Ausgelacht vom eigenen Minister
Es gibt viele schlechte Charaktere auf der Welt, das ist nun mal so. Die entscheidende Frage ist, wie viel Spielraum sie bekommen. Was hat man sich nicht den Kopf über Donald Trump zerbrochen, jahrelang ging das so: seine Frauen, seine Kindheit, seine Persönlichkeitsstörungen. Das war ja auch alles hochinteressant, aber es war leicht, sich allein auf ihn zu fixieren – und dabei allzu oft die Verantwortung derjenigen zu übersehen, die ihm aus Eigennutz den Weg bereitet haben.
Heute findet die dritte öffentliche Anhörung des Untersuchungsausschusses zur Attacke auf das US-Kapitol statt. Der Ausschuss soll die Hintergründe des Angriffs aufklären. Am 6. Januar 2021 hatten Anhänger des damaligen republikanischen Präsidenten Donald Trump den Parlamentssitz in Washington erstürmt. Sie wollten verhindern, dass der Wahlsieg des Demokraten Joe Biden vom November 2020 bestätigt wird.
In den USA aber haben die Republikaner – Trumps Partei – bisher nicht viel Interesse an der Aufklärung gezeigt. Sie sehen im Untersuchungsausschuss lediglich ein Mittel der Demokraten, Trump für die nächsten Präsidentschaftswahlen unmöglich zu machen.
Ehemaliger US-Präsident Trump
Foto:
AFP
Ändert sich das dadurch, dass sich nun Republikaner aus Trumps damaligem Umfeld von ihm distanzieren? Bei den Befragungen gaben selbst engste Mitarbeiter Trumps an, erfolglos versucht zu haben, den abgewählten Präsidenten von seiner Behauptung abzubringen, es habe einen Wahlbetrug gegeben. Trumps damaliger Justizminister William Barr gab zu Protokoll, Trump habe sich »von der Realität losgelöst«, seine Behauptungen über Wahlbetrug seien »Schwachsinn«, »Schwindel« und »idiotisch«. Auf einer Videoaufnahme sieht man Barr bei seiner Befragung fassungslos auflachen, als er über Trumps Verhalten berichtet.
Sollte es für die USA überhaupt einen Weg geben, der wegführt von Trumps dämonischer Macht, dann geht das nur über die Leute, die ihm nahe sind oder waren. Demokraten könnten noch so viele Beweise für die Ruchlosigkeit Trumps auftürmen – nützen würde das in diesem tief gespaltenen Land kaum etwas.
Schon vor der Eröffnung hat sich die Kulturpolitik mit der Documenta blamiert
Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier ist heute noch in Singapur und wird anschließend nach Indonesien reisen. Am Samstag wird er die Documenta in Kassel eröffnen. Eine indonesische Künstlergruppe hat die Ausstellung vorbereitet.
Ob diese 15. Documenta vor allem durch die dort gezeigte Kunst zu einer der Schauen werden wird, die im kulturellen Gedächtnis bleibt, wird sich noch herausstellen. Schon jetzt aber, so schätzt es meine Kollegin Ulrike Knöfel ein, gehöre die Debatte im Vorfeld der Ausstellung »zur deutschen Geschichte, und sie wirft kein gutes Licht auf den deutschen Kulturbetrieb«.
Jüdische Organisationen bis hin zum Jüdischen Weltkongress haben Sorgen geäußert, da die weltweit bedeutendste Ausstellung moderner Kunst auch Kuratoren und Künstler fördert, die die antiisraelische BDS-Bewegung unterstützen. Die Boykottbewegung trifft immer wieder auch israelische Kunstschaffende. Der Deutsche Bundestag hat die Bewegung in einer Resolution 2019 als antisemitisch eingestuft.
Blogger legten Anfang des Jahres die BDS-Bezüge offen. Seitdem ist es der deutschen Kulturpolitik weder gelungen, die dadurch entstandenen Sorgen auszuräumen, noch sie überhaupt auf eine Weise zur Diskussion zu stellen, die der Dimension der Debatte gerecht würde. Es ist ja keine Kleinigkeit, wenn eine in Deutschland gezeigte Ausstellung, auf die die ganze Welt schaut, Vertretern des Judentums Sorgen bereitet.
Kulturstaatsministerin Claudia Roth bei ihrem Besuch in der Holocaust-Gedenkstätte Yad Vashem in Israel im Mai
Foto: Abir Sultan / EPA
Kulturstaatsministerin Claudia Roth hat versucht zu vermitteln, nur ist sie selbst keine neutrale Figur. Sie hat sich 2019 in einer persönlichen Erklärung von der Bundestags-Resolution abgesetzt. Im SPIEGEL-Gespräch hat sie sich nun verteidigt.
Der Bundespräsident sollte sich in seiner Eröffnungsrede davor hüten, in die Äußerungen einiger Politiker und auch Kulturjournalisten einzustimmen, man solle sich die Schau doch erstmal ansehen, die sei ja gar nicht so politisch. Die Debatte wird sich von der Kunst gar nicht mehr trennen lassen. Kunst steht ja ohnehin nie ganz für sich, sondern wirkt immer auch durch den Rahmen, in dem sie gezeigt wird, ihre Rezeption verändert sich durch das Wissen ihrer Betrachter.
Es braucht endlich klare Worte zu der Debatte. Steinmeier wird sie finden müssen.
Ist Merz modern oder will er es nur sein?
Seine neue Brille steht ihm gut, er wirkt jünger und moderner damit. Auch sonst versucht CDU-Chef Friedrich Merz den Eindruck zu vermeiden, er sei ein typischer CDU-Mann der Neunzigerjahre. Dieser Ruf, der ihm immer noch anhängt, scheint ihm lästig zu sein.
Foto: SASCHA STEINBACH / EPA
Nun hat der CDU-Chef eine ideale Gelegenheit, sich für ein dringend benötigtes Mittel zur Modernisierung seiner Partei einzusetzen: einer Verschärfung der parteiinternen Frauenquote. Seitdem sich Angela Merkel und Annegret Kramp-Karrenbauer, die Alpha-Frauen der Partei, zurückgezogen haben und Ursula von der Leyen nach Brüssel gegangen ist, wird sichtbarer, was vorher schon zahlenmäßig belegt war: Die CDU wird immer noch von Männern dominiert, so besteht die Basis zum Beispiel nur zu einem Viertel aus Frauen.
Heute will der CDU-Vorstand über die Quote beraten. Wie wird Merz sich verhalten? Meine Kollegin Sophia Garbe und mein Kollege Florian Gathmann schätzen die Lage folgendermaßen ein: »Merz mag kein Quotengegner mehr sein, aber ein Befürworter ist aus ihm auch nicht geworden. Er ist irgendwo dazwischen gelandet, er vermeidet ein Bekenntnis.«
Eine solche Haltung passte weder zu seinem neuerdings angestrebten Image noch zu seinem altbewährten. Das altbewährte Image sieht nämlich vor, dass ein Herr Merz entschieden in allen Fragen ist.
Nachrichten und Hintergründe zum Krieg in der Ukraine finden Sie hier:
-
Das geschah in der Nacht: Die Regierung in Kiew hat kein Interesse an einem Friedensplan à la Minsk. Russland soll die Adoption ukrainischer Kinder stoppen. Und: Joe Biden will Getreidesilos an der polnischen Grenze. Der Überblick.
-
Warum die Getreideblockade so schwer zu lösen ist: Die russische Sperre der ukrainischen Häfen könnte die Welt in eine Hungerkrise stürzen. Verhandlungen über einen Seekorridor sind wenig aussichtsreich – und für eine militärische Option bleibt nur wenig Zeit.
-
Kiews überraschende Waffenwunschliste: 1000 Haubitzen, 300 Raketenwerfer, 1000 Drohnen: Ein Berater von Präsident Selenskyj hat so viele schwere Waffen angefordert, dass selbst die US-Armee den Wunsch kaum erfüllen kann. Was steckt dahinter?
-
Die gefährlichste Phase für die Ukraine: Die Schlacht um den Donbass verläuft fast statisch: Russland macht kleine, aber beständige Landgewinne, die ukrainische Gegenwehr wird verzweifelter. Ohne westliche Hilfe dürfte es für die Verteidiger schwierig werden.
Die jüngsten Meldungen aus der Nacht
-
Großbritannien muss umstrittenen Abschiebeflug nach Ruanda stoppen: Am Dienstagabend sollte der erste Abschiebeflug aus Großbritannien nach Ruanda starten. Aber der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte durchkreuzte das Vorhaben der Regierung von Premier Johnson vorerst.
-
Elefant ist keine »Person« – und hat nicht gleiche Rechte wie ein Mensch: »Intelligent« aber keine »Person«: Im Fall der Elefantendame »Happy« hat eine US-Richterin entschieden. Tierschützer hatten dem Dickhäuter das Recht auf körperliche Freiheit erstreiten wollen – doch daraus wird nichts.
-
Kantersieg über Italien – Deutschland spielt sich frei: Nach zuletzt drei Unentschieden hat die DFB-Elf in der Nations League den ersehnten ersten Sieg geholt und dabei teilweise begeistert. Mit einem guten Gefühl geht es für die Nationalspieler jetzt in den Urlaub.
Die SPIEGEL+-Empfehlungen für heute
-
»Das könnte kriegsentscheidend werden«: Putin könnte den Vormarsch seiner Truppen künftig mit massiven Cyberattacken flankieren, warnt der Wiener Sicherheitsexperte Cornelius Granig. Was in dem Fall droht – und warum Europa nicht gut vorbereitet ist .
-
»Man muss die verrückten Moden meiden«: Howard Marks wurde eine Investorenlegende mit Hochzinsbonds und Pleitefirmen. Teuer findet er heute Microsoft, Amazon und Apple. Ein Gespräch über Anlegen in turbulenten Börsenzeiten, Gold und den Reiz von Anleihen .
-
Die größten Irrtümer zur Teilzeit: Weniger Arbeit, weniger Stunden, weniger Rechte? Viele Beschäftigte möchten seltener im Büro sein und wünschen sich mehr Freizeit – aber welche Folgen hat das? Der Faktencheck.
-
Warum wir mehr schaffen, wenn wir Pausen machen: Menschen sind rhythmische Wesen. Unser Herz schlägt im Takt, und Phasen, in denen wir viel leisten, wechseln sich mit anderen ab, in denen wir Erholung brauchen. Wer das berücksichtigt, erschließt seine inneren Kraftquellen .
Ich wünsche Ihnen einen guten Start in den Tag.
Ihre Susanne Beyer