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Sanktionenrecht: Marco Buschmann will Ersatzfreiheitsstrafe halbieren

Bundesjustizminister Buschmann am 29. Juni 2022


Foto: MICHELE TANTUSSI / REUTERS

Die Maßnahme würde die Gefängnisse wohl deutlich entlasten: Bundesjustizminister Marco Buschmann (FDP) will das Sanktionsrecht reformieren und dabei insbesondere das System der Ersatzfreiheitsstrafe überarbeiten. Die Ersatzfreiheitsstrafe kann verhängt werden, wenn Verurteilte eine Geldstrafe nicht leisten können oder wollen.

Geldstrafen werden in Tagessätzen verhängt; dabei entspricht ein Tagessatz dem Betrag, den ein Täter oder eine Täterin rechnerisch pro Tag an Nettoeinkünften zur Verfügung hat. Bei der Ersatzfreiheitsstrafe gilt, dass ein Tagessatz eines beliebigen Betrags als Geldstrafe mit einem Tag Haft gleichgesetzt wird. Buschmann will nun ändern, dass ein Tag Ersatzfreiheitsstrafe nicht mehr einem, sondern zwei Tagessätzen entsprechen soll. Die Zeit in Haft würde dadurch also halbiert. Der Entwurf des Bundesjustizministeriums geht nun zur Abstimmung an die anderen Ressorts der Bundesregierung.

Die Ersatzfreiheitsstrafe ist vor allem wegen der verhältnismäßig häufigen Anwendung bei verurteilten Schwarzfahrerinnen und Schwarzfahrern bekannt . Geldstrafen, die bei Nicht-Zahlung in die Haftanstalt führen, werden zu etwa einem Drittel wegen kleinerer Diebstähle oder Betrügereien verhängt. Knapp ein Viertel der Fälle betrifft Schwarzfahrer. Eine Entscheidung darüber, ob das Fahren ohne gültigen Fahrschein womöglich demnächst von der Straftat zur Ordnungswidrigkeit herabgestuft wird, soll im Zuge der geplanten Reform noch nicht getroffen werden. Aus Koalitionskreisen heißt es dazu immer noch, dies werde noch geprüft.

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Strafplatz in Haftanstalt kostet 119 Euro – pro Tag

Das System der Ersatzfreiheitsstrafe ist seit Langem umstritten – Kritiker sehen dadurch vor allem arme Menschen benachteiligt. Im Entwurf des Ministeriums heißt es, dass sich durch die Ersatzfreiheitsstrafe meist keine »wirkliche Resozialisierung« erreichen lasse. Der Vollzug verursache zudem für die Länder »erhebliche Kosten«. Ein belegter Strafplatz kostete im Bundesdurchschnitt nach Berechnungen seines Ministeriums im Jahr 2019 rund 119 Euro pro Tag, wenn die Baukosten für die Haftanstalt nicht mitgerechnet werden.

Um Ersatzfreiheitsstrafen nach Möglichkeit zu vermeiden, soll die Vollstreckungsbehörde nach dem Willen des Bundesjustizministers zudem verpflichtet werden, Verurteilte rechtzeitig darauf hinzuweisen, wenn ihnen gestattet werden kann, die Ersatzhaft durch gemeinnützige Arbeit abzuwenden. Dieser Hinweis soll auf jeden Fall in einer Form erfolgen, die sicherstellt, dass ihn auch ein Mensch, der nicht gut Deutsch spricht, versteht.

Reform enthält auch Verschärfungen

Der Entwurf enthält noch weitere geplante Änderungen auf anderen Gebieten. Unter anderem soll der Katalog der Gründe, die bei der Strafzumessung zu berücksichtigen sind, um »geschlechtsspezifische« und »gegen die sexuelle Orientierung« gerichtete Beweggründe ergänzt werden.

Dabei geht es um Hassdelikte gegen Menschen aufgrund ihrer geschlechtlichen Identität oder ihrer sexuellen Orientierung. Zu einer härteren Bestrafung soll außerdem führen, wenn ein Mann aufgrund patriarchalischer Denkmuster seine Partnerin oder Ex-Partnerin unter Druck setzt oder ihr Gewalt antut. Das wäre – im Sinne des Reformentwurfs – etwa dann der Fall, wenn ein Mann seiner Tochter, Schwester oder Ex-Frau generell das Recht abspricht, ihren Lebenspartner frei zu wählen.

Im Jahr 2020 wurden bundesweit 359 Frauen Opfer eines Tötungsdelikts in einer Partnerschaft, wobei die Statistik hier versuchte und vollendete Taten zählt. 139 Frauen starben in dem Jahr durch sogenannte Partnerschaftsgewalt.


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Mehr Spielraum sollen Richter zudem bei Weisungen erhalten, die im Sinne einer erfolgreichen Resozialisierung des Täters erteilt werden können: etwa im Rahmen einer Strafaussetzung zur Bewährung, bei einer Verwarnung mit Strafvorbehalt oder bei einem vorläufigen Absehen von der Verfolgung. Das kann bedeuten, dass der Betreffende angewiesen wird, gemeinnützige Leistungen zu erbringen oder sich einer Therapie zu unterziehen.

Umsetzung frühestens im Frühjahr

Strenger will Buschmann dagegen die Voraussetzungen für die Unterbringung in einer Entziehungsanstalt fassen. Ziel der geplanten Änderungen ist es hier, die begrenzten Kapazitäten auf die Suchtkranken zu konzentrieren, die tatsächlich der Behandlung in einer solchen Einrichtung bedürfen. Um das künftig zu erreichen, soll die Sucht, die Voraussetzung für eine solche Unterbringung ist, klarer als bislang definiert werden.

Sollte der Entwurf in diesem Herbst vom Kabinett beschlossen werden, könnte die Reform – vorausgesetzt Bundestag und Bundesrat stimmen zu – im kommenden Frühjahr in Kraft treten.


fek/AFP/dpa

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