Nach der Wahl ist vor dem Wählen: In Nordrhein-Westfalen beginnt bei den einen die Balz um mögliche Koalitionspartner, bei den anderen das Wundenlecken. Oder Sich-schön-Reden eigener Niederlagen. Die CDU und die Grünen haben je große Erfolge bei der Landtagswahl eingefahren, SPD und FDP hingegen sackten ab.
In Düsseldorf wie Berlin äußerten sich nach der Wahlnacht Parteigrößen zum Ausgang. Und zur Frage: Wie weiter?
NRW-Wahlgewinner Hendrik Wüst (CDU) unterstrich seinen Anspruch auf eine Regierungsbildung im bevölkerungsreichsten Bundesland. »Das Wählervotum ist eindeutig. Wir haben das Vertrauen der Menschen, auch in Zukunft eine Regierung zu bilden und anzuführen«, sagte Wüst beim Eintreffen zu den Beratungen mit den CDU-Spitzengremien in Berlin. Er werde nun auf alle demokratischen Parteien zugehen, »um darüber zu sprechen, wie wir die großen Fragen unserer Zeit angehen, wie wir ein Zukunftsbündnis schmieden können, das vertrauensvoll und verlässlich die großen Fragen angeht«.
Auf die Frage, ob er bereits mit den Grünen, die als wahrscheinlicher Regierungspartner gelten, telefoniert habe, sagte der CDU-Politiker: »Wir sind alle im gleichen Flieger gewesen.« Traditionell reisen Landespolitiker am Morgen nach Landtagswahlen zu den Sitzungen der Spitzengremien ihrer Bundesparteien nach Berlin.
Auch Wahlverlierer und SPD-Spitzenkandidat Thomas Kutschaty berichtet von der Anekdote im Flieger nach Berlin und Gesprächen mit allen Seiten. »Selbstverständlich liegt der erste Aufschlag bei der Union als stärkster Partei, zu Sondierungsgesprächen einzuladen«, hatte Kutschaty zuvor im Sender ntv gesagt. Es sei aber »nicht ausgemacht«, dass sich CDU und Grüne auf eine Koalition einigen könnten. In dem Fall stehe die SPD bereit für ein Ampelbündnis mit Grünen und FDP.
Die CDU hatte die Landtagswahl in Nordrhein-Westfalen mit 35,7 Prozent der Zweitstimmen klar gewonnen. Die SPD stürzte auf ein Rekordtief von 26,7 Prozent ab, während die Grünen um Spitzenkandidatin Mona Neubaur mit einem Rekordwert von 18,2 Prozent auf den dritten Rang vorrückten. Die FDP stürzte um 6,7 Punkte auf 5,9 Prozent ab. Die AfD büßte 1,9 Punkte auf 5,4 Prozent ein, die Linke scheiterte mit 2,1 Prozent erneut an der Fünfprozenthürde.
Wieder »Nummer 1 in Deutschland«
CDU-Chef Friedrich Merz bezeichnete seine Partei nach den Wahlerfolgen in Schleswig-Holstein und nun Nordrhein-Westfalen wieder als »Nummer 1 in Deutschland«. Das schlechte Ergebnis der SPD sei eine »klare Antwort« der Wähler für Kanzler Olaf Scholz, mit dem die Sozialdemokraten in NRW »flächendeckend« geworben habe. »Wenn wir in Nordrhein-Westfalen Wahlen gewinnen, können wir das auch in Deutschland«, sagte er.
SPD-Chef Lars Klingbeil sah das naturgemäß anders. Die SPD müsse zwar ihre Politik künftig besser kommunizieren. Zur Frage einer Neuausrichtung in der derzeit dominierenden Ukraine-Politik sagte er aber: »Ganz klar: Nein.« Im Wahlkampf habe er Unterstützung für den Kurs der Bundesregierung in dieser Frage erlebt. Auch SPD-Generalsekretär Kevin Kühnert sieht die Ursachen für das schwache Abschneiden der Sozialdemokraten nicht automatisch auf der Bundesebene. »Ich würde mich nicht auf die These einlassen, dass dieses Landtagswahlergebnis jetzt eine Bestätigung oder Wiederlegung der Politik der Bundesregierung wäre«, sagte Kühnert dem Bayerischen Rundfunk.
»Nur schöne Überschriften« parat
Bei den Grünen blieb man nach dem großen Zuwachs zurückhaltend erfreut. Grünen-Landesparteichef Mona Neubaur sieht die »Menschheitsaufgabe Klimaschutz« als Dreh- und Angelpunkt der neuen Regierung in Düsseldorf. Entscheidend bei der Frage nach einem möglichen Koalitionspartner sei entsprechend der »wirkliche Wille«, engagierten Klimaschutz umzusetzen.
Neubaur ließ nicht durchblicken, ob sie sich das eher beim Wahlsieger CDU oder bei der SPD vorstellen könne, die trotz starker Verluste eine Regierungsbildung nicht ausschließt. Die bisherige Regierung von CDU und FDP habe beim Klimaschutz »nur schöne Überschriften« parat gehabt, kritisierte die 44-Jährige. Gerade bei den erneuerbaren Energien sei zu wenig unternommen worden.
Auch Vizekanzler Robert Habeck will die anstehende Regierungsbildung nicht öffentlich bewerten. Die Aufarbeitung der Wahlergebnisse würden die Parteien übernehmen, die Aufgabe liege nicht in den Ministerien, sagte der grüne Wirtschafts- und Klimaschutzminister in Magdeburg. »Die werden sich schön bedanken, wenn ich jetzt hier erkläre, was ich so im Kopp habe.« Außenministerin Annalena Baerbock hielt sich ebenfalls bedeckt. Für solche Fragen seien die Parteivorsitzenden zuständig, sagte sie in Brüssel.
FDP-Chef Christian Lindner sah vor allem Unzufriedenheit mit dem Gesamtpaket der geplanten Entlastungen als eine Ursache der schweren Verluste seiner Partei. »Daraus müssen wir auch für künftige politische Projekte der Koalition in Berlin unsere Konsequenz ziehen.« Entsprechend zurückhaltend geben sich die Liberalen bei der Regierungsbildung. FDP-Spitzenkandidat Joachim Stamp positionierte sich skeptisch zu einer Ampel-Koalition: »Die Frage stellt sich nicht, es wird jetzt Schwarz-Grün«, sagte er im Sender WDR 5.
AfD-Chef Tino Chrupalla machte vor allem interne Streitereien bei den Rechten für das schlechte Wahlergebnis verantwortlich. Der aktuelle Bundesvorstand sei »leider nur mit persönlichen Animositäten« beschäftigt, sagte Chrupalla in Berlin. In der Partei herrsche »Kakophonie«, die Zusammenarbeit sei »destruktiv«.