Markus Feldenkirchen: Glauben Sie nach wie vor an einen Sieg der Ukraine? Und wenn ja, was verstünden Sie unter Sieg?
Andrij Melnyk: Bin davon fest überzeugt. Wenn ich daran nicht geglaubt hätte, dann hätten auch wir hier nichts zu suchen. Ich bin davon überzeugt, dass die Ukraine diesen Aufmarsch stoppen kann. Und wenn die Russen erkennen, dass sie nicht mehr weitere Gewinne machen können, dann sind wir auch in der Lage, diese Gebiete, die wir nach dem 24. Februar verloren haben, vorläufig, auch zurück zu gewinnen. Und auch wenn es viele Vorschläge gibt, die Ukraine müsste doch Kompromisse machen. Wir haben knapp 120.000 Quadratkilometer verloren, ein Fünftel der Fläche. Das wäre so ungefähr ein Drittel des deutschen Staatsgebietes. Und dann frage ich immer: Okay, was wären die Deutschen bereit zu opfern, um den Frieden zu erreichen? Sachsen? Oder Brandenburg? Oder ganz Ostdeutschland? Das sind die Fragen, die ich immer wieder stelle. Allen Ratgebern, die uns nahelegen, wie wir müssten quasi etwas opfern, um dann den Krieg nicht zu verlieren.
Feldenkirchen: Mein Kollege Alexander Osang hat vor kurzem ein Porträt über Sie geschrieben mit dem schönen Titel “Der Undiplomat”. Tatsächlich haben Sie sich in der Vergangenheit oft aggressiv provokativ geäußert. Machen Sie das ganz rational, weil Sie wissen, damit generiert man Aufmerksamkeit oder schlicht zum Teil von Ihren Emotionen quasi getrieben?
Melnyk: Nein, das sind reine Emotionen. Man versuchte sie unter Kontrolle zu halten, aber das gelingt halt nicht immer. Und deswegen bereut man das immer wieder. Die eine oder andere Äußerung. Kein Thema, alle machen Fehler.
AdvertisementFeldenkirchen: Lassen Sie uns mal schauen, was Sie so bereuen. Eine beleidigte Leberwurst klingt nicht sehr staatsmännisch. Das war über den deutschen Bundeskanzler Olaf Scholz. Es gab in dieser Woche einen Leberwurst-Gipfel, an dem Sie teilgenommen haben. Also beleidigte Leberwurst. Das nehmen Sie nicht zurück?
Melnyk: Ja, das ist auch eine Äußerung, die ich im Nachhinein natürlich bedauere, denn man hat viele Menschen auch nicht nur in Deutschland vor den Kopf gestoßen. Mein Präsident war auch natürlich not amused, muss man sagen.
Feldenkirchen: Hat er mit Ihnen geschimpft?
Melnyk: Also er persönlich nicht. Aber ich habe mit dem Außenminister darüber gesprochen. Ich habe versucht zu erklären, was das bedeutet. Dass, das auch ein Zeichen des Reichtums deutscher Sprache ist und dass ich doch die Hoffnung hatte, den Kanzler nicht beleidigt zu haben. Aber wie gesagt, ich habe mit dem Kanzler noch nicht gesprochen, mit vielen anderen Akteuren schon in der Zwischenzeit. Und ich hoffe, wenn ich diese Möglichkeit habe, mit Olaf Scholz..
Feldenkirchen: Was werden Sie ihm dann sagen?
Melnyk: Ich werde mich entschuldigen bei ihm persönlich, denn ich hoffe, wahrscheinlich war er beleidigt durch diese Äußerung. Sie war diplomatisch nicht angemessen, ganz klar. Aber der Grund, der dahinter stand, der ist, glaube ich, nach wie vor richtig. In dem Sinne, dass Politiker sehr oft nach Ausreden suchen, um etwas Richtige nicht nicht zu tun.
Feldenkirchen: Lassen Sie uns, Herr Melnyk, abschließend über den gerade in Deutschland weit verbreiteten Eindruck oder Vorwurf reden, Sie seien Nationalist und würden Ultrarechte wie etwa Stepan Bandera verherrlichen. Bandera war tatsächlich eine sehr komplexe Persönlichkeit, eine in der Geschichtswissenschaft auch umstrittene Person. Er hatte 1941 tatsächlich die Hoffnung, mithilfe der Deutschen einen eigenständigen ukrainischen Staat gründen zu können. War später von eben diesen Nazis im KZ Sachsenhausen inhaftiert worden und wurde Ende der 50er Jahre in München wohl von einem KGB-Agenten vergiftet. Für viele in Deutschland ist dieser Bandera ganz klar ein Nazi-Kollaborateur. Sie nennen ihn einen Helden und haben sein damals auch geschändete Grab in München besucht. Warum?
Melnyk: Bandera ist eine historische Gestalt, die für viele, ich würde sagen für die meisten Ukrainer sehr bedeutend ist, weil er für die ukrainische Staatlichkeit gekämpft hat, und zwar unter Umständen, die aussichtslos waren. Er hat diesen Kampf gegen die Sowjets, gegen Nazideutschland geführt.
Feldenkirchen: Das klingt alles positiv, Herr Melnyk. Aber dieser Bandera ist auch verurteilter Mörder des polnischen Innenministers Pieracki im Jahr 1934, er wurde 1940 Anführer des radikal-antisemitischen Flügels der Organisation Ukrainische Nationalisten. Nach dem Einmarsch der Wehrmacht übernahm er Polizeigewalt und war für Pogromen gegen jüdische Zivilbevölkerung und auch der Ermordung sowjetischer Kriegsgefangener verantwortlich. Blenden Sie das alles bewusst aus?
Melnyk: Die Ukrainer waren immer unterdrückt von den Nachbarn. Sie haben ein Attentat auf den polnischen Minister erwähnt. Aber man muss auch die Gründe wissen. Ein Teil der Ukrainer, die Westukraine, wurde Polen zugesprochen. Nicht ganz korrekt nach dem Ersten Weltkrieg. Und die ukrainische Minderheit war die größte. 1/4 der Bevölkerung der polnischen Republik nach dem Krieg waren Ukrainer. Das war ein Protestaktion gegen diese Unterdrückung der ukrainischen Minderheit. Also darüber werden Sie nicht in der Presse lesen in Deutschland und auch alles andere wird quasi polemisiert, nur unter diesem Blickwinkel. Ja, das sind diejenigen, die die Ukraine befreien wollten, und zwar von von allen.
Feldenkirchen: Abschließend eine Sache, über die sich gerade in Deutschland dann auch wieder viele gewundert haben, als sie vor ein paar Wochen gesagt haben, dass Wladimir Putin schlimmer als Adolf Hitler sei. Klar, aus unserer Perspektive, angesichts von 6 Millionen ermordeten Juden klingt das ein wenig geschichtsvergessen. Bleiben Sie bei der Aussage?
Melnyk: Ich bleibe über diese Aussage. Aus vielen Gründen. Denn Putin ist wie eine Symbiose von Hitler und Stalin. Und beide waren für uns eine Katastrophe für die Ukrainer, denn beide wollten die Ukraine als Volk, als Kulturnation vernichten. Und Putin betreibt in diesem Krieg genau dasselbe. Er will nicht nur die Territorien sammeln und ins Reich zurückholen, er will auch die ukrainische Sprache wieder ausrotten, die ukrainische Kultur vernichten. Das geschieht schon heute, wenn Museen geplündert und verbrannt werden. Es ist für die Deutschen natürlich kaum möglich, auch diese Aussage zu verstehen, angesichts der Gräueltaten, die das Naziregime und die Nationalsozialisten begangen haben. Aber nicht nur gegen die Juden. Natürlich haben die Juden am meisten im Holocaust gelitten. Aber auch in der Ukraine war das so, dass Hitler knapp 8 Millionen ukrainische Zivilisten ermorden ließ. Und Stalin hat dasselbe getan, noch vor dem Zweiten Weltkrieg, Stichwort Holodomor, wo auch Millionen Ukrainer innerhalb eines Jahres 32/33 ermordet wurden durch Hungersnot. Und dasselbe sehen wir heute. Er möchte uns einfach vernichten. Und deswegen ist dieser Vergleich ist schwierig zu verstehen. Aber vom Prinzip her ist es so, dass das Putin für uns ein zweiter Hitler ist, weil er uns auslöschen möchte, als Nation.
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