In der Debatte über mögliche Coronamaßnahmen für den Herbst wird der Ton in der Ampelregierung rauer. Grünenchef Omid Nouripour fordert eine rasche Änderung des Infektionsschutzgesetzes, um für die kältere Jahreszeit vorbereitet zu sein – dafür hat sich auch Bundestagsvizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt (Grüne) ausgesprochen. FDP-Politiker Wolfgang Kubicki erinnert hingegen daran, dass es einen gesetzlichen Auftrag gebe, Coronamaßnahmen zunächst zu evaluieren. Nur auf der Grundlage eines entsprechenden Berichts könnten evidenzbasierte Entscheidungen getroffen werden.
Nouripour sagte den Zeitungen der Funke-Mediengruppe: »Wir brauchen eine Einigung, so schnell es geht. Je früher wir auf den Herbst vorbereitet sind, desto besser ist es. Länder und Kommunen brauchen einen Vorlauf.« Es gehe darum, die Fehler der letzten beiden Jahre nicht zu wiederholen. »Der Sommer darf nicht ungenutzt verstreichen«, betonte Nouripour.
Mit dem geänderten Infektionsschutzgesetz sind seit Anfang April allgemeine Maskenpflichten für Veranstaltungen oder beim Einkaufen sowie 2G- und 3G-Zugangsregelungen weggefallen. Vorerst gilt ein »Basisschutz« – etwa mit Maskenpflichten in Bussen, Bahnen, Kliniken, Praxen und Pflegeheimen. Unabhängig von staatlichen Vorgaben gibt es aber vielerorts, etwa in Kultureinrichtungen, auch weiter Schutzregeln mit Maskenpflichten. Die derzeit geltende Fassung des Gesetzes läuft bis zum 23. September. Der Deutsche Städtetag hatte eine Anpassung des Gesetzes noch vor der Sommerpause des Bundestages gefordert , um gegen Corona im Herbst gewappnet zu sein.
Nouripour erklärte: »Man muss die Maßnahmen steigern können, wenn sich eine Notlage entwickelt. Das beginnt mit der Maskenpflicht und Abstandsregeln und geht weiter mit Zugangsregeln wie 3G, also für Geimpfte, Genesene und Getestete.« Nötig sei eine Rechtsgrundlage, die so angepasst sei, dass das Notwendige vor Ort gemacht werden könne. »Stand jetzt haben wir dann nicht einmal eine rechtliche Grundlage für eine Maskenpflicht«, sagte der Grünenvorsitzende.
Wie schnell kann der Bundestag reagieren?
Auch Göring-Eckardt hatte Vorbereitungen für den Herbst gefordert – und die FDP ermahnt, dabei nicht zu bremsen. Kubicki hingegen sagte der Deutschen Presse-Agentur: »Es ist einer Bundestagsvizepräsidentin unwürdig, den Eindruck zu erwecken, als könne der Bundestag nicht schnell genug auf Herausforderungen der Pandemie reagieren.« Er empfehle den Grünen, zu einer faktenbasierten Politik zurückzukehren, statt weiter »eine angstbasierte Politik« zu betreiben. Sowohl Kubicki als auch Göring-Eckardt sind Bundestagsvizepräsidenten.
Der Grünen-Gesundheitsexperte Janosch Dahmen teilte mit: »Wenn etwas unwürdig ist, dann ist es die abwartende Haltung von Herrn Kubicki. Alle Koalitionspartner haben eine Verantwortung zur Vorsorge.« Das Prinzip Hoffnung sei in einer Pandemie verantwortungslos. Es gelte, jetzt vorzubeugen, damit im Herbst und Winter nicht wieder alles heruntergefahren und geschlossen werden müsse. »Die Bürgerinnen und Bürger erwarten, dass wir vorausschauend handeln und nicht die Hände in den Schoß legen. Vorsorge heißt, dass wir in der nächsten Welle schnell handlungsfähig sind. Wir sollten bald Maßnahmen beschließen, die im Fall einer Verschlechterung der Lage umgesetzt werden können.«
Der Bundestag hatte im Infektionsschutzgesetz festgelegt, dass es eine externe Evaluation der Vorgaben im Rahmen der mehrere Monate lang geltenden epidemischen Lage von nationaler Tragweite geben soll. Dafür war ein Sachverständigenausschuss eingesetzt worden, der laut Gesetz bis zum 30. Juni einen Bericht vorlegen soll. Dem Gremium gehören Wissenschaftler verschiedener Fachrichtungen an. Die Einschätzung des Expertenrats wird bereits demnächst erwartet.
Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) hatte bereits erklärt, er plane umfassende Vorkehrungen für eine voraussichtlich wieder angespanntere Coronalage nach dem Sommer.
Während Lauterbach glaubt, dass die nächste Coronawelle im Herbst bevorsteht, befürchten andere Expertinnen und Experten, dass die Varianten BA.4 und BA.5 bereits im Sommer wieder zu steigenden Fallzahlen führen könnten. Das Ausmaß der nächsten Welle ist noch nicht abzusehen. In Portugal hat sich der Subtyp BA.5 in den vergangenen Wochen bereits durchgesetzt. Zuletzt machte die Variante 87 Prozent aller Fälle aus. Innerhalb von drei Wochen hat sich die Zahl der Neuinfektionen im Land fast verdreifacht.
Nach bisherigen Erkenntnissen sind die Krankheitsverläufe bei den Subtypen BA.4 und BA.5 vergleichbar mit jenen der schon bekannten Omikron-Varianten BA.1 und BA.2. Verglichen mit früheren Coronavarianten, etwa Delta, verursachten sie deutlich seltener schwere Verläufe, bei denen Infizierte im Krankenhaus behandelt oder beatmet werden mussten oder gar verstarben.