Team-Building auf Elmau
Der G7-Gipfel der führenden (demokratischen) Industrienationen auf dem bayerischen Schloss Elmau geht heute weiter. Es wird erwartet, dass sich der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj aus Kiew zuschaltet. Später werden Themen wie der Klimaschutz und die weltweite Knappheit von Nahrungsmitteln infolge des Krieges in der Ukraine besprochen.
Klar, solche Gipfel sind natürlich auch immer ein wenig Laberrunden. An großen Worten herrscht kein Mangel, Politiker schütteln sich vor Berg-Kulisse gegenseitig die Hände. Die Sache kostet Geld (170 Millionen Euro), ein ganzes Tal wird von Polizisten abgeriegelt. Da ist die Frage erlaubt: Muss das alles sein?
Die Staats- und Regierungschefs der G7 beim Gruppenfoto am Schloss Elmau in Bayern
Foto: Susan Walsh / AP
Die Antwort lautet: Ja. In der neuen Weltunordnung ist es unerlässlich, dass sich wichtige Demokratien zusammenfinden, um sich auf so etwas wie ein Mindestmaß an gemeinsamen Handeln zu verständigen. Sie müssen sich dafür immer wieder – auch symbolisch – ihrer gegenseitigen Sympathie und Verbundenheit versichern.
Es geht um Team-Building in einer Welt, in der es immer mehr Einzelspieler gibt. Dafür sind das Schulterklopfen, das Familienfoto und die persönliche Begegnung der Staatschefs wichtig. Ein paar Zoom-Meetings reichen nicht. Der Westen setzt bei diesem G7-Gipfel bewusst ein Signal für Kooperation, Demokratie und Multilateralismus, gegen Politiker wie Wladimir Putin (oder auch Donald Trump), die meinen, sie könnten tun und lassen, was sie wollen. Wenn es diese Gipfel nicht geben würde, müssten sie erfunden werden.
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Was bringt ein Preisdeckel für Russen-Öl?
Apropos Laberrunde: Entgegen manchen Erwartungen könnte das G7-Format diesmal so ergiebig sein wie lange nicht. Die Gipfel-Teilnehmer wollen sich bei ihren Beratungen auf Schloss Elmau unter der Leitung von Kanzler Olaf Scholz auf eine Reihe von Punkten einigen. Aus der Delegation von US-Präsident Joe Biden heißt es, die G7 werden als weitere Strafmaßnahme gegen Russland ein Importverbot für russisches Gold ankündigen. Damit würden Russland Einnahmen in Höhe von Dutzenden Milliarden Dollar wegbrechen.
US-Präsident Joe Biden, Kanzler Olaf Scholz in Bayern
Foto: Thomas Lohnes / Getty Images
Im Gespräch ist auch die Festlegung eines Preisdeckels für russisches Öl, um die Gewinne, die Moskau mit dem Export erzielt, zu begrenzen. Die Frage ist allerdings, ob große Abnehmerländer wie China oder Indien dabei mitmachen würden. Auch einige EU-Vertreter äußern sich aus diesem Grund skeptisch zu dem Plan, der vor allem von den USA betrieben wird.
Bereits beschlossen ist eine Initiative, mit der der weltweite Einfluss Chinas zurückgedrängt werden soll. Genannt wird das Projekt »Partnerschaft für Globale Infrastruktur«. Bis 2027 sollen insgesamt 600 Milliarden US-Dollar für Infrastrukturprojekte in ärmeren Ländern zur Verfügung gestellt werden, um diesen Staaten eine Alternative zu chinesischen Finanzierungshilfen zu bieten.
US-Linke wollen rechte Richter abstrafen
Das Abtreibungsurteil des Obersten Gerichtshofs spaltet die USA. Fast im ganzen Land kam es am Wochenende zu Protesten gegen den Supreme Court, diese dürften sich in den kommenden Wochen und Monaten fortsetzen.
Bei den Demokraten beginnt erneut eine Diskussion über die Frage, ob die Partei versuchen sollte, die Zahl der Richter am Supreme Court von neun auf 13 zu erhöhen. So sollen die Mehrheitsverhältnisse wieder zugunsten moderaterer Position verändert werden. Der Haken an der Sache: Für eine solche Aufstockung des Gerichts fehlt der Partei im Kongress die Mehrheit. Auch US-Präsident Joe Biden ist kein Fan von diesem sogenannten court packing.
Partei-Linke Alexandria Ocasio-Cortez
Foto: Jacquelyn Martin / AP
Zugleich bringen Partei-Linke wie die Abgeordnete Alexandria Ocasio-Cortez Amtsenthebungsverfahren gegen die vier ultrakonservativen Richter am Supreme Court ins Gespräch. Sie wirft ihnen diverse Verstöße gegen ihren Amtseid vor. Theoretisch könnten die Demokraten mit ihrer Mehrheit im Repräsentantenhaus tatsächlich solche Impeachment-Verfahren gegen die Richter einleiten. Ähnlich wie im Fall Donald Trumps dürften diese dann aber spätestens im Senat an den Republikanern scheitern.
Schwarz-Grün in Kiel und Düsseldorf
In Schleswig-Holstein und Nordrhein-Westfalen sind nach den Landtagswahlen im Mai die Regierungsbildungen so gut wie abgeschlossen. Nach Lage der Dinge wird es in beiden Bundesländern schwarz-grüne Bündnisse geben.
In Schleswig-Holstein stimmen heute Parteiversammlungen von CDU und Grünen endgültig über das Zustandekommen einer gemeinsamen Regierung ab. Den Delegierten liegt ein 244 Seiten starker Koalitionsvertrag vor, den die Spitzen beider Parteien ausgehandelt haben. An der Zustimmung beider Parteitage gibt es keinen Zweifel.
Schleswig-Holsteins Ministerpräsident Daniel Günther
Foto: IMAGO/Petra Nowack / IMAGO/penofoto
In Düsseldorf steht derweil die offizielle Zeremonie zur Unterzeichnung des ersten schwarz-grünen Koalitionsvertrags an. Zuvor hatten am Wochenende Landesparteitage von CDU und Grünen dem Vertrag ihren Segen gegeben. Noch in dieser Woche soll CDU-Mann Hendrik Wüst im Düsseldorfer Landtag zum Ministerpräsidenten gewählt werden. Anschließend wird das neue Landeskabinett vorgestellt.
Verlierer des Tages…
Markus Söder mit US-Präsident Joe Biden
Foto: Daniel Karmann / dpa
… ist der bayerische Ministerpräsident und CSU-Chef Markus Söder. Wäre Söder im vergangenen Jahr erst Unions-Kandidat und dann Kanzler geworden, dürfte er jetzt den großen G7-Gipfel in Elmau abhalten. Bekanntlich ist jedoch Olaf Scholz Regierungschef und steht im Mittelpunkt der Ereignisse, Söder bleibt nur eine Nebenrolle. Oder, wie der legendäre Kollege Baby Schimmerlos gesagt hätte, er ist ein Adabei.
Söder wäre nicht Söder, wenn er nicht versuchen würde, aus der Sache trotzdem das Maximum für sich herauszuholen. Das geht nur leider etwas schief. Zum Beispiel: Söder begrüßte US-Präsident Joe Biden mit Trachten-Gruppen am Flughafen München. Das ist vielleicht nett gemeint, erweckt aber im Ausland leider wieder einmal den Eindruck, die Uhren seien in Deutschland vor 200 Jahren stehen geblieben (und nicht nur bei der CSU).
Dann verschickte Söder via Twitter ein Bildchen, auf dem er den sechs ausländischen G7-Gästen ein »Grüß Gott in Bayern« zurief. Den Sozialdemokraten Scholz ließ Söder allerdings weg.
Söders Ausrede: »Der Bundeskanzler ist ja nun nicht ein ausländischer Staatsgast, sondern der Bundeskanzler. Und noch gehört Bayern ja definitiv zu Deutschland. So soll es auch bleiben.« Klar.
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Ich wünsche Ihnen einen guten Start in den Tag.
Ihr Roland Nelles