Fellinger: Mir ist der Umgang meiner Partei mit diesem Krieg ein Rätsel. Wenn man sich ein bisschen mit der Situation dort auskennt, muss einem klar werden, dass die Menschen sich wehren müssen. Welche Alternativen bieten wir denn an, wenn nicht Waffen? Also wo kommt er her, der Frieden, wenn Russland einen Vernichtungskrieg führt und Menschen foltert und ermordet?
Meine Partei redet von Frieden. Aber das ist ein leerer Begriff, wenn da nichts dahintersteckt. Sollen die Ukrainer die russischen Panzer umarmen? Wenn Leute für eine linke, befreite Gesellschaft kämpfen wie in Kurdistan oder Rojava – natürlich gebe ich denen Waffen!
SPIEGEL: In Ihrer Partei empfinden das nicht alle so. Wie wollen Sie sie überzeugen?
Fellinger: Ich glaube, viele Linke ruhen sich darauf aus, dass wir schon seit gefühlt 2000 Jahren Friedenspartei sind. An diesem Grundsatz wird nicht gerüttelt. Ich möchte ein Umdenken bewirken. Wenn ein Land wie Russland ein anderes attackiert, dann ist das ein Angriffskrieg. Also muss unsere Solidarität den Angegriffenen gelten. Das heißt ja nicht, dass wir plötzlich überall Waffen hinschicken. Bei einem Bürgerkrieg, wo wir nur das Leid der Menschen verlängern, würde ich auch Nein sagen.
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SPIEGEL: Gregor Gysi ist auch der Meinung, man muss der Ukraine Selbstverteidigung ermöglichen. Aber das sollen andere Länder tun – und nicht Deutschland aufgrund der Geschichte. Was sagen Sie dazu?
Fellinger: Gysis Position ist heuchlerisch und dumm. Wir wollen nicht an Waffen verdienen, die wir in Kriegsgebiete verkaufen? Aber es ist okay, Waffen an Drittländer zu verkaufen, die die dann weitergeben? Dann müssten wir doch eigentlich unsere Waffen verschenken.
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SPIEGEL: Die Parteichefin Janine Wissler hat in ihrer Rede Waffenlieferungen ebenfalls abgelehnt, aber andererseits deutlich den russischen Angriff verurteilt.
Fellinger: Da muss noch mehr kommen. Dort sind Menschen in Lebensgefahr und wir begnügen uns mit Floskeln.
SPIEGEL: Wissler hat sich in ihrer Rede auch für die nicht ausreichend betreuten Vorfälle von Sexismus bei der Linken entschuldigt. Sie sind auch Mitglied der Linksjugend solid. Hat Sie das überzeugt?
Fellinger: Das war unzureichend. In 35 Minuten Rede nur drei Sätze über MeToo bei der Linken zu verlieren, ist zu wenig. Sie steht in der Kritik, hat über Wochen nichts zu ihrer eigenen Rolle gesagt und aufgearbeitet und liefert nun nicht mehr als eine leere Entschuldigung. Es ist doch klar, dass sie das jetzt kurz vor der Vorsitzendenwahl sagen muss.
Den Worten müssen Taten folgen. In ihrem Fall heißt das: Erst mal sollte alles aufgearbeitet werden, erst dann kann sie wieder für den Vorsitz kandidieren. Den Betroffenen geht es mit schönen Worten allein nicht besser. Ehrlich wäre es gewesen, wenn sie heute ihren Rückzug erklärt hätte.
SPIEGEL: Sie selbst kommen aus Köln, haben aber ukrainische Wurzeln. Wie erleben Sie den Krieg?
Fellinger: Meine Mutter kommt aus der Ukraine. Wir haben noch viel Verwandtschaft dort, die meisten wohnen in der Westukraine. Meine Oma und mein Cousin aber leben in Saporischschja nahe Donezk, über Telefonate bekommen wir alles hautnah mit. Am Anfang war meine Oma sehr zaghaft, was sie uns erzählen wollte. Jetzt ist sie abgeklärt, sie hat sich nach vier Monaten an den Krieg gewöhnt. Es klingt bitter, aber der tägliche Fliegeralarm und die Schüsse wurden zum Alltag für sie.
SPIEGEL: Wie haben die Delegierten nach Ihrer kleinen Wutrede reagiert?
Fellinger: Extrem positiv! Wenn man andere Redende hört, könnte man denken, es gibt nur schlimme Leute in unserer Partei. Aber keiner von denen hat es gewagt, mich später zu kritisieren. Stattdessen kamen sehr viele Delegierte und haben sich bei mir für meinen Mut bedankt. Ich glaube, die Linke ist schon mehrheitlich solidarisch mit der Ukraine.