»Guten Morgen«, sagt Björn Höcke, noch freundlich. Dann ermahnt er die AfD-Delegierten auf dem Bundesparteitag deutlich, die Stimme jetzt kälter: »Fangen wir endlich an, politisch zu denken!«. Als er zur Erklärung ausholt und über den Verfassungsschutz spricht, ist sie eisig. Dieser sei ein »Machtinstrument« der politischen Gegner, ihn dürfe es eigentlich in einem Rechtsstaat nicht geben.
Die AfD, so Höcke, solle künftig »qua unserer eigenen Kraft, unseres eigenen Selbstbewusstseins, unseres eigenen Willens« bestimmen, wer Extremist sei und von wem sich die Partei abgrenze. Da solle man sich nicht nach dem Verfassungsschutz richten. Deswegen sollen die Delegierten beschließen, eine rechtsextreme Gewerkschaft von der Unvereinbarkeitsliste der AfD zu streichen. 60 Prozent stimmen anschließend dafür. Mitglieder dieser Gewerkschaft aus Baden-Württemberg dürfen nun auch in die AfD eintreten.
Die Abstimmung zeigt exemplarisch, wie die Machtverhältnisse in der Partei sind – und wie sie künftig auftreten wird: radikaler im Ton, ohne Rücksicht auf den Verfassungsschutz. Denn der rechtsextreme thüringische Landeschef Höcke und seine Getreuen prägten den Parteitag maßgeblich, Kritik wurde niedergestimmt. Und sie legten sich mit dem neuen Vorstand an, zeigten, dass sie noch mehr Einfluss wollen, als sie ohnehin schon haben.
Noch am Samstagabend hatte der frisch im Amt bestätigte Parteichef Tino Chrupalla von »Aufbruch« gesprochen. Endlich sollte die Einigkeit kommen, die die AfD aus der Krise führt, so sein Plan. Doch davon konnte am dritten Tag in Riesa nicht die Rede sein.
Dabei war der Bundesparteitag ruhig gestartet. Es wurde entschieden, dass künftig auch eine Einserspitze möglich sein soll, diesmal aber noch zwei Personen die AfD führen. Wenig überraschend wurden am Samstag dann Chrupalla und Alice Weidel gewählt.
Auch die restlichen Vorstandwahlen liefen für AfD-Verhältnisse wenig aufgeregt ab, und das, obwohl es keiner der weniger Radikalen in das Gremium schaffte. Neun der 14 Gewählten sind Leute von Chrupallas Liste, darunter Höcke-Vertraute. Der brachte dann noch zwei eigene Leute in den Vorstand, die Chrupalla nicht auf dem Zettel hatte. Außerdem wurden vier weitere gewählt, mit denen beide keine Probleme haben dürften, da sie als »flexibel« gelten.
Am Sonntag wollte die Partei dann mit ihrem »homogenen« Vorstand, wie es Parteivize Stephan Brandner nannte, durchstarten. Doch als es um die erste inhaltliche Resolution ging, brach der Streit wieder aus, und wie. Björn Höcke hatte sie eingebracht, forderte die Auflösung der Europäischen Union.
Stattdessen soll eine neue Wirtschafts- und Interessengemeinschaft gegründet werden, ohne Euro und EZB. Die einzige wirkliche exekutive Zusammenarbeit soll es beim Grenzschutz geben, von der »Festung Europa« ist die Rede, inklusive physischer Barrieren, also Mauern oder Zäunen. Unterstützt wurde sie unter anderem von Chrupalla, dem Ehrenvorsitzenden Alexander Gauland, sowie den beiden neuen Vorständen Martin Reichardt und Maximilian Krah.
Geschrieben ist die Resolution in typischem Höcke-Duktus, rassistisch, verschwörungsideologisch. Es ist etwa die Rede von »Globalisten«, »abgehobenen Eliten« und »Kadern hoch bezahlter Bürokraten«, die skrupellos seien. Die Sprache sorgte für Unmut, ein Delegierter nannte sie inakzeptabel. Auch Alice Weidel stellte sich zumindest teilweise dagegen, sprach davon, dass die Resolution »streckenweise unseriös«, obwohl sie inhaltlich »in die richtige Richtung« gehe.
Der Ton verschärft sich nach und nach
Zwei Stunden und 20 Minuten geht die Debatte insgesamt, der Ton verschärft sich nach und nach, es wird laut und höhnisch gelacht, sich gegenseitig vorgeworfen, die Abstimmung verhindern zu wollen mit unlauteren Mitteln. Immer wieder werden Geschäftsordnungsanträge eingebracht, um den Parteitag zu unterbrechen, damit »alle mal an die frische Luft können«. Selbstkritisch bemerken mehrere Delegierte, dass man sich vor den Medienvertretern blamiere, doch es nützt nichts. Immer wieder gehen die Abstimmungen knapp aus, immer wieder tragen die profiliertesten Rechtsextremen aus Höckes Umfeld vor, immer wieder gewinnen sie.
Erst als Chrupalla sich gemeinsam mit sechs Landeschefs, darunter der Sachse Jörg Urban, auf die Bühne stellt und darum bittet, die Resolution an den Bundesvorstand zu überweisen, hat er Erfolg. Rund 56 Prozent stimmen dafür, wohl aber nur, weil die Befürworter der Resolution wissen, dass es im Bundesvorstand nun eine Mehrheit für ihre Positionen gibt. Und weil die neue Parteispitze sonst schon an ihrem ersten richtigen Arbeitstag blamiert worden wäre.
Um eine ähnliche Situation nicht noch einmal vorzuführen, beantragte ein Delegierter danach sofort, den Parteitag zu beenden, mit Erfolg. Danach hätten nämlich unter anderem zwei weitere Höcke-Projekte auf der Tagesordnung gestanden: eine Resolution gegen Waffenlieferungen, in der man sich gegen einen Beitritt der Ukraine in die Nato ausspricht, und mit der die Blockade von Nord Stream 2 aufgehoben werden soll, wie alle Sanktionen.
Außerdem wollte der Thüringer eine maximal elfköpfige »Kommission zur Vorbereitung einer Parteistrukturreform« installieren. Diese hätte sich darum kümmern sollen, dass die Basis gestärkt, der Bundesvorstand eingehegt und der Nachwuchs besser gefördert wird, alles Anliegen, die Höcke schon länger hat – und die ihm eine gute Rampe geboten hätten, um in zwei Jahren selbst als Parteichef anzutreten. Schließlich soll der Leiter der Kommission eng an den Vorstand angebunden werden.
Dazu kam es nun nicht. Beerdigen wird Höcke das Projekt aber sicher nicht, im Gegenteil. Und bis die Kommission eingesetzt ist, hat er über den Vorstand eine gute Machtbasis, um die AfD weiter zu prägen – und denen, die ihn einhegen wollen, das Leben schwer zu machen.
Chrupalla und Weidel gelten bei manchen unterdessen schon am Sonntag als beschädigt. »Der Parteichef sitzt da, so viel ist jetzt schon mal klar«, sagt ein Bundestagsabgeordneter am Rande der Halle – und zeigt zu dem Tisch, an dem Höcke sitzt.