Eine Landtagswahl in Nordrhein-Westfalen ist immer auch eine Bundestagswahl im Kleinen. Deutschlands größtes Bundesland spiegelt durch seine Mischung aus ländlichem Raum und Metropolen die Republik wider. Entsprechend bedeutungsschwer beugen sich Kommentatorinnen und Kommentatoren über das Ergebnis der gestrigen Wahl.
Viele stimmen überein, dass die Niederlage der SPD auch Kanzler Olaf Scholz gilt. Und dass die Grünen die heimlichen Wahlgewinnerinnen sind. Warum der Wahlsieg der CDU zum Ärgernis für Friedrich Merz werden kann, spielt ebenfalls eine Rolle. Der Überblick:
Süddeutsche Zeitung : »Für den Kanzler gibt es kein Entrinnen: Das Ergebnis der Wahl in Nordrhein-Westfalen steht auch für eine erste Bilanz der Arbeit von Olaf Scholz. Nicht nur ist der Umgang der Bundesregierung mit dem Krieg in der Ukraine als politisches Thema in diesen Wochen dominant. Scholz selbst hat sich im Landtagswahlkampf stark engagiert. Und der SPD-Spitzenkandidat Thomas Kutschaty hat klar auf den Kanzler gesetzt. Nun ist die Botschaft eindeutiger als erwartet – und nicht schön für Olaf Scholz.«
»Schallende Ohrfeige für Scholz«
taz : »Die SPD hat nichts Wesentliches falsch gemacht. Diese Niederlage schmerzt besonders, da eben keine Fehler erkennbar sind, die man künftig vermeiden könnte. Nun stellen sich unschöne Fragen. War der SPD-Sieg im Bund 2021 nur eine Ausnahme, der sich einem momentanen Schwächeln der Grünen und der Post-Merkel-Krise der Union verdankte?«
Weser-Kurier : »Das schlechteste Wahlergebnis für die SPD in der Geschichte Nordrhein-Westfalens ist in erster Linie eine schallende Ohrfeige für Bundeskanzler Olaf Scholz. Im Gegensatz zu den vorherigen Landtagswahlen im Saarland und in Schleswig-Holstein ist das Ergebnis in Düsseldorf nicht landespolitisch motiviert, sondern in erster Linie der Enttäuschung der Wähler über den zögerlichen und zaudernden Kurs des Bundeskanzlers in der Ukraine-Frage zuzuschreiben. Das Resultat zeugt mehr von der Schwäche des Kanzlers als von der Stärke des CDU-Ministerpräsidenten.«
Augsburger Allgemeine : »Das Motto des Kanzlers für die nächsten Monate und über die nächste Landtagswahl in Niedersachsen hinaus muss lauten: mehr Führung wagen. Während die Grünen in NRW Schub von den beiden stärksten Ampel-Ministern, Robert Habeck und Annalena Baerbock, bekommen haben, kann die NRW-FDP das nicht behaupten. Sie musste um den Wiedereinzug in den Düsseldorfer Landtag lange bangen. ›Miteinander‹ ist ein viel gebrauchtes Scholz-Wort. Das gilt nach der NRW-Wahl mehr denn je.«
Ein Problem für Merz
Leipziger Volkszeitung : »Für CDU-Chef Friedrich Merz ist der Wahlausgang erst einmal eine Stärkung. Dass CDU-Mann Tobias Hans nicht mehr Ministerpräsident im kleinen Saarland ist, kann er verschmerzen. Daniel Günther hat Schleswig-Holstein verteidigt und nun hat Wüst das Ergebnis in NRW im Vergleich zu 2017 deutlich verbessert. Aber sollte Wüst Regierungschef bleiben, hat Merz für die nächste Kanzlerkandidatur gleich zwei jüngere und bei Wahlen erfolgreiche Anwärter – neben sich selbst. Sie könnten die CDU noch kräftig aufmischen.«
Neue Zürcher Zeitung : »All jenen, die sich eine konservativere CDU wünschen, sollte das Ergebnis vom Sonntag zu denken geben. Nordrhein-Westfalen, das bevölkerungsreichste Bundesland, ist ein Deutschland im Kleinen. Großstädte und ländlich geprägte Regionen wechseln einander ab; einige Gegenden prosperieren, andere kämpfen noch immer mit den Folgen des Strukturwandels. Wer hier reüssieren will, muss wohlhabende und eher arme Wähler für sich gewinnen, er muss Bürger mit Migrationshintergrund und solche, deren Vorfahren über Generationen im Land lebten, von sich überzeugen. Das ist Wüst gelungen. Er hat seiner Partei gezeigt, wie sie auftreten muss, wenn sie auch in Berlin zurück an die Macht will.«
Absage »an radikalisierte Politik«
Westdeutsche Allgemeine Zeitung : »Bemerkenswert ist nach diesem Wahlergebnis ferner, dass es am linken und am rechten Rand der NRW-Landespolitik derzeit nichts zu holen gibt. Die Linken setzten ihre bundesweiten Misserfolge fort und verpassten erneut den Einzug ins Parlament, die AfD schaffte zwar knapp den Einzug, spielt politisch aber weiterhin keine Rolle. Eine klare Absage der Menschen in NRW an eine radikalisierte Politik.«
Frankfurter Allgemeine Zeitung : »Zwei Tage vor der Wahl in Nordrhein-Westfalen verschickte Chrupalla eine Mitteilung, in der es heißt, die Mehrheit der Deutschen habe Angst, durch den Kurs der Bundesregierung in den Krieg hineingezogen zu werden. Statt mit einem radikalen Kurs um Wähler zu werben, muss die AfD lavieren. Welche Koalition auch immer am Ende in Düsseldorf regieren wird: Die AfD wird nicht dazugehören.«