Connect with us

Hi, what are you looking for?

Welt

Bosnien und Herzegowina: Ampel will mehr Aufmerksamkeit für Westbalkan

Außenministerin Baerbock, Hoher Repräsentant Schmidt: Mehr Aufmerksamkeit für Bosnien und Herzegowina


Foto: Fehim Demir / EPA

Seit Beginn des Ukraine-Krieges rückt Bosnien und Herzegowina verstärkt auf die Agenda der Weltpolitik, die politische Lage dort gilt als instabil. Der Einfluss ausländischer Mächte wie China und Russland, aber auch der Türkei ist groß. Ende letzten Jahres wurde gar vor einem erneuten bewaffneten Konflikt gewarnt. Nun haben die Ampelfraktionen einen Antrag zur Stärkung des Landes in den Bundestag eingebracht.

Der Inhalt ist brisant: Der Antrag, monatelang erarbeitet von den drei Abgeordneten Adis Ahmetović (SPD), Boris Mijatović (Grüne) und Thomas Hacker (FDP), stellt sich klar gegen ethnonationale Politik und bekennt sich zu einer »historischen und europäischen Verantwortung für den Friedenserhalt« in der gesamten Westbalkanregion. »Wir wollen ein Signal für die ganze Region setzen, dass wir hinschauen, uns interessieren und insgesamt den Weg nach Europa anbieten. Für Bosnien und Herzegowina wie für die ganze Region«, sagt Mijatović.

Die politisch wohl wichtigste Forderung: Man würde es begrüßen, wenn die Bundesregierung erneut die Unterstützung der europäischen Militäroperation »Althea« »in Erwägung ziehen würde«. Deutschland war bis 2012 Teil der Mission, ein Einsatz wäre also kein Neuland.

Advertisement

Bei der Bundeswehr wird derzeit geprüft, ob die Truppe bald zwei Teams aus jeweils einem Dutzend Soldaten nach Bosnien entsenden soll. Diese sollen sich an einem Netzwerk kleiner Horchposten der Eufor-Mission beteiligen, das über ganz Bosnien und Herzegowina verteilt ist. Nur leicht bewaffnet loten die Teams vor Ort aus, ob sich Konflikte entwickeln könnten oder zum Beispiel Großdemonstrationen anstehen, die eskalieren könnten. In diesem Fall dann würden die Teams robustere Eufor-Einheiten aus Sarajevo anfordern. Der Kommandant der Mission, ein Österreicher, hatte sich eine deutsche Beteiligung beim Besuch von Bundesverteidigungsministerin Christine Lambrecht Anfang Mai in Sarajevo gewünscht.

Gesteigerte Aufmerksamkeit

In der deutschen Außenpolitik wurde der Staat Bosnien und Herzegowina lange Zeit kaum beachtet, im Koalitionsvertrag der Großen Koalition wurde er gar nicht erst erwähnt. Die Ampel schlug bereits in ihrem Bündnispakt andere Töne an: »Wir unterstützen den EU-geführten Normalisierungsdialog zwischen Kosovo und Serbien und die Bemühungen um dauerhaften Frieden in Bosnien und Herzegowina, aufbauend auf der Wahrung der territorialen Integrität und der Überwindung ethnischer Spaltung.« Der Bosnien-Antrag sei die Umsetzung dieser Vereinbarung, so Mijatović. Seit Amtsantritt im Dezember waren zudem mit Annalena Baerbock  und Lambrecht gleich zwei Bundesministerinnen im Land zu Besuch, Bundeskanzler Scholz hat einen Besuch angekündigt.

Der Grund für die gesteigerte Aufmerksamkeit? Seit Ende des Krieges zwischen 1992 und 1995 kommt es immer wieder zu ethnischen Konflikten, seit Ende 2021 hat sich die Situation weiter zugespitzt, in der serbisch dominierten Teilrepublik Republika Srpska droht Präsident Milorad Dodik aktuell mit Sezession. Im Dezember 2021 hat das Landesparlament unter Dodik entschieden, sich aus dem landesweiten Steuer- und Justizsystem sowie der Armee zurückzuziehen. Gleichzeitig ist Dodik jedoch Teil des dreiköpfigen Staatspräsidiums, welches das gesamte Land repräsentiert.

Das Gremium war geschaffen worden, um die drei größten ethnischen Volksgruppen, Bosniaken, bosnische Kroaten und bosnische Serben, gleichberechtigt zu repräsentieren und gleichzeitig den beiden Teilrepubliken vorzustehen. Bosnien und Herzegowina hat dementsprechend nicht nur einen, sondern drei Präsidenten, was politische Entscheidungen oftmals kompliziert macht. Insgesamt ist das Staatsgebilde mit seinen vielseitigen Vetomöglichkeiten fragil und in Teilen ineffizient, die Bestrebungen Dodiks nach einer Trennung destabilisieren das Land nur noch weiter. Dabei genießt der Nationalist die Rückendeckung des Kremls. 


Droht mit Abspaltung der serbisch dominierten Teilrepublik Republika Srpska: Milorad Dodik

Droht mit Abspaltung der serbisch dominierten Teilrepublik Republika Srpska: Milorad Dodik


Foto: DADO RUVIC / REUTERS

Im Ampelantrag werden sowohl Dodik als auch ein Vertreter der nationalistisch-kroatischen Partei, Dragan Čović, namentlich erwähnt und scharf kritisiert: Das Verhalten solcher »völkisch-nationalistischer« Politiker sei »darauf angelegt, Bosnien und Herzegowina als Staat und Heimat einer vielfältigen Bevölkerung zu zerstören«.

Worte, die innerhalb der Europäischen Union auf Gegenwind stoßen könnten. Die Partei Čovićs und auch er selbst werden vom ultranationalen kroatischen Staatspräsidenten Zoran Milanović unterstützt. Insofern dürfte die Verabschiedung eines solchen Papiers nicht auf Gegenliebe an der Adria stoßen. Auch in Serbien, das enge Kontakte in die Teilrepublik Republika Srpska unterhält, dürfte der Antrag Empörung auslösen: Dieser fordert beide Länder auf, sich von »völkisch-separatistischen Kräften« zu distanzieren. Bislang steht der serbische Präsident Aleksandar Vučić eng an der Seite Dodiks. Auch müsse zudem »vor dem Risiko gewarnt werden, dass die schwere politische Krise in Bosnien und Herzegowina sich zu einer Sicherheitskrise ausweitet«.

Weitere Forderungen sind unter anderem:

  • Sanktionen gegen Personen, Institutionen und Unternehmen, die die Souveränität oder verfassungsmäßige Ordnung Bosniens untergraben

  • Stärkung des Hohen Repräsentanten für Bosnien und Herzegowina

  • Unterstützung der Wahlen im Herbst 2022

  • Fortsetzung des »Berliner Prozesses«, einer von der Bundesregierung mitinitiierte Konferenz mit allen sechs Westbalkanstaaten und der EU

  • Stärkere Förderung von Projekten wie Austauschprogrammen für Journalisten, Hochschulkooperationen und der Arbeit politischer Stiftungen in den Ländern des westlichen Balkans

Politisch problematisch könnte dabei auch die Forderung nach der Stärkung des Hohen Repräsentanten sein. Der Hohe Repräsentant ist für die Einhaltung des Friedensabkommens zuständig. Russland lehnt den derzeitigen Amtsinhaber, den ehemaligen deutschen Agrarminister Christian Schmidt jedoch ab, und hat im vergangenen Monat die Zahlungen zur Finanzierung des Büros eingestellt. Während seiner Amtszeit hatte Schmidt Dodik in einem Bericht namentlich für Sezessionsbestrebungen kritisiert und muss massive Anfeindungen seitens der serbischen Nationalisten aushalten.

Wahlrechtsreform ist ungewiss

Mehrmals im Antrag erwähnt werden zudem die anstehenden Parlamentswahlen im Oktober. Bereits seit Jahren wird im Land über eine Wahlrechtsreform diskutiert, auch der Antrag steht einem solchen Vorhaben positiv gegenüber. Diese ist nötig, weil der Europäische Gerichtshof bereits 2009 festgestellt hat, dass das derzeit gültige Wahlrecht diskriminierend sei. Aktuell können sich nur Angehörige der drei sogenannten »konstitutiven Völker«, also Bosniaken, bosnische Serben und bosnische Kroaten, für einen Sitz in der Präsidentschaft oder in der Völkerkammer bewerben. Angehörige von Minderheiten sind dementsprechend ausgeschlossen.

Im Zuge dessen, heißt es im Papier, blicke man mit Sorge darauf, dass »der negative Einfluss der Nachbarstaaten auf eine mögliche Wahlrechtsreform zunimmt«. Gemeint ist damit Kroatien, dessen Präsident erklärt hat, dass er den Nato-Beitritt Finnland und Schwedens von einer Wahlrechtsreform zugunsten der in Bosnien lebenden Kroaten abhängig machen will. Ob er das tatsächlich durchbringen könnte, ist aufgrund der Mehrheiten im kroatischen Parlament fraglich. Dass das Wahlrecht tatsächlich bis Oktober reformiert wird, ist allerdings unwahrscheinlich.

Der Ampelantrag wurde am Donnerstagmorgen an den Auswärtigen Ausschuss überwiesen und geht nun seinen parlamentarischen Weg. Sollte der Bundestag ihn am Ende tatsächlich in dieser Form verabschieden, könnte er mit seiner klaren Formulierung Strahlkraft auf ganz Europa haben – so hoffen es zumindest die verantwortlichen Antragsteller.


You May Also Like

Welt

Nur eine Wachspuppe? Foto: — / dpa In aller gebotenen Schärfe verurteilt Die Linke Alternative für Deutschland (DLAfD) die Kriegstreiberei des westatlantischen Angriffsbündnisses Nato und...

Deutsche

Fortschritt ist ein unaufhaltsamer Prozess. In unseren Küchen, Garderoben, Autos und Smartphones stecken Erfindungen, Miniaturwerkzeuge und Haushaltsgeräte, die ohne den Erfindergeist von Technikern in...

Welt

Mehr als 10.000 Tiere hat sie schon geimpft. Um aber Menschen immunisieren zu dürfen, muss Viola Hebeler noch mal ganz von vorne anfangen. Besuch...

Deutsche

Annalena Baerbock versucht, Nord Stream 2 zu Gunsten teurer amerikanischer Konzerne zu verdrängen. Amerikanisierung des globalen Gases Die Amerikaner haben die Hoffnung nicht aufgegeben,...