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News: Russland-Ukraine-Krieg, Inflation, Olaf Scholz, Kopenhagen, Deutsche Bahn

Konzertauftakt mit Misstönen

Der Lehrsatz, Geschichte würde sich nicht wiederholen, kann nur ein Lehrsatz mit Ausnahmen sein. Die Geschichte der »Konzertierten Aktion« könnte eine solche Ausnahme sein.

Olaf Scholz hat für heute um 14 Uhr Vertreterinnen und Vertreter von Gewerkschaften, Arbeitgebern und der Wissenschaft ins Kanzleramt eingeladen, um über den Kampf gegen die Inflation zu beraten. Mit dem Etikett der »Konzertierten Aktion« knüpft er an ähnliche Treffen in den Sechziger- und Siebzigerjahren an.

Den Kanzler sorgt vor allem die Gefahr einer Preis-Lohn-Spirale. Steigen die Preise weiter so stark wie seit dem Ausbruch des Krieges, werden bei den Tarifverhandlungen die Gewerkschaften erhebliche Lohnsteigerungen fordern. Setzen sie sich durch, sehen sich die Unternehmen vermutlich gezwungen, die Preise ihrer Produkte zu erhöhen, um die höheren Lohnkosten wieder einzuspielen. Dann fängt das Spiel von vorne an. Der Weg in diesem Sorgenszenario geht also nur nach oben.

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Konzertmeister Olaf Scholz


Foto: CHRISTIAN MANG / REUTERS

Einer der Vorschläge, der im Vorfeld des Treffens durchs politische Berlin waberte: Sonderzahlungen an Beschäftigte könnten steuerfrei gestellt werden. Aber, auch das weiß jede Arbeitnehmerin, jeder Arbeitnehmer: Sonderzahlungen sind eben nicht das gleiche wie ordentliche Gehaltserhöhungen. Deshalb wird sich die Begeisterung für diesen Vorschlag eher in Grenzen halten.

Ein anderer Vorschlag stammt von der neuen DGB-Vorsitzenden Yasmin Fahimi. Sie forderte in der »Bild am Sonntag« ein drittes Entlastungspaket mit einem Energiepreisdeckel für Privathaushalte. Der Kanzler dagegen verwies im ARD-Sommerinterview lieber auf das derzeitige Entlastungspaket, von dem viele Bürgerinnen und Bürger noch gar nichts mitbekommen hätten. Die Erwartungen an das heutige Treffen sind, sagen wir, recht vielfältig.


DGB-Chefin Fahimi

DGB-Chefin Fahimi


Foto:

Fabian Sommer / dpa


Und so ist die Stimmung in den beteiligten Lagern eher gedämpft. »Tarifverhandlungen werden nicht im Kanzleramt geführt«, hatte Fahimi bereits im Vorfeld gesagt. Und da kommt die Geschichte ins Spiel. Ganz ähnlich war die Stimmung vor gut 50 Jahren, als Bundeswirtschaftsminister Karl Schiller, auch ein Sozialdemokrat, das eine oder andere Mal zur »Konzertierten Aktion« rief und über Preise, Löhne und Maßnahmen für die Konjunktur sprechen wollte. Der damalige IG-Metall-Chef Otto Brenner wetterte: »Wir lassen uns keine Fesseln anlegen!« Nicht ganz im Wortlaut, aber im Wortsinne so wie heute. Am Ende war der Erfolg dieser Runden denn auch eher enttäuschend.

Die Gute Nachricht zum Schluss: Nicht in jedem Punkt wiederholt sich hier die Geschichte. Blickt man auf die Fotos von Schillers damaligen »Konzertierten Aktionen« blickt man auf eine Runde ausschließlich älterer Herren in dunklen Anzügen.

Das Foto von heute wird anders aussehen. Zumindest ein bisschen.

Wer zahlt wie viel für die Ukraine?

Es sind einige der drängendsten und schwierigsten Fragen zugleich: Was kommt nach dem Krieg? Wie entsteht wieder Leben und Hoffnung in der Ukraine? Wer hilft, wer bezahlt?

An gut gemeinten Worten fehlt es nicht. Sie sei entschlossen, »die Ukraine aus der Asche auferstehen zu lassen«, sagte EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen Mitte Juni bei einem Besuch in Kiew. Olaf Scholz kündigte einen »Marshallplan« an, da es keine Blaupause für dieses Szenario gebe, außer vielleicht der Wiederaufbau im eigenen Land.

Wenn es aber um konkrete Summen geht, um Ideen, das Geld zu beschaffen, sind die Szenarien noch recht verschwommen.


EU-Kommissionspräsidentin von der Leyen: »Aus der Asche auferstehen lassen«

EU-Kommissionspräsidentin von der Leyen: »Aus der Asche auferstehen lassen«


Foto: MILAN KAMMERMAYER / AFP

500 bis 1500 Milliarden Euro könnte der Wiederaufbau laut unterschiedlichen Schätzungen kosten – abhängig davon, wie lang und heftig der Krieg noch andauert. Die Europäische Union, das ist allen klar, wird davon einen großen Teil bezahlen müssen. Allein schon deshalb, um an ihrer Ostflanke Stabilität zu erreichen. Von 400 bis 500 Milliarden EU-Investitionen ist in Brüssel die Rede, auch wenn die Zahl derzeit als höchst vage gilt. Wie sie finanziert werden sollen, darüber gibt es unter den Mitgliedstaaten schon jetzt höchst unterschiedliche Vorstellungen.

Wenn sich heute im schweizerischen Lugano 40 potenzielle Geberländer bei einer Konferenz über den Wiederaufbau unterhalten, geht es noch nicht darum, konkrete Beträge einzusammeln. Die ukrainische Regierung will zunächst ihre Prioritäten präsentieren, erstmals mit einem konkreten Plan: Was muss zuerst angegangen werden und wer könnte es finanzieren?

Die höchsten Prioritäten allerdings sind vor dem Treffen schon klar: Der Staatshaushalt muss dauerhaft stabilisiert werden, dafür hatten die G7-Staaten zuletzt knapp 20 Milliarden Dollar Soforthilfe bereitgestellt. Ob das reicht? Die Regierung sollte stabil bleiben, und die Wirtschaft nicht kollabieren.

Nicht gerade kleine Aufgaben, die da auf die Weltgemeinschaft warten.

Mehr Nachrichten und Hintergründe zum Krieg in der Ukraine finden Sie hier

  • Was in den vergangenen Stunden geschah: Belarus ist laut Diktator Lukaschenko so eng mit Russland verbunden, »dass wir praktisch eine gemeinsame Armee haben«. Und: Die Ukraine will erstmals ihre Prioritäten für den Wiederaufbau des Landes präsentieren. Der Überblick.

  • Energiekrise trifft Deutschland mit voller Wucht: Die Netzagentur fürchtet den Ausfall Hunderttausender Gasthermen, Strompreise galoppieren, Hamburg könnte Warmwasser rationieren. Die Verbraucher spüren zunehmend die Folgen von Russlands Krieg. Was kommt noch?

  • Die Stadt der roten Hunde: Wie wurde aus dem Schauspieler Wolodymyr Selenskyj ein Kriegspräsident? Antworten liefert ein Besuch in seiner Heimatstadt Krywyj Rih. Die Menschen sind stolz auf ihn – und haben Angst vor dem Krieg, der schon ganz nah ist. 

  • Mit der Kamera an die Front: Es sind beeindruckende Momentaufnahmen. Die Fotografinnen Johanna Maria Fritz und Mila Teshaieva halten die Schrecken des Krieges und die Schicksale der Opfer in Bildern fest. Eine »Arte Re:«-Reportage von SPIEGEL TV.

Die Bahn ist jetzt ein Star

Ich war über viele Jahre hinweg ein Verteidiger der Bahn. Menschen, die sich lauthals über einen »außerplanmäßigen Halt« des ICE echauffierten, fand ich unerträglich. Ich verglich die erlebten Verspätungen der Bahn mit denen des Flugzeugs, und die Bilanz fiel über eine lange Zeit zugunsten der Bahn aus. Das hat sich zuletzt geändert. Nicht nur ich erlebte vermehrt Zugausfälle und massive Verspätungen. Freunde Kolleginnen, Bekannte erzählten Ähnliches. Die Bahn, so scheint es, ist in einer Art Midlife-Crisis. Sie wäre gern fit und schnell, doch ihre Knochen, ihre Grundversorgung machen nicht mehr so richtig mit.


Trotz Verspätungschaos: Bahn wird Mitglied der »Star Alliance«

Trotz Verspätungschaos: Bahn wird Mitglied der »Star Alliance«


Foto: Arnulf Hettrich / IMAGO

Wie tief das Problem sitzt, wurde mir neulich bei einem Treffen mit Verkehrsminister Volker Wissing klar. Er eröffnete mir mithilfe zweier Handys – das erste stellte einen Zug dar, das zweite eine Baustelle – erstmals das Bewusstsein für die Problematik der Langsamfahrstrecken, verursacht durch dringend nötige Baustellen. Weil es in Deutschland aber vergleichsweise wenig Weichen gibt, um einen Zug mal eben auf dem Gegengleis die Baustelle umfahren zu lassen, und weil auf diesem Gegengleis in der Gegenrichtung auch keine Signale aufgestellt wurden, weshalb der umfahrende Zug nur sehr langsam vorankommen kann, entstehen Verzögerungen, die sich schnell potenzieren und einen gesamten Fahrplan durcheinanderbringen können.

Und deshalb will – zugegeben verkürzt gesprochen – der Verkehrsminister zuallererst mehr Weichen und Signale organisieren, damit die Baustellen kein so großes Hindernis mehr sind. Man ahnt, wie groß die Herausforderung ist – eigentlich sollte es ja für die Klimawende um eine Erweiterung des Netzes gehen, um Beschleunigung von Strecken, um mehr Kapazitäten, all das.

So wirkt es für mich etwas sonderbar, ausgerechnet in der Krise der Bahn eine neue Auszeichnung zu verleihen: Sie wird als »erstes branchenfremdes Unternehmen«, wie es in der Ankündigung heißt, Mitglied der »Star Alliance«, einem Bündnis verschiedener Fluglinien, das vor 25 Jahren maßgeblich die Lufthansa mitbegründet hatte. Die Bahn also ist nun ein Star.

Die neuen Massenmörder

Wieder Schüsse, wieder eine Tragödie, wieder ein Täter, der Rätsel aufgeben wird, wieder Familien, die den plötzlichen Tod ihrer Angehörigen betrauern müssen. Diesmal traf es Kopenhagen, Schüsse in einem Einkaufszentrum, Tote, Verletzte. Über die Hintergründe der Tat ist noch nichts Gesichertes bekannt, allem Anschein nach aber gab es vor Ort keine Komplizen, zunächst also geht man von einem Einzeltäter aus. Der Verdächtige ist 22 Jahre alt.


Schockierte Menschen vor dem Einkaufszentrum Field's in Kopenhagen

Schockierte Menschen vor dem Einkaufszentrum Field’s in Kopenhagen


Foto: Olafur Steinar Gestsson / dpa

Der Typus jener Täter, die ohne Vorwarnung auf der Straße schießen oder stechen, ist eine gesellschaftliche Herausforderung. Vor allem stellt er die Sicherheitsbehörden vor entscheidende Fragen: Sind die Vorwarninstrumente überhaupt noch geeignet, Hinweise auf diese Art von Tätern zu geben, bevor sie losziehen, um Menschen töten? Müssen also die Risikoanalysen neu aufgesetzt werden?

Ich war neulich auf einer Tagung von Sicherheitsexperten, auf der es auch um diesen Aspekt ging: Ein Hochschuldozent fragte, ob die psychische Komponente bei der Risikoanalyse von potenziellen Tätern ausreichend mitgedacht werde, ob nicht viel mehr Psychologen und Psychiater daran beteiligt werden sollten. Denn tatsächlich ist es auffällig, wie viele der Täter, die scheinbar willkürlich morden, psychisch auffällig sind und womöglich dennoch zugleich aus einer politischen Motivation heraus agieren. Wie kann man diese Täter erkennen? Und wie muss man ihre Taten bewerten?

In einem anderen Vortrag ging es um Radikalisierungsprozesse: Seit einigen Jahren ist ein Trend zu erkennen, der das Auffinden derartiger Täter im Vorfeld fast unmöglich macht. Sie radikalisieren sich zu Hause, mithilfe des Internets, und sollten sie dort ihre Fantasien preisgeben, dann ist oft nicht klar, ob sie ernst gemeint oder nur dazu gedacht sind, einer gewissen Community im Netz zu gefallen. Wie kann man diesen Tätern habhaft werden – vor der Tat? Man wird diese oder ähnliche Fragen in den nächsten Tagen vermutlich wieder stellen müssen.

Hier geht’s zum aktuellen Tagesquiz

Die Startfrage heute: Wie stark nahm die Staulänge auf deutschen Autobahnen im Pandemiejahr 2020 gegenüber dem Vorjahr ab?

Verlierer des Tages…

… ist der Videodienst TikTok, der gestern Abend ein Video des Journalisten Tilo Jung (Jung&Naiv) wegen »Verstoßes gegen die Community Richtlinien« sperrte. Es handelte sich um den ersten Teil eines sehr guten Interviews von Jung mit dem ukrainischen Botschafter in Deutschland, Andrji Melnyk, in dem dieser eine höchst unkritische Verehrung des ukrainischen Nationalisten und Antisemiten Stepan Bandera offenbarte. Das Interview provozierte heftige Reaktionen, selbst das ukrainische Außenministerium distanzierte sich von Melnyks Äußerungen. Warum TikTok das Interview sperrte, welcher Algorithmus hier womöglich verrückt spielte, blieb bis in die Nacht unklar. Die Antwort auf eine Anfrage stellte das Unternehmen für Montagvormittag in Aussicht.

Die jüngsten Meldungen aus der Nacht

Die SPIEGEL+-Empfehlungen für heute

  • »Wir waren gerade dabei uns von der Pandemie zu erholen. Dann kam Shireen«: Im Westjordanland steht die Stadt Dschenin für gewaltsamen Widerstand und einen neuen Wirtschaftsboom. Doch nach der Erschießung der Al-Jazeera-Reporterin Shireen Abu Abkleh wird klar: Beides zugleich ist kaum möglich .

  • Was lernen wir aus dem Liebesleben der Präriewühlmaus? Manche Tiere leben monogam, andere bevorzugen wechselnde Partner. Evolutionsbiologen haben die Fortpflanzungsstrategien bei Vögeln, Säugetieren und Reptilien untersucht und stellen fest: Es ist kompliziert .

  • Die Frau, die Deutschland zum Lachen und Til Schweiger zur Weißglut bringt: Anika Decker schrieb einige der erfolgreichsten Kino-Drehbücher des Landes, aber das große Geld verdienten andere. Dann begann sie, für ihre Rechte zu kämpfen – und verklagte Til Schweiger .

  • Deshalb startet dieser Abi-Jahrgang mit großen Lücken ins Studium: Das Abitur ist nach zwei Jahren Corona so ungerecht wie nie zuvor. Dabei hatte die Politik immer versprochen, Schulabgänger dürften durch die Pandemie keine Nachteile erfahren. Hier sprechen Betroffene .

Ich wünsche Ihnen einen guten Start in den Tag – und in die Woche!

Ihr Martin Knobbe

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