uell vor der NRW-Wahl: Mehr Wattebausch als Wirtshaus //
Die Ausgangslage: Die NRW-Wahl hat das Zeug dazu, die politischen Verhaltnisse in Deutschland zu festigen. Oder ihnen entgegenzuwirken. Gewinnt die SPD um Spitzenkandidat Thomas Kutschaty, konnte die Bundesregierung ein Abbild ihresgleichen bekommen – bleibt CDU-Ministerprasident Hendrik Wust im Amt, bekommt sie einen Gegenentwurf. In Umfragen lagen CDU und SPD zuletzt fast gleichauf, mit leichten Vorteilen fur Wust. Am Donnerstagabend trafen sich die Kandidaten zum TV-Duell. Es war der erste und einzige Termin im Wahlkampf, bei dem sich Wust und Kutschaty direkt gegenuberstanden. Der WDR ubertrug die Debatte aus der Alten Schlossfabrik in Solingen, die Fragen stellten die Chefredakteurinnen Ellen Ehni und Gabi Ludwig.
So traten sie auf: Zunachst betroffen, da es zu Beginn um die Verhaftung eines 16-Jahrigen in Essen ging, der offenbar einen Bombenanschlag an zwei Schulen geplant hatte. Er sei >>schockiert vom Ausmass der Gewaltbereitschaft<>Wenn ein 16-Jahriger Bomben baut, ist ordentlich was schiefgegangen.<< Beide gaben sich staatsmannisch, sie konzentrierten sich weitgehend auf sich und ihre Themen.
So gingen die beiden miteinander um: Hoflich, zumindest fur ein TV-Duell. Und fur eine Wahl, bei der noch bis zu 20 Prozent der Wahlerinnen und Wahler unentschieden sind. Keiner wollte aggressiv auftreten. Niemand fiel dem anderen ins Wort. Wust schaute Kutschaty selten an, Kutschaty blickte recht haufig zu Wust hinuber, nickte mehrmals bei den Ausfuhrungen des Ministerprasidenten. Insgesamt mehr Wattebausch als Wirtshaus.
Zentrale Themen: Die innere Sicherheit, aus CDU-Sicht durch Innenminister Reul und seine medienwirksamen Einsatze gegen Clankriminalitat eigentlich abgeraumt, war durch die spektakulare Schiesserei in Duisburg und die Verhaftung in Essen wieder zentral im Wahlkampf geworden. Nicht nur Clans seien das Problem, sagte Kutschaty, es ginge um die Organisierte Kriminalitat insgesamt, also auch um Rocker und die Mafia. Wust lobte den Weg seines Innenministers: >>Da haben wir fruher ganz andere Bilder gesehen.<< 40.000 Polizisten gibt es im Land, die CDU will bald 45.000. Auch die SPD wolle mehr Polizei auf den Strassen und in den Behorden, sagte Kutschaty.
Weitgehende Einigkeit gab es auch beim zweiten Thema, der Bildung. Mehr Lehrerinnen und Lehrer brauche das Land. Beide Kandidaten sprachen sich generell fur Krankenhauser in Wohnortnahe aus. Wust setzte auf Spezialisierung der Kliniken. Es sei >>schlecht, wenn ein Arzt eine Operation nur zehnmal im Jahr durchfuhrt<<, sagte er.
Die wichtigste Erkenntnis: Entweder, die Spitzenkandidaten schwimmen, wenn es ums eigene Wahlprogramm geht. Oder aber die Parteiprogramme sind sich sehr ahnlich. Die Moderatorinnen lasen mehrmals Satze aus einem der beiden Programme vor, Wust und Kutschaty mussten daraufhin tippen, auf welche Partei die Auszuge zuruckgehen. >>Wir wollen die Arbeitsbelastungen in den pflegenden Berufen reduzieren, um mehr Menschen fur diese wichtige Arbeit zu gewinnen.<>Es kann nicht allein dem Markt uberlassen werden, wo welches Krankenhaus mit welchem medizinischen Angebot steht.<>Wir brauchen mehr Wohnraum, der der Mietpreisbindung unterliegt.<< Beide tippen auf das eigene Programm, der Satz kommt von der CDU. Die Redaktion hatte wohl bewusst Stellen in den Programmen ausgesucht, die ahnlich klingen. Dennoch ist es erstaunlich, dass sie so viele Beispiele gefunden haben, und dass Wust und Kutschaty mit ihren Tipps so oft falsch lagen.
Hitzigster Moment: Richtig heiss wurde es nie, nur manchmal etwas warmer. Als es um den Unterrichtsausfall in den Schulen ging, sagte Wust: >>Wir haben erst mal angefangen, den uberhaupt zu dokumentieren. Fruher wurde das ja nicht erfasst.<>Wir mussen das Problem schon transparent machen, wir brauchen Zahlen und Fakten, um es zu andern.<>Die Eltern sehen doch, wie oft die Kinder zu Hause sind, weil wieder Stunden ausgefallen sind. Sie konnen das gerne mit Statistiken bearbeiten, wichtig ist aber, dass wir jetzt schnell mehr Lehrerinnen und Lehrer bekommen.<<
Wahlplakate in NRW
Foto by Oliver Berg / DPA
Wusts starkster Moment: Er schaffte es, personliche Bezuge zu den Problemen herzustellen. Als es darum ging, dass es Eltern schwer haben, Kita-Platze fur ihre Kinder zu finden, erzahlte der Ministerprasident von seiner einjahrigen Tochter. Er wisse, wie kompliziert das sei, sagte Wust. >>Im August soll unsere Kleine in die Kita kommen, meine Frau und ich konnen ein Lied davon singen, wir brauchen mehr Platze.<<
Spater ging es um die Transformation der Industrie in NRW, um die Probleme der Firmen bei den Energiefragen. Sein Vater habe im Westmunsterland in der Textilbranche gearbeitet, erzahlte Wust. >>In meiner Kindheit ging gefuhlt jeden Tag eine andere Textilfirma bei uns pleite. Mein Vater sass abends vor einer Flasche Bier und war traurig.<< Liebe Wahlerinnen und Wahler, ich bin einer von euch – diese Message brachte Wust ruber.
Kutschatys starkster Moment: Er punktete bei der Bildung. Mit konkreten Ideen, wie der Lehrermangel bekampft werden soll. 8000 Stellen in den Schulen seien unbesetzt, sagte er. Es gehe um bessere Bezahlung, die Politik musse sich um Quereinsteiger kummern: >>Warum kann der Diplom-Biologe nicht auch ein guter Bio-Lehrer sein?<>Comeback-Kampagne<>Jetzt zwei Stunden pro Woche mehr arbeiten, aber dafur fruher in Ruhestand gehen.<>Wenn Sie in Duisburg wohnen, zahlen Sie Kita-Gebuhren, in Dusseldorf nicht<<, sagte Kutschaty.
Welche Themen gefehlt haben: Armut etwa. NRW belegt diverse Spitzenplatze in den Armutsrankings. Die steigende Inflation wurde nicht angesprochen, ebenso wenig die Energiepreise fur die Verbraucher. Im vergangenen Jahr wurde NRW von einer Jahrtausendflut getroffen, knapp 50 Menschen starben. Doch niemand sprach an diesem Abend uber das Hochwasser und die Folgen. NRW ist weiter Stauland Nummer eins in Deutschland, auch das wurde ausgeklammert. Unklar blieb zudem, wie mehr Lehrer, Polizisten und Pfleger finanziert werden sollen.
Koalitionsaussagen: Wer mit wem nach der Wahl? Daruber wurde nicht debattiert. Die Moderatorinnen fragten Wust und Kutschaty nur, was fur sie in Koalitionsverhandlungen unverhandelbare Punkte seien. >>Unverruckbar ist, dass Klimaschutz und Arbeitsplatze zusammenpassen<>Kinder und Jugendliche in den Mittelpunkt aller politischen Entscheidungen stellen<< werde.
Fazit: Wust wartete in diesem TV-Duell vermutlich auf einen Punch von Kutschaty, der kam aber nicht. Insofern durfte sich der Amtsinhaber als Gewinner fuhlen.