tagswahl NRW 2022: Darum geht es in Nordrhein-Westfalen //
Als Peer Steinbruck noch Ministerprasident von Nordrhein-Westfalen war, verantwortete er einen der dunkelsten Tage in der Nachkriegsgeschichte des SPD-Landesverbandes. Es war der 22. Mai 2005, bei der Landtagswahl gewann die CDU, die Sozialdemokraten hingegen sturzten ab, kamen auf ihr schlechtestes Ergebnis seit 51 Jahren: 37,1 Prozent fur die Genossen – und das in ihrer viel zitierten Herzkammer. Es war eine krachende Niederlage, so empfand man das damals, auch, weil mit ihr die jahrzehntelange SPD-Vorherrschaft in NRW ihr Ende fand.
Das waren noch Zeiten.
Wurden Thomas Kutschaty und die SPD an diesem Sonntag 37,1 Prozent holen, die Partei brache vermutlich in ekstatische Jubelsturme aus – so weit ist man in den Umfragen von solchen Spharen entfernt. Und trotzdem hat Kutschaty Chancen auf den Einzug in die Dusseldorfer Staatskanzlei.
Nach einem mitunter schmutzigen Wahlkampf sagen die Meinungsforscher bei der NRW-Landtagswahl ein enges Rennen zwischen Ministerprasident Hendrik-Wust und seinem SPD-Kontrahenten Kutschaty voraus. Die Demoskopen sehen Wusts CDU kurz vor dem Wahltag zwischen 30 und 32 Prozent, die Sozialdemokraten liegen dahinter knapp unter der 30-Prozent-Marke.
Es geht um viel: Rund 13,2 Millionen Menschen sind in Nordrhein-Westfalen zur Wahl aufgerufen, das ist gut jeder sechste Einwohner in Deutschland. NRW ist das mit Abstand bevolkerungsreichste Bundesland der Republik. Wer hier regiert, hat automatisch auch im Bund ein gehoriges Wortchen mitzureden.
Wer hat die besseren Chancen bei dieser kleinen Bundestagswahl? Wie lief der Wahlkampf? Und was bedeutet das Ergebnis fur Kanzler Olaf Scholz? Die wichtigsten Hintergrunde:
Kampf um die Macht – die Kandidaten fur den Chefposten
Etablierter Amtsinhaber gegen Herausforderer der Opposition – dieses Muster gilt bei dieser Landtagswahl nicht. Regierungschef Wust ist selbst noch keine sieben Monate im Amt. Wie seinerzeit Steinbruck war auch er zunachst ohne Landtagswahl zu seinem Posten gekommen. Der CDU-Mann folgte Ende Oktober auf Armin Laschet, der nach seiner vermasselten Kanzlerkandidatur mittlerweile als einfacher Abgeordneter im Bundestag sitzt.
SPD-Mann Kutschaty hat – gemessen an der Amtszeit – sogar mehr Regierungserfahrung als der Ministerprasident. Wahrend Wust bis zu seinem Einzug in die Staatskanzlei vier Jahre lang Verkehrsminister war, fuhrte Kutschaty einst sieben Jahre das Landesjustizministerium: von 2010 bis 2017, zu Zeiten von Hannelore Krafts rot-gruner Regierung.
Was beide eint: Sie sind Juristen und gelten nicht gerade als grosse Charismatiker. Das war es aber auch schon. Der 46-jahrige Wust stammt aus der Kleinstadt Rhede im Munsterland, in fruheren Zeiten versuchte er, sich als konservative Stimme in der Union zu profilieren (lesen Sie hier ein Portrat uber Wust). Widersacher Kutschaty, 53, Sohn eines Eisenbahners aus Essen, zahlt zum linken Flugel der SPD (das Kutschaty-Portrat finden Sie hier ).
Die Spitzenkandidaten von SPD, Grunen und CDU im Wahlkampf: Thomas Kutschaty, Mona Neubaur und Hendrik Wust (v.l.)
Foto: Rolf Vennenbernd / dpa
Wer von ihnen am Ende in der Staatskanzlei sitzt, durfte hingegen eine Frau entscheiden: Grunen-Spitzenkandidatin Mona Neubaur, 44, kann auf einen historischen Triumph ihrer Partei hoffen. Umfragen sehen die Grunen bei 16 bis 18 Prozent, damit gelten sie als fast schon gesetzt fur die nachste Koalition – und Neubaur als Vizeregierungschefin (hier lesen Sie mehr uber Mona Neubaur).
Zeit der Skandale – der Wahlkampf
Dass dieser Wahlkampf mit harten Bandagen gefuhrt werden durfte, das hatten Parteistrategen schon Anfang des Jahres vorausgesagt. Kein Wunder, zu eng ist seit Monaten das Rennen im Westen. Doch mit welchen Problemen und Affaren sich Union und SPD dann tatsachlich auseinandersetzen sollten, war seinerzeit noch nicht vorherzusehen.
Da ware vor allem der Rucktritt von Umweltministerin Ursula Heinen-Esser. Die CDU-Politikerin musste gehen, weil sie kurz nach der Hochwasserkatastrophe im vergangenen Jahr fur eine Geburtstagsparty nach Mallorca geflogen war.
Die SPD musste sich ihrerseits harter Attacken erwehren – etwa, weil ein Mitarbeiter der Landtagsabgeordneten Sarah Philipp versucht hatte, den Instagram-Kanal von Heinen-Essers jugendlicher Tochter auszukundschaften. Daneben traktierte die Union die Sozialdemokraten mit bissigen Fragen zu deren umstrittener Russlandpolitik.
Uberhaupt uberlagerten der Ukrainekrieg und die Folgen fur Deutschland viele Debatten. Zumindest bemuhte sich die SPD, ihre Forderungen nach mehr Erziehern, Lehrern oder Pflegekraften nach vorn zu stellen. Die Union warb fur Sicherheit und den Kampf gegen Clans.
Farbenspiele – die moglichen Koalitionen
Seit 2017 regiert Schwarz-Gelb in Dusseldorf. Damals hatten noch CDU-Mann Laschet und FDP-Chef Christian Lindner das Bundnis in NRW geschmiedet. Beide haben sich inzwischen neu orientiert, und auch die Koalition durfte in Kurze ein Ende finden. Vor allem die Liberalen schwacheln, doch auch die Union ist weit von zwischenzeitlichen Hochphasen in den Umfragen entfernt. Zusammen sind beide Parteien nicht mehr in Reichweite einer Mehrheit.
Viel wahrscheinlicher ist deshalb, dass die CDU um die Gunst der Grunen buhlen muss, um an der Macht zu bleiben. Schwarz-Grun ist eine zumindest denkbare Option, wenn die Union auf Platz eins landet. Zwar gibt es an der Grunenbasis deutliche Vorbehalte, die Parteispitze schien zuletzt aber nicht ganzlich abgeneigt.
Die Sozialdemokraten wiederum durfen sich laut den Umfragen dank der Starke der Grunen berechtigte Hoffnungen darauf machen, Rot-Grun wiederzubeleben und die bisherige Regierung abzulosen. Reicht es nicht, ware auch eine Ampel mit der FDP vorstellbar – sofern die Liberalen mitspielen und nicht lieber auf ein Jamaikabundnis drangen.
Eine SPD-Zusammenarbeit mit der Linkspartei scheint hingegen vom Tisch. Nicht nur, weil die nordrhein-westfalischen Linken traditionell als besonders schwierig gelten. Vielmehr ist die Linke wie im Bund auch in NRW abgerutscht. Wahrend etwa die AfD gute Chancen auf den Wiedereinzug ins Parlament hat, lagen die Genossen in den Umfragen zuletzt klar unter der Funfprozenthurde.
Blick aus Berlin – die Folgen fur den Bund
In Berlin blickt man mit grosser Anspannung auf die NRW-Wahl. Klar, wer im Westen an der Macht ist, zahlt in der Regel automatisch auch zum Kreis derer, die einmal furs Kanzleramt infrage kommen. Das durfte in naherer Zukunft vor allem fur Wust gelten. Noch ist in der Union nicht ausgemacht, wer 2025 Olaf Scholz im Bund herausfordert. Sollte Wust in NRW siegen, ware er sicherlich im Rennen.
Doch auch fur die amtierende Bundesregierung, den Kanzler und seine SPD ist die Wahl hochbrisant. Fur die Ampelregierung ware eine Kopie dieses Bundnisses aus SPD, Grunen und FDP in Dusseldorf naturlich ein strategischer Gewinn.
Die Sozialdemokraten konnen einen Erfolg ausserdem besonders dringend gebrauchen. Sie stehen wegen ihrer Ukraine– und Russlandpolitik massiv unter Druck. Dazu mussten sie gerade erst in Schleswig-Holstein eine krachende Niederlage einstecken.
Sollten die Genossen auch in ihrer fruheren Hochburg untergehen, konnte das einen Negativtrend einlauten, aus dem sich die gerade erst wiederauferstandenen Sozialdemokraten erst einmal herausarbeiten mussten. Die Union konnte in diesem Fall endgultig ihr Comeback feiern.