Unvorstellbarer Unfall
Wenn in Deutschland ein Bahnunglück gemeldet wird, wie gestern aus Garmisch-Partenkirchen, überkommt mich ein sonderbares Gefühl, nicht nur wegen der Bilder, nicht nur wegen der Gedanken an die Menschen, die urplötzlich aus dem Leben gerissen wurden.
Entgleister Wagen in Burgrain bei Garmisch
Foto: NETWORK PICTURES / EPA
Fahrrad- und Autounfälle gehören in meiner Wahrnehmung zum deutschen Alltag, nicht aber der Unfall eines Zuges oder Flugzeugs. Mir scheint es undenkbar, dass bei hiesiger Vielfalt an Kontrolle, Materialsicherheit und Kompetenz je ein Zug aus technischen Gründen verunglücken könnte. Oft liegen einem solchen Unglück ja auch tatsächlich menschliche Fehler zugrunde. Welche Ursache für das Entgleisen des Regionalzugs verantwortlich war, wissen wir noch nicht.
Derartige Unfälle stürzen nicht nur viele Menschen in Trauer und Verzweiflung, sie sind auch für die Bahn eine Katastrophe, nicht nur aus Imagegründen. Geschieht ein solcher Vorfall auf einer Strecke, die mit hoher Auslastung und Baustellen womöglich ohnehin schon kurz vor dem Kollaps steht, liegt für lange Zeit alles darnieder.
Das Problem ist, dass die Zahl der fast kollabierenden Strecken zugenommen hat und damit die Anfälligkeit des gesamten Systems.
Verkehrsminister Volker Wissing
Foto: Britta Pedersen / dpa
Die Aufgabe des neuen Verkehrsministers Volker Wissing ist es nun, zuallererst die strukturellen Probleme zu lösen und Versäumtes der letzten Jahre nachzuholen. Die Herausforderung ist riesig. Wie Wissing sie bewältigen will, können Sie in der Titelgeschichte des neuen SPIEGEL lesen.
Drohender Tabubruch
Friedrich Merz hat ein Problem, mit dem schon seine Vorgängerin Annegret Kramp-Karrenbauer zu kämpfen hatte: Ein CDU-Landesverband akzeptiert eine gewisse Form der Zusammenarbeit mit der AfD – zum Entsetzen der Bundespartei.
Oppositionsführer Friedrich Merz
Foto: FILIP SINGER / EPA
2021 wurde so für kurze Zeit der FDP-Politiker Thomas Kemmerich zum Ministerpräsidenten von Thüringen gewählt, ein Tabubruch. Die damalige CDU-Vorsitzende Kramp-Karrenbauer reiste selbst nach Erfurt, um mit dem eigenen Landesverband Klartext zu sprechen. Die Thüringer Christdemokraten ließen die Chefin allerdings auflaufen, wenig später trat sie zurück.
Zwei Jahre nach der Skandal-Wahl steht der nächste mögliche Eklat an: Am Mittwoch soll in Thüringen über einen CDU-Antrag zu Abstandsregeln für Windräder abgestimmt werden. Die rot-rot-grüne Minderheitsregierung will nicht zustimmen, weil damit Flächen für den Windkraftausbau verloren gingen. Hingegen kündigten AfD und FDP Zustimmung an. Ein Skandal oder nur pragmatische Demokratie?
Grünen-Bundesgeschäftsführerin Emily Büning
Foto: Kay Nietfeld / dpa
In der CDU sei jetzt Führung gefragt, sagt SPD-Generalsekretär Kevin Kühnert in Richtung Friedrich Merz. Die Bundesgeschäftsführerin der Grünen, Emily Büning, erinnerte an das Versprechen des CDU-Vorsitzenden, eine Brandmauer zur AfD zu errichten.
Und Friedrich Merz?
Er selbst schweigt bislang. Im SPIEGEL hatte er einmal Parteimitgliedern, die eine Zusammenarbeit mit der AfD anstrebten, mit einem Parteiausschluss gedroht.
Seltene Offenbarung
Wer in den letzten Wochen Talkshows geguckt hat, kam an einem Mann kaum vorbei: Michael Roth, der Vorsitzende des Auswärtigen Ausschusses.
SPD-Politiker Michael Roth
Foto: Julia Steinigeweg
Allerorts erklärte er, warum er für die Lieferung von schweren Waffen in die Ukraine und warum er sich in diesem Punkt mit vielen in seiner Partei nicht einig sei. Laut und leidenschaftlich argumentierte der Sozialdemokrat, und wenn man ihn so sah, würde man niemals glauben, dass es hinter der Fassade auch einen ganz anderen Michael Roth gibt. Einen, der sich wenige Monate zuvor so innerlich ausgebrannt und leer fühlte, dass er sich professionelle Hilfe holte. Nun will sich Roth eine Auszeit nehmen.
Wie überfordernd das Leben eines Politikers sein kann, und wie schwer es gerade Politikern fällt, Schwächen zuzugeben, darum geht es in dem Stück meines Kollegen Veit Medick, der sich mit Michael Roth mehrmals getroffen – und jetzt seine Geschichte aufgeschrieben hat.
Was in der Ukraine geschieht
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Verlierer des Tages …
…sind alle Besitzer aller Bahn fahrenden Hunde. Obwohl ein Hund für gewöhnlich weder einen Sitzplatz noch Serviceleistungen wie die Toilette beansprucht, muss sein Frauchen oder Herrchen einen stolzen Preis zahlen.
Herrchen, Hund auf Rolltreppe in London
Foto: Stefan Rousseau / dpa
Mein Kollege Christoph Schult zum Beispiel reist demnächst mit seiner Familie samt Hund von Berlin nach Karlsruhe. Für Promenadenmischung Lilly berechnet die Bahn 75,20 Euro einfach, Hin- und Rückfahrt kosten also 150,40 Euro – nur für den Hund, in der zweiten Klasse, versteht sich. Das Hundeticket gibt es auch nicht online zu kaufen, es wird entweder per Post beantragt und verschickt oder muss am Automaten erstanden werden – deutlicher kann man seine Abneigung gegen das Tier kaum äußern. Wenn die Bahn noch einen Funken Anstand verspürt, sollte sie zumindest eines einführen: die Bahncard für Hunde. Die gibt’s nämlich auch noch nicht.
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Ich wünsche Ihnen frohe und warme Pfingsten!
Ihr Martin Knobbe