Liebe Leserin, lieber Leser, guten Morgen,
heute geht es um das Weltwirtschaftsforum in den Schweizer Bergen, die drohende Welthungerkrise und den Pokal eines Marketingkonstrukts.
Mekka der Wichtigtuerei
Das Weltwirtschaftsforum im Schweizer Nobel-Skiort Davos, das heute beginnt, ist ein elitäres Get-together von zum Teil global agierenden Wichtigtuern, die sich dort, im Rahmen von unzähligen Events, Dinners und Partys gegenseitig ihrer Bedeutung versichern. Dass man neben all den Empfängen den Eindruck zu erwecken versucht, durch die eigene Anwesenheit die Welt ein klein wenig besser zu machen, ist nachvollziehbar. Der Beleg, dass dies auch geschieht, steht bislang leider noch aus.
Protest-Banner in Davos
Foto: ARND WIEGMANN / REUTERS
Offiziell geht es in diesem Jahr nach Angaben der Organisatoren unter anderem um die Erholung der Weltwirtschaft nach der Pandemie, um den Umgang mit dem Klimawandel sowie die Veränderungen in der Arbeitswelt.
Recht charakteristisch für dieses Forum erscheint mir jene Veranstaltung zu sein, die heute um 15 Uhr unter dem schönen Titel »Sport als verbindende Kraft« über die Bühne gehen soll. Klingt erst mal prima, die Liste der Teilnehmer nicht ganz. Mit dabei ist unter anderem Tamim Bin Hamad al-Thani, der Emir Katars, dessen Regime Menschenrechte systematisch mit Füßen tritt und die vielen Arbeitsmigranten im Lande lange wie Dreck behandelte. Und Fifa-Präsident Gianni Infantino, einer der schmierigsten Chefs, den diese ohnehin schmierige Organisation jemals hatte.
Gemeinsam werden sie gewiss die völlig hirnrissige Fußball-Weltmeisterschaft in Katar preisen, die in diesem Jahr im Winter stattfinden soll und für deren Vorbereitung schon unzählige Arbeitsmigranten sterben mussten. Aber zurück zum Titel der Veranstaltung. Ja, der Sport wirkt auch bei der WM in Katar als verbindende Kraft: zwischen Geldgier und Diktatur. Ich bin mir nur nicht ganz sicher, ob man in Davos zu einem ähnlichen Schluss kommen wird.
Der Hunger der Welt
Beinahe wohltuend finde ich, dass Bundeskanzler Olaf Scholz heute Besseres zu tun hat. Er besucht nicht Davos, sondern den Niger. Zum einen, um ein paar Bundeswehrsoldaten zu danken, die dort zur Ausbildung stationiert sind. Vor allem aber, um auf eine Krise aufmerksam zu machen, die angesichts des schrecklichen Kriegs in der Ukraine viel zu wenig Beachtung findet.
Bäuerin mit Weizen-Bündel in Ägypten
Foto: Amr Nabil / dpa
Die drohende Hungersnot in armen Ländern Afrikas und Asiens ist auch auf die drastisch gestiegenen Getreidepreise zurückzuführen. Nach der russischen Invasion in der Ukraine waren die Preise für Weizen auf den höchsten Stand seit 14 Jahren gestiegen. Nach Angaben der Bundesregierung unterbindet Russland derzeit die Ausfuhr von 20 Millionen Tonnen Getreide aus der Ukraine . Die Ukraine ist einer der größten Weizenproduzenten der Welt.
Da Wladimir Putin keinerlei Verantwortungsgefühl für das Wohl der Menschheit mehr zu unterstellen ist, muss die Weltgemeinschaft nun alles tun, um das Hungerleid zu lindern. Mit Geld- und Lebensmittelspenden, mit Verzicht in den Wohlstandsregionen und unkonventioneller Soforthilfe dort, wo es am schlimmsten ist, auch mit kurzfristigen Subventionen für Düngemittel und Anreizen zu deren beschleunigter Produktion. Denn auch deren Preis ist in Afrika und andernorts drastisch gestiegen.
Vor diesem Hintergrund hat der Besuch von Scholz vor allem einen symbolischen Wert. Solche Reisen mag der Kanzler bekanntlich nicht so gerne. Dabei können sie richtig und wichtig sein.
Die Innereien der AfD
Heute Abend, gleich nach den Tagesthemen, läuft in der ARD eine spannende Dokumentation: »AfD-Leaks: Die geheimen Chats der Bundestagsfraktion.« Die Kolleginnen und Kollegen konnten dafür mehr als 40.000 interne Chat-Nachrichten auswerten, die AfD-Abgeordnete in der vergangenen Legislaturperiode in einer sogenannten »Quasselgruppe« verschickten. Mindestens 76 der 92 Fraktionsmitglieder schrieben darin regelmäßig.
AfD-Fraktion in der vergangenen Legislaturperiode
Foto: HAYOUNG JEON/EPA-EFE/REX/Shutterstock
Die Chats zeigen, wie die Vertreter dieser Partei denken, reden und schreiben, wenn sie glauben, unter sich zu sein. Es ist ein intimer, schonungsloser Einblick in ein gefährliches Milieu. »Die Ratte Merkel an der Spitze! Diese Volksverräterin gehört lebenslang in den Knast!«, schreibt da beispielsweise ein Abgeordneter. »Wir müssen wohl warten, bis das alte Regime wirtschaftlich ans Ende kommt und der Funke aus Österreich, Italien, Frankreich usw. überspringt. Das wird kommen und für die dann ebenfalls kommenden gnadenlosen Kämpfe müssen wir uns rüsten.« So reden Menschen, die vom Umsturz träumen, vom Ende der Demokratie, wie wir sie kannten.
Manche Abgeordnete offenbaren allerdings auch einen sehr wachen und zutreffenden Blick auf die Partei, etwa wenn sie schreiben: »Uns fliegt langsam die Partei unterm Arsch weg, die gegründet wurde, um unser Land zu schützen!« Schön auch: »Was fremdschämen angeht, bin ich durch die Partei extrem belastbar geworden.« Dem ist nichts hinzuzufügen.
Gewinner des Tages…
Unternehmer Mateschitz
Foto: Mark Thompson/ Getty Images
…ist Dietrich Mateschitz. Vor 13 Jahren schuf der Red-Bull-Gründer und Multimilliardär einen Fußballverein mit dem alleinigen Daseinszweck: Getränkedosen zu promoten. Quasi aus dem Nichts. 13 Jahre danach also hat dieses Marketinginstrument nun einen ersten großen Titel geholt. Am Samstagabend gewann das Konstrukt mit dem spitzfindigen Namen »RasenBallsport Leipzig«, dem spitzfindigen Logo und der spitzfindigen Satzung (Nur 21 stimmberechtigte Mitglieder, alle mit engem Red-Bull-Bezug, damit die totale Kontrolle gewährleistet ist), den DFB-Pokal gegen den SC Freiburg. Das ist ein Verein, der tatsächlich aus einem altbackenen, urromantischen Grund gegründet wurde: Menschen wollten miteinander Fußball spielen. Es ist ein Verein, der sich das, was er heute ist, über Jahrzehnte hart erarbeitet hat. Ein Verein, vor dem man tatsächlich den Hut ziehen muss.
Übrigens haben Menschen, die die mateschitzsche Pervertierung des Vereinsgedankens ablehnen, nichts gegen Ostdeutsche. Das ist allein deshalb Quatsch, weil Red Bull erst andere Regionen Westdeutschlands auf ihre Markttauglichkeit für einen neuen Proficlub abklopften, bevor sie sich für Leipzig entschieden. Ich persönlich würde mir mindestens 14 ostdeutsche Erstligavereine wünschen. Ein Konstrukt wie in Leipzig aber hätte von DFB und DFL niemals zugelassen werden dürfen. Nirgendwo in Deutschland.
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Einen heiteren Montag wünscht Ihnen
Ihr Markus Feldenkirchen