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EU-Beitritt der Ukraine: Ein Versprechen, das nichts wert ist – Kommentar

Bundeskanzler Olaf Scholz und der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj in Kiew


Foto: Valentyn Ogirenko / REUTERS

Die Ukraine braucht von der EU Waffen, Geld und uneingeschränkte politische Unterstützung. Stattdessen hat sie ein leeres Versprechen bekommen.

Das Land soll den Status eines Beitrittskandidaten erhalten. Die EU-Kommission ist dafür, die großen Mitgliedsstaaten auch. Die Staats- und Regierungschefs werden es auf ihrem Gipfel in dieser Woche vermutlich so beschließen.

Für die Ukraine hat das keinen praktisch Nutzen. In anderen Regionen Europas richtet es dagegen erheblichen Schaden an.

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Um zu verstehen, warum es dennoch so kommt, muss man sich deutlich machen, wer sich für den Kandidatenstatus stark macht: Bundeskanzler Olaf Scholz, der französische Präsident Emmanuel Macron und der italienische Ministerpräsident Manuel Draghi.

Scholz hat der Ukraine Waffen versprochen, auf die sie bis heute wartet. Macron hat erklärt, man dürfe den russischen Präsidenten Wladimir Putin nicht demütigen. Draghi hat einen Friedensplan vorlegt, der den russischen Angreifern in die Hände spielt.

Die drei hatten bei ihrer Reise in die Ukraine in der vergangenen Woche außer Solidarität nichts im Gepäck. Deshalb mussten sie dem Drängen der ukrainischen Regierung zumindest in einem Punkt nachgeben. Sie wollten nicht ganz mit leeren Händen dastehen.

Der Kandidatenstatus wird nun allenthalben als wichtiges Signal gelobt, in Kommentaren und von den Verantwortlichen selbst. Die Ukraine gehöre in die europäische Familie, sagte Scholz in Kiew.

Wie ernst das gemeint ist, sieht man an den Einschränkungen, mit denen das Versprechen versehen ist. Es dürfe »keine Abkürzungen« auf dem Weg in die EU geben, hatte der Kanzler zuvor im Bundestag betont. »Das Verfahren wird Jahrzehnte dauern«, sagte der französische Präsident Emmanuel Macron im Europäischen Parlament. Ein Kandidatenstatus für die Ewigkeit sozusagen.

Dabei haben Scholz und Macron in der Sache recht. Der Rechtsstaat in der Ukraine ist weit von europäischen Standards entfernt, die Korruption endemisch. Die Ukraine sei ein Land, »des­sen Ver­wal­tung, Par­la­ment, Par­tei­en, Fern­seh­kanä­le, Ge­richte von we­ni­gen Super­rei­chen kon­trol­liert wer­den«, schrieb der SPIEGEL vor zwei Jahren.

Stimme alles, sagen die Befürworter, aber das wisse die Regierung in Kiew auch. Wichtig sei der Kandidatenstatus dennoch – als Symbol europäischer Solidarität.

Das ist gleich in zweifacher Hinsicht falsch.

Zum einen ist fraglich, ob die ukrainische Führung den gleichen Zeithorizont hat wie die EU. Sein Land habe »auf unserem Weg in die Europäische Union einen weiteren Schritt gemacht, einen wichtigen und nicht nur formalen«, sagte Präsident Wolodymyr Selenskyj, als er den Antrag auf Mitgliedschaft einreichte. »Das dauert üblicherweise Monate, aber wir haben das innerhalb von Wochen erledigt.«

Da schwingt die Erwartung mit, dass die Ukraine nicht nur den Kandidatenstatus schnell erhält, sondern dass auch der eigentliche Beitritt eher eine Frage von Jahren als von Jahrzehnten sein wird. Das kann nur in einer bösen Enttäuschung enden. Im schlimmsten Fall wird es zu einer Entfremdung der Ukraine von der EU führen.

Womit wir beim symbolischen Gehalt der Sache wären. Ein Symbol ist die Verleihung des Kandidatenstatus tatsächlich – weniger für die Ukraine, sondern für die Staaten des Westbalkans.

Die bemühen sich seit Langem vergeblich darum, mit der EU über einen Beitritt verhandeln zu dürfen. Mazedonien hat alle Forderungen aus Brüssel erfüllt und sogar seinen Namen geändert – um dann durch ein bulgarisches Veto gestoppt zu werden. Serbien droht immer weiter in den russischen Orbit zu driften, weil die EU dem Land keine konkrete Perspektive eröffnet.

Mit der Verleihung des Kandidatenstatus an die Ukraine sendet die EU eine klare Botschaft an diese Länder: Ihr seid uns nicht so wichtig. Das ist unnötig und politisch kurzsichtig. Der Balkan ist für Sicherheit und Frieden in Europa genauso relevant wie die Ukraine. Das zeigen die Kriege der Vergangenheit.

Die EU ist im Übrigen selbst nicht auf eine Erweiterung vorbereitet. Solange in wichtigen Fragen Einstimmigkeit erforderlich ist, ergibt die Aufnahme neuer Mitglieder keinen Sinn. Sie würde nur die Handlungsfähigkeit der Union gefährden.

Statt unrealistische Versprechen zu machen, sollte die EU sich mit ihren Nachbarn auf neue Formen der Zusammenarbeit verständigen, eine schrittweise Integration in den gemeinsamen Markt zum Beispiel oder die Aufnahme in den Schengenraum. Das dürften keine Alternativen zur Vollmitgliedschaft sein, sondern Zwischenstufen auf dem Weg dorthin.

Über all das hätte man mit der Ukraine ehrlich reden müssen. Der Kandidatenstatus ist ein Muster ohne Wert.


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