Als das Ergebnis über die Bildschirme flimmert, sieht man Alice Weidel die Erleichterung richtig an, die Augen glänzen feucht. 67 Prozent hat sie geholt, ihr Gegenkandidat, Nicolaus Fest, nur knapp 21, die restlichen rund zwölf Prozent der Delegierten wollten keinen der beiden. Dafür, dass Weidel angeblich gar nicht kandidieren wollte, wie ihr Umfeld immer wieder erzählt hatte vor dem Parteitag, ist das ein starkes Ergebnis. Feste umarmte sie dann auch Tino Chrupalla, mit dem sie fortan die AfD führt.
Es ist das erwartete Ergebnis, die Partei geht auf Nummer sicher – und rückt nun auch im Bundesvorstand dorthin, wo die AfD schon lange steht, weit nach rechts. Gemeinsam waren sie schon das Spitzenduo im Bundestagswahlkampf und führen seit dem vergangenen Herbst die Fraktion im Bundestag. Es ist eine klassische Arbeitsteilung: West-Ost-Paarung, die 43-Jährige stammt aus Baden-Württemberg, der 47-Jährige aus Sachsen, Frau und Mann, Akademikerin und Malermeister. Die, die gegen sie angetreten waren, um die Partei gemäßigter erscheinen zu lassen, die einen anderen Stil wollten, hatten keine Chance.
In den vergangenen Monaten hatten Vertreter dieses Lagers die Partei verlassen, zuletzt im Januar Co-Parteichef Jörg Meuthen. Dessen Eintritt in die »Zentrumspartei«, einst eine Partei des deutschen Katholizismus, kommentierte Weidel sarkastisch: Für seine Pressekonferenz habe Meuthen einen teuren Raum in der Bundespressekonferenz angemietet, dabei hätte »ein Beichtstuhl auf einem Friedhof ausgereicht«.
In Riesa ging es dann nicht nur um den ehemaligen Chef, sondern auch um die Einbußen bei den vergangenen zehn Wahlen, in Schleswig-Holstein flog die AfD gar aus dem Landtag. Der sächsische Landeschef Jörg Urban, der wie der Thüringer Landeschef Björn Höcke zum inzwischen offiziell aufgelösten rechtsextremistischen »Flügel«-Netzwerk zählt, sprach von den »Mühen der Ebenen«, in denen man nach den vorangegangenen »Siegeszügen« angekommen sei. Das könne man nur durch »geschlossenes Auftreten«, einen »großen bewussten Schritt zu einer Professionalisierung«, aber auch »den Aufbau neuer Medien« ändern.
Der Machtkampf der vergangenen Monate und das Misstrauen untereinander wurden ebenso sichtbar, rund um die Wahlen des neuen Bundesvorstands. Ein Delegierter holte sich am Samstag von der Versammlungsleitung eine Rüge ein, weil er Chrupallas Gegenkandidaten Norbert Kleinwächter zuvor der Verbreitung von »Lügen« bezichtigt hatte. Der wiedergewählte Bundesschatzmeister Carsten Hütter musste sich von einem Delegierten sogar fragen lassen, ob er für einen Nachrichtendienst arbeite oder gearbeitet habe – was er verneinte.
Erleichtertes »Ja«
Der alte und neue Vorsitzende Chrupalla – er führte das Amt seit Meuthens Austritt im Januar allein – hatte in den vergangenen Monaten schon viel Häme über sich lesen müssen: Seine rednerischen Fähigkeiten wurden von Parteikollegen kritisiert, sein Führungsstil, oft in anonymer Form über Medien. Chrupallas Auftritte indes waren in den vergangenen Monaten trittsicherer geworden. Das sollte ihm auch in Riesa zugutekommen. Am Samstag las er nur Teile seiner Ansprache vom Blatt ab – und am Applaus wurde deutlich, dass die Stimmung unter vielen Delegierten auf seiner Seite lag.
In seiner Rede inszenierte sich Chrupalla, der als Handwerkmeister einst einen eigenen Betrieb führte, ganz als Mann der einfachen Mitglieder. Er sei der »Bundessprecher der Basis«. Wenn er angegriffen werde, dann nur, damit diese »zum Schweigen gebracht wird«. Und er verortete die AfD: Man sei »keine zweite FDP und auch nicht zweite CDU und SPD«, mache »nicht mit bei Impfpflicht, Krieg und offenen Grenzen«. Auch seine Angriffe auf CDU-Chef Friedrich Merz sorgten für Applaus: Der sei »kein Patriot, er will den Weltkrieg und er will die Impfpflicht«. Als sein Ergebnis von rund 53 Prozent dann auf den Bildschirmen in der Halle erschien, ertönte ein lautes, erleichtertes »Ja« aus der Ecke der sächsischen Delegierten, seinem Landesverband.
Sein Gegenkandidat Norbert Kleinwächter bekam nur rund 36 Prozent. Der Brandenburger galt als letzte Hoffnung des ehemaligen Meuthen-Lagers. Einst hatte er sogar mal der linken WASG von Oskar Lafontaine angehört, zu »Studienzeiten«, wie er bei seiner Vorstellung fast entschuldigend anmerkte. Er sei »kein Lagerhengst, kein Fädenspinner«, deswegen habe seine Karriere in der AfD immer am »seidenen Faden« gehangen. Er sei aber überzeugt, dass er der Partei nun helfen könne, einen anderen Stil zu finden, eine »bürgerliche Partei, liberal und konservativ«. Kleinwächter erklärte gar, man vertrete die »Mehrheit in unserem Land, sie weiß es nur nicht«. Dass auch Kleinwächter die AfD-Klaviatur mühelos bespielen kann, zeigte seine Äußerung über »illegale Merkel-Migranten«, die zu Hunderten die deutsche Staatsbürgerschaft bekämen. Auch das half ihm nicht.
»Viele sind frustriert, viele sind entmutigt«
Noch schlechter als Kleinwächter schnitt der AfD-Europaabgeordnete Fest ab, mit knapp 21 Prozent. Er warb für Harmonie in der AfD, er habe diese als zeitweiliger Berliner AfD-Landeschef auch »herbeigeführt«. Doch Fests Rede geriet zur verheerenden Zustandsbeschreibung – oder zum »AfD-Bashing«, wie es ihm später ein Delegierter vorhielt. Die AfD, behauptete Fest, sei zwar »programmatisch exzellent aufgestellt«, man werde aber »nicht gehört« und »nicht zur Kenntnis genommen«. Und fragte, wer eine Partei wählen wolle, in der Mitglieder nach der Wahl der Spitze erklärten: »Alle doof, alle unfähig, alle korrupt«. Viele in der Partei und den Anhängern »wenden sich ab, viele sind frustriert, viele sind entmutigt«.
Björn Höcke gratuliert Tino Chrupalla nach der Wahl zum Parteichef
Foto: IMAGO/Revierfoto
Die Partei scheint tatsächlich unter einem starken Mitgliederschwund zu leiden, zumindest beklagte dies ein Delegierter. Die offizielle Gesamtzahl will die AfD nicht bekannt geben, selbst bei der Präsentation des Rechenschaftsberichts am Freitagabend wurde sie nicht offengelegt – gemunkelt wird, die Zahl liege inzwischen unter 30.000. Der alte Bundesvorstand gab nur bekannt, dass zwischen Ende November 2020 bis Mitte Juni 2022 9893 Personen ihre Mitgliedschaft beendet hätten, darunter acht Mitglieder, die aus der Partei ausgeschlossen worden waren. Im selben Zeitraum seien 5536 neue Mitglieder aufgenommen worden. Chrupalla räumte immerhin ein, dass so manches Mitglied die Partei auch wegen der Corona-Politik verlassen habe.
Ansonsten verortete Chrupalla die Krise der vergangenen Monate vor allem bei seinen Gegnern im Bundesvorstand, genau wie Weidel: »Nichts hasst der Wähler mehr als eine Partei, die sich mit sich selbst beschäftigt«, sagte sie in ihrer Bewerbungsrede. Man müsse das Land in den Vordergrund stellen, nicht die eigenen Befindlichkeiten. Für die Zukunft wolle sie, dass die Delegierten einsähen, dass nicht »jeder Nackenschlag ein Knockout« sei. Auch die Themen der Zukunft will sie ausgemacht haben: Inflation, Teuerung, Energiekrise. »Eine Inflationsrate von 10 Prozent ist noch gar nichts, wir werden noch mehr sehen«, orakelt Weidel etwa, »was glauben wir, was eigentlich in diesem Land los sein wird« – und dann sei die AfD die einzige Partei, die Probleme löse.
Die AfD, auch das wird in Riesa deutlich, sucht nach Themen, nach dem Euro in der Gründungsphase, der Migration unter Kanzlerin Merkel, dem Kampf gegen eine Impfpflicht gegen Corona und der jüngsten Inszenierung als »Friedenspartei« vor dem Hintergrund des Ukrainekriegs kam in Sachsen die Atomkraft hinzu: Am Vortag hatte die Partei sich für den Neubau von Kernkraftwerken in Deutschland ausgesprochen.
Höcke im Hintergrund umtriebig
Wie schon vor zwei Jahren auf dem Parteitag in Dresden ist auch diesmal in Riesa im Hintergrund einer besonders aktiv: Björn Höcke. Mit seinen Getreuen hatte er am Freitag bereits einen Antrag für eine Satzungsänderung durchgesetzt, wonach künftig auch eine Einer-Spitze gewählt werden kann. Dass er diese demnächst will, machte er in Riesa hinlänglich klar. Zwar sei dies »jetzt noch zu früh«, in zwei Jahren aber nicht mehr.
Genau so kam es auch am Samstag, als sich rund zwei Drittel der Delegierten für diese Runde noch gegen eine Einer-Spitze aussprachen. Kritik an einer Einer-Spitze von früheren Meuthen-Getreuen wie Albrecht Glaser, der dies als »gegen die DNA dieser Partei« bezeichnete – bügelte Höcke ab. »Die DNA der AfD muss der Erfolg sein, nicht die Doppelspitze«, sagte er, dem sei »alles unterzuordnen«. Er ließ zudem erkennen, dass er sich beim Modell einer künftigen Einer-Spitze auch den Posten eines Generalsekretärs wünscht. Der Vorsitzende solle durch einen Generalsekretär »gestärkt« und »flankiert« werden.
Höckes Erfolge
Schon am Freitagmorgen, kurz vor zehn Uhr, wurde Höcke von Journalisten nach seinen Ambitionen gefragt. Da hielt der Thüringer AfD-Chef sich noch bedeckt, was eine mögliche Kandidatur für den Bundesvorsitz anging. Er fühle sich »eigentlich ganz glücklich in Erfurt«, sagte er. Allerdings verwies er auf die Parteistrukturkommission, ein neues Gremium, das er per Antrag installieren lassen will und für dessen Vorsitz er gehandelt wird. Den Delegierten sagte er, diese solle »effektivere Strukturen« schaffen, um die AfD »schlagkräftiger« zu machen. Der Bundesvorstand dürfe nicht wie in der Vergangenheit von »Narzissten« ausgebremst werden.
Dass die Rechtsextremisten sich weiter in der Partei konsolidieren, zeigte auch die Wahl des Bundesschiedsgerichts. Mit 76 Prozent wurde etwa Gereon Bollmann gewählt, der Präsident des Landesschiedsgerichts Schleswig-Holstein war, das die »Flügel«-Frau Doris von Sayn-Wittgenstein nicht aus der AfD ausschließen wollte. Unter dem Jubel der Sachsen schaffte es auch Roland Ulbrich ins Richtergremium. Der Jurist erklärte, mit ihm werde es keine »PAV-Orgien geben« – PAV steht für Parteiausschlussverfahren. Mit 52 Prozent schaffte Ulbrich den Sprung ins Bundesschiedsgericht.
Wie sehr manche in der Partei sogar noch dem Rechtextremisten Andreas Kalbitz hinterhertrauern, den Meuthen mit seiner Mehrheit im Bundesvorstand im Mai 2020 aus der Partei geworfen hatte, zeigte eine Abstimmung am Freitag. Der brandenburgische Landesverband hatte beantragt, dessen Auftrittsverbot aufzuheben. Hans-Thomas Tillschneider, ebenfalls Teil des Netzwerks, machte sich dafür stark: Unabhängig wie man zur »Person Kalbitz« stehe, habe sich der ja »nicht in Luft aufgelöst, er ist und wirkt in der brandenburgischen Landtagsfraktion«.
Im Hintergrund hatte es dann wegen der Landtagswahlen im Oktober in Niedersachsen Absprachen gegeben, den Antrag nicht zu behandeln. Am Ende wurde gegen eine Befassung gestimmt – allerdings knapp: 46 Prozent hätten dies gern gewollt.