin Morgan mit Baerbock: Im Einsatz erkrankt.

Klimaschutzstaatssekretärin Morgan mit Baerbock: Im Einsatz erkrankt.


Foto: John Macdougall / dpa

Die erste Tücke bringt ein Coronatest. Staatssekretärin Morgan kann nach einem positiven Test nicht mit nach Palau. Sie soll die Themen, die angesprochen werden, alle Kontakte, die angebahnt werden, all die Aufträge später zusammenbinden und verfolgen. Immerhin die designierte erste Sonderbotschafterin für die pazifischen Inselstaaten ist dabei.

Die zweite Tücke ist die Schönheit der Landschaft. Wenn man von der Insel, die der Untergang erwartet, auf das türkisfarbene Wasser schaut, auf die Felsinseln, bewachsen mit Bäumen und der weißen Nationalblume Rur, dann erkennt man im Wasser immer noch viel Leben. Fische, Riffstrukturen. Wüsste man nicht, dass der Strand hier vor einiger Zeit noch viel größer war, man würde es vermutlich nicht ahnen.

Ein Bedrohungsgefühl will sich nicht recht einstellen

Die Außenministerin ist an einen der am unmittelbarsten existenziell von der Klimakrise bedrohten Orte der Welt gekommen, doch ein Bedrohungsgefühl will sich nicht richtig einstellen.

In manchen Momenten scheint das sogar Baerbock so zu gehen. Während einer Pressekonferenz im Regierungskomplex kann sie vom Berg auf das Meer in einiger Entfernung schauen. Wann immer sie künftig in ihrem grauen Presseraum stehen werde, werde sie an diese wunderbare Aussicht denken, sagt sie: »Der Ozean vor mir.«

Auch für die Inselgruppe Palau gilt: nur noch den Ozean vor ihr. Aber er ist so schwer als Bedrohung zu begreifen. Er ist ja auch nicht nur Bedrohung.

Palau lebt vom Tourismus, seine Strände und Riffe ziehen Urlauber an, besonders Taucher. Ohne Touristen kaum Wirtschaft auf Palau. Die Touristen kommen natürlich in Flugzeugen, genauso wie die deutsche Außenministerin. Jeder Flug trägt ein bisschen dazu bei, die Riffe zu zerstören, an denen Palau hängt. So wie die Dieselgeneratoren auf der Insel und die vielen großen Autos, die in den Einfahrten stehen.

Praktische Klimaaußenpolitik ist auch eine Übung im Umgang mit der Erkenntnis, dass es das richtige Leben im fossilen Falschen immer noch nicht gibt und nie geben wird.


Bedrohte Häuser nah am Strand: »Unglaublich«

Bedrohte Häuser nah am Strand: »Unglaublich«


Foto: Britta Pedersen / dpa

Am Mittag auf einem schmalen Streifen Strand, wenige Meter breit. Das Wasser plätschert sanft an, aber Baerbock steht unter einem Ast, einen Kopf höher als sie, bis zu dem das Wasser wohl schon stand. »Unglaublich«, sagt sie nur.

Am Rand des Sandstreifens, nicht sehr erhöht, steht ein Gebäude. Der Ladenbesitzer erklärt, dass dieses Gebäude in zehn Jahren weggespült zu werden droht. Wenn er Glück hat, dauert es noch etwas länger. Aber es wird passieren.

Eine Erwärmung auf 1,5 Grad gegenüber der vorindustriellen Zeit in den nächsten zwanzig Jahren ist selbst bei massiven Anstrengungen kaum noch zu vermeiden. Zudem wird der Meeresspiegel dann noch eine ganze Weile weiter steigen.

Klimapolitik kämpft für die Eindämmung der Erderwärmung, für die Anpassung an die Erwärmung, die trotzdem geschieht, und für die Hilfen für alle, denen Leid widerfährt. Sie muss alles drei scharf trennen und doch gleichzeitig vorantreiben.

Das größte Versprechen ist das Bejahen des Schreckens

Selbst die radikalste Klimapolitik könnte den Laden am Strand nicht retten. Der Mann kann nur warten, bis das Meer kommt. Oder umziehen. Baerbock verspricht mehr Unterstützung für »Loss and Damage«, also als Kompensation für dauerhafte Schäden und Verluste. Sie will es stärker auf die Agenda bringen.

Das größte Versprechen, das Baerbock mitbringt, ist es, anzuerkennen, dass Palau sehr viel verlieren wird. Hoffnung erwächst diesmal aus dem Bejahen des Schreckens. Die Anwesenden hören es gern. Sie hoffen auf Geld aus Deutschland.

Es regnet leicht, als die deutsche Außenministerin auf einem überdachten Versammlungsplatz steht, in diesem 18.000-Einwohner-Staat. Sie lobt das Hai-Reservat, das Palau eingerichtet hat, und die Standhaftigkeit des Landes in Klimaverhandlungen. Es ist eine sehr wenig weltpolitische Kulisse.

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Wenn sie Palau und andere pazifische Staaten nicht »Small Island States« nennt, also kleine Inselstaaten, sondern »Big Ocean States«, ist das eine gewitzte politische Formel, um Anerkennung auszudrücken, die im Publikum aber keine große Regung hervorruft. Anders als das Bekenntnis, helfen zu wollen, die Dieselgeneratoren der Insel loszuwerden und erneuerbare Energien zu nutzen.

Hier ist das Lokale gefragt, nicht das Weltgroße. Das Praktische, nicht das Theoretische. Also das, wofür eine Außenministerin nicht wirklich zuständig ist.

Zu Baerbock passt der Auftritt zwar. Sie setzt stärker als andere Politikerinnen und Politiker auf direkten Austausch, auf Beziehungen, darauf, dass man mehr erreichen kann, wenn man sich schon mal in die Augen geschaut und bestenfalls sogar etwas gemeinsam hat. Aber die Zeit einer Außenministerin ist begrenzt, und kann Deutschland wirklich etwas erreichen mit Palau und wegen Palau, was es ohne Palau nicht erreichen könnte?

Vielleicht in anderen Fragen. Baerbock dankt für die sofortige Unterstützung Palaus, als es darum ging, Russland für die Invasion in die Ukraine zu verurteilen. Sie verweist auch darauf, dass Palau Sicherheitsinteressen zu schützen sind, und dass China da Sorgen mache. Palau mag nur ein kleiner Verbündeter sein, aber ein kleiner Verbündeter ist besser als kein Verbündeter. Klimaaußenpolitik und Nicht-Klima-Außenpolitik fließen zusammen.

Das Wichtigste ist, dass jemand die Geschichte erzählt

Das Wichtigste für ihn an diesem Tag sei, sagt später am Rande eines Termins der Außenminister Palaus, Gustav Aitaro, dass der Besuch Bewusstsein schaffen könne. Man könnte sagen: dass jemand die Geschichte Palaus erzählt.

Der steigende Meeresspiegel war lange die zentrale Geschichte, die man über den Klimawandel erzählte. Das Problem damit war, dass das Meer langsam steigt. Derzeit um rund vier Millimeter im Jahr, wenn auch zunehmend schneller, mit mehr Fluten. Aber es wirkt doch so, als sei noch sehr viel Zeit und als bleibe sehr viel Leben unberührt.

Mehr Dynamik im Klimaschutz jedenfalls in Europa gab es erst, als sich die Erkenntnis durchsetzte, dass die Folgen der Erderhitzung viel umfassender, vielfältiger und plötzlicher sind als der Anstieg des Meeresspiegels.

Auf Palau sagt Baerbock einmal, man könne nur von ganzem Herzen verstehen, was so etwas wie der Meeresspiegelanstieg bedeute, wenn man es sehe.

Als sie ihre Reise begann, in Berlin, konnte man allerdings aus der Regierungsmaschine auch die Felder Brandenburgs sehen. Die meisten waren sehr gelb und sehr trocken und man hätte auch dort über die Klimakrise sprechen können, die dort weniger schnell existenziell werden wird, aber auch schon sichtbar ist.


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Man hätte es auch unterwegs tun können, in Indien etwa, das man überflog, wo mehr als eine Milliarde Menschen lebt und es in wenigen Jahrzehnten regelmäßig so heiß werden könnte, dass bloßes Sein im Freien auf Dauer tödlich ist. Es gibt keinen Ort auf dieser Welt, der nicht von der Klimakrise getroffen wird oder an dem sie noch unsichtbar wäre.

Vor den einen liegen Dürren, vor den anderen Hitzewellen. Vor Palau liegt der Ozean.


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