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News: Berlin, Amokfahrt, Olaf Scholz, Donald Trump, Windräder

Ein böses Erwachen

Der erste Tag nach der tödlichen Amokfahrt vom Breitscheidplatz. Ein Mann hat eine Lehrerin aus Hessen totgefahren, und 14 Schülerinnen und Schüler verletzt, teils schwer. Es ist schwer vorstellbar, dass viele Eltern aus Hessen, die gestern überstürzt angereist sind, um ihre Kinder abzuholen, heute früh in ihren Berliner Hotelbetten aufwachen und sich vielleicht nach ersten Sekunden der Verwirrung – wo bin ich hier? – klarmachen, dass sie nun ihre Kinder im Krankenhaus besuchen müssen. Wenn diese Eltern überhaupt schlafen konnten.

Rettungseinsatz in Berlin


Foto: MICHELE TANTUSSI / REUTERS

Und ausgerechnet die Gegend um den Breitscheidplatz war Schauplatz des Angriffs eines Deutsch-Armeniers. Hier hatte schon kurz vor Weihnachten 2016 ein terroristischer Anschlag zwölf Menschen aus dem Leben gerissen, 67 Personen wurden verletzt.

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Heute wird die Berliner Innensenatorin Iris Spranger (SPD) im Abgeordnetenhaus über ihren Kenntnisstand zu der Amokfahrt berichten. Eine vielleicht tröstliche Nachricht gibt es: Einige Dinge haben gestern in Berlin gut funktioniert. Sprangers Staatssekretär Torsten Akmann, schon länger im Amt als die Chefin, hat bereits 2020 ein neues Lagezentrum eingerichtet, direkt im Gebäude der Senatsverwaltung für Inneres, in praktischer Laufweite für den jeweiligen Amtsinhaber. Als Spranger die erste SMS über die Todesfahrt erhielt, brauchte sie nur drei Minuten, bis sie im Lagezentrum vor den Bildschirmen saß. Entsprechend schnell konnte sie nicht nur die Regierende Bürgermeisterin Franziska Giffey informieren, sondern auch die aus Hessen stammende Bundesinnenministerin Nancy Faeser, die die Nachricht in der Sitzung des Bundeskabinetts erhielt.

Auch die Berliner Polizei, Rettungskräfte und psychosoziale Nothelferinnen und -helfer konnten ihre traurigen Erfahrungen aus dem Weihnachtsmarktanschlag nutzen, konnten schnell eingreifen, die Zeugen und nur leicht verletzten Menschen in der nahegelegenen Gedächtniskirche abschirmen und versorgen. Für heute ist in Berlin Trauerbeflaggung angeordnet.

Minister nutzt Momentum

Olaf Scholz widmet sich heute wie jeden Tag der Zeitenwende. Aber heute geht es nicht um schweres Gerät wie Geparde, Panzerhaubitzen oder Ähnliches: Der Bundeskanzler spricht auf der re:publica, der wichtigsten Konferenz über die Trends der digitalen Gesellschaft, und zwar über »Digitalpolitik in der Zeitenwende«. Die Ankündigung liest sich ein bisschen vage, die Rede ist von Deutschlands und Europas Rolle in einer »sich wandelnden digitalen Weltordnung«.


Bundeskanzler Olaf Scholz

Bundeskanzler Olaf Scholz


Foto: FILIP SINGER / EPA

Vielleicht haben sie in der Abteilung 6 (Politische Planung, Grundsatzfragen), Referat 621 (Grundfragen der Digitalpolitik) im Kanzleramt noch bis gestern Nacht am Manuskript für das Impulsreferat gefeilt?

Scholz wirkte auf mich bislang eher wie der Typ Aktendeckel, als wie ein Geek, der sich für die Digitalisierung begeistert. Andererseits: Glaubt man den Kolleginnen und Kollegen in unserer Redaktionszentrale, sieht die digitalpolitische Bilanz von Scholz in Hamburg nicht übel aus. Die Verwaltung dort soll modern und schlagkräftig sein, teils sogar per E-Mail erreichbar, und auch die elektronische Akte dürfte dort jedenfalls schon länger in Gebrauch sein als in Berlin, wo man sich noch mit Pilotprojekten herumschlägt. Auch die Digitalwirtschaft in Hamburg hätte Scholz nach Kräften gefördert, heißt es, und sei dort exzellent vernetzt.

Natürlich kennt niemand diese Erfolge von Olaf Scholz so gut, wie Olaf Scholz selbst. Deshalb schlage ich vor, das re:publica-Publikum sollte sich heute für jedes »Hamburg« aus dem Kanzlermund einen Hamburger Kümmelschnaps genehmigen. Dann lässt sich vielleicht auch der später folgende Auftritt von Digitalminister Volker Wissing noch intensiver genießen, der unter dem Motto: »Das Momentum nutzen!« über die Digitalstrategie der Bundesregierung sprechen will: »Wir werden klar benennen, welche Hebel wir umlegen müssen, um das Internet schneller, das Surfen sicherer und die Innovationen anschlussfähig zu gestalten.«

Während Wissing spricht, wird Scholz schon wieder zur Zeitenwende 1.0 zurückgekehrt sein: Nato-Generalsekretär Jens Stoltenberg trifft heute in Berlin ein und wird neben Scholz auch Verteidigungsministerin Christine Lambrecht treffen.

»Dunkle Wolken am Horizont«

Gerade hat der »Corona-General« im Kanzleramt, Carsten Breuer, das Licht in seinen Stabsbüros ausgemacht und den Twitter-Account @ltrkrisenstab gelöscht. Seine Mission in der Regierungszentrale sieht er als vorerst beendet an. Ist sie das wirklich?


Impfzentrum in München

Impfzentrum in München


Foto: Wolfgang Maria Weber / IMAGO

Bundesweit wird die pandemische Infrastruktur abgebaut, werden große Impfzentren geschlossen, kehren die Mitarbeiter dort in andere Jobs zurück. Ist das klug? Albrecht Broemme, ehemaliger THW-Präsident warnt im Interview mit meiner Kollegin Anna Reimann vor den jetzt wieder steigenden Fallzahlen und den »großen Versäumnissen«, die er beobachte. Die Politik denke wieder nicht genug voraus, und das Versprechen, Impfzentren notfalls in vier Wochen wieder hochzuziehen, sei unmöglich zu halten, ist Broemme überzeugt.

So klingen auch die Warnungen des Corona-Expertenrats der Bundesregierung, der gestern eine Empfehlung vorgelegt hat: Es werde eine »solide rechtliche Grundlage für Infektionsschutzmaßnahmen benötigt, um schnell auf das Infektionsgeschehen reagieren zu können«, mahnt das Gremium. Denn die Impflücke in Deutschland und die schwindende Immunität könnten das Gesundheitssystem und die kritische Infrastruktur im Herbst und Winter (abermals) erheblich belasten.

Wie aus Regierungskreisen zu hören ist, soll Kanzler Scholz das Thema auch sehr ernst nehmen. Erst gestern soll er mit Blick auf den Expertenrat in der vertraulichen Vorbesprechungen zur Kabinettssitzung an sein Regierungsteam appelliert haben, in allen zuständigen Ressorts zu prüfen, was präventiv gegen Corona vorzubereiten sei. Die Regierung dürfe nicht unvorbereitet in die nächste Welle stolpern.

Verschwörung gegen die Demokratie

Der ehemalige US-Präsident Donald Trump wird heute von seiner Vergangenheit eingeholt, wieder einmal. Die Kommission zur Aufklärung des Sturms auf das Kapitol am 6. Januar 2021 beginnt mit den ersten öffentlichen Anhörungen in der Sache und präsentiert die Ergebnisse ihrer bisherigen Arbeit, inklusive Videos von Vernehmungen hinter verschlossenen Türen.


Donald und Ivanka Trump (2021)

Donald und Ivanka Trump (2021)


Foto: MANDEL NGAN / AFP

Zu erwarten ist ein beispielloses politisches Spektakel. Dabei dürfte Trumps Rolle bei den unheilvollen Ereignissen rund um die letzte Präsidentenwahl im Mittelpunkt stehen. Zur besten Sendezeit wird der Ausschuss tagen, und für diese erste von insgesamt sechs Sitzungen wurde eigens ein früherer TV-Produzent als Berater angeheuert. Die Erkenntnisse des Gremiums sollen für ein breites Publikum möglichst griffig und verständlich aufbereitet werden.

»Den Ermittlern geht es vor allem darum, aufzuzeigen, dass es sich beim Sturm auf das Kapitol am 6. Januar um ein orchestriertes Manöver handelte, bei dem auch Trump und enge Vertraute des damaligen Präsidenten ihre Finger im Spiel hatten«, schrieb mir unser USA-Korrespondent Roland Nelles. Außerdem soll aufgezeigt werden, wie Trump und seine Berater wochenlang mit unterschiedlichen Plänen versuchten, die offizielle Ernennung von Joe Biden zum neuen Präsidenten zu hintertreiben. Der Vorwurf: Trump und seine Leute waren mutmaßlich an einer »Verschwörung« gegen die rechtmäßig gewählte neue Regierung beteiligt. Den Vorbericht von Roland Nelles werden Sie heute auf unserer Seite lesen können.

Mit Verschwörungstheorien darf sich heute übrigens ein ganz anderer, noch amtierender Präsident herumschlagen: Frank-Walter Steinmeier verbringt drei Tage im baden-württembergischen Rottweil. Die Reise ist Teil der Gesprächsreihe »Ortszeit«, in deren Rahmen der Bundespräsident einige Tage in mittelgroßen Städten verbringt und versucht, in den Austausch mit den Deutschen zu treten. Dabei will Steinmeier bewusst dahin gehen, wo es weh tut. In Rottweil ist die »Querdenker«-Szene noch immer sehr aktiv, einer ihrer Frontmänner hat das Gespräch mit dem Präsidenten schon abgelehnt. Und wie die »Neue Rotttweiler Zeitung« berichtet, hatten die Coronaleugner eigens ihre »Montagsdemo« verlegt, um den Bundespräsidenten-Aufenthalt noch zu erwischen.

Verlierer des Tages…


Windräder (Symbolbild)

Windräder (Symbolbild)


Foto: Patrick Pleul / dpa

… ist das Windrad. Von einer Autobahn ist es eigentlich ganz nett anzusehen. Da steht es in der Abendsonne, riesengroß, majestätisch, mit geräuschlos drehenden Rotoren. Aber Hand auf Herz: Möchten Sie ein Windrad zum Nachbarn haben? Die wenigsten Menschen wollen im Schatten der Öko-Riesen leben. Deshalb verhängen immer mehr Bundesländer kilometerweite Mindestabstände zwischen Anlagen und Wohnhäusern – und auch die Grünen stimmten mitunter dafür, zum Beispiel jüngst in Sachsen.

Aber wie soll so die Energiewende gelingen? Vom Ziel der Bundesregierung, zwei Prozent der Flächen in Deutschland für Windräder zur Verfügung zu stellen, ist Deutschland noch weit entfernt. In den nächsten Tagen wird sich nun in Thüringen zeigen, wie weit die Freundschaft der Grünen zum Windrad reicht. Die hier in der Opposition befindliche CDU wollte auch in Thüringen einen Mindestabstand von 1000 Metern durchsetzen, und hätte diesen Antrag notfalls mit den Stimmen der AfD durchgebracht. Der linke Ministerpräsident Bodo Ramelow, der eine Minderheitsregierung anführt und deshalb immer wieder auf Stimmen der CDU angewiesen ist, hat nachgegeben und CDU-Verhandlungsführer Mario Voigt die Abstandsflächen zugesagt. Die Grünen sind empört – doch können sie noch kämpfen? Werden sie noch kämpfen?

Die Zeit drängt: Die Bundesregierung hat soeben einen neuen Gesetzentwurf auf den Weg gebracht, der den Ländern die Freiheit bei der Wahl ihrer Abstandsregeln nimmt. Falls sie nicht genügend Flächen für Windkraftanlagen freiräumen, gelten ihre Abstandsregeln nicht mehr. Das Thema hebt sicher auch die Stimmung bei den schwarz-grünen Koalitionsverhandlungen in Schleswig-Holstein und Nordrhein-Westfalen.


Die jüngsten Meldungen aus der Nacht

Die SPIEGEL+-Empfehlungen für heute

  • Wie Zalando in die Krise rutschte: Schwache Zahlen, Managementfehler, schmerzhafte Abgänge: Zalando ist aus dem Tritt geraten. Die Verträge der Firmengründer laufen bald aus. Wohin steuert das Techunternehmen? 

  • Warum sitzt seit 43 Jahren ein Politiker, den es nicht gibt, im Bundestag? Er ist SPD-Experte für Neufundländer, Tomaten, Taubenzucht und hat ein Gesetz zur Vorhersage des Wahlausgangs ersonnen – dabei existiert er gar nicht. Das Parlament will Jakob Maria Mierscheid trotzdem nicht missen 

  • Nur noch kurz die Welt retten: Robert Habeck will auf seiner Nahostreise das ganz große Rad drehen. Mit grüner Energie und entsalztem Wasser sollen Israelis und Araber künftig friedlich miteinander leben. Verhebt sich der Wirtschaftsminister? 

Ich wünsche Ihnen einen guten Start in den Tag.

Ihre Melanie Amann

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