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Europäische Union

icher EU-Beitritt der Ukraine: Olga Stefanischyna fordert klares Signal aus Brussel //

Die Europaische Union musse das Beitrittsgesuch ihres Landes annehmen, fordert die ukrainische Vizeministerprasidentin Olga Stefanischyna. Deutschland sieht sie bei dieser Frage in einer besonderen Rolle.

Vizeministerprasidentin Stefanischyna (Mitte, mit der danischen Premierministerin Mette Fredriksen und Spaniens Pedro Sanchez im April): >>Wenn Russland in der Ukraine siegt, bestimmt es die Regeln auf dem Kontinent<<


Foto by MIGUEL GUTIERREZ / EPA–EFE

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SPIEGEL: Sie beschreiben sich auf Twitter unter anderem als: >>Mutter und Traumerin<<. Von welcher Zukunft traumen Sie fur Ihr Kind?

Olga Stefanischyna: Meine Tochter ist zehn Jahre alt und mein Sohn sechs. Ich traume davon, dass der Krieg fur sie irgendwann nur noch eine Kindheitserinnerung ist. Dass sie in einem wohlhabenden Land aufwachsen werden. Dass ihre Kinder den Krieg nicht mit eigenen Augen sehen werden. Meine Tochter war erst zwei Jahre alt, als die Krim annektiert wurde. Mein Sohn wurde geboren, als der Krieg im Donbass bereits stattfand. Sie wissen eine Menge daruber und sind sehr patriotisch. Das gibt mir Kraft – auch wenn ich sie fast seit Beginn des Krieges nicht mehr gesehen habe. Wir haben sie an einen sichereren Ort ausserhalb von Kiew gebracht. Es ist schlimm, so weit von ihnen entfernt zu sein. Aber sie sind sicherer als viele andere Kinder. Wenn ich etwas tun kann, um den Sieg der Ukraine naherzubringen, dann muss ich es tun.


Foto:

OLIVIER HOSLET / POOL / EPA


Als eine der vier stellvertretenden Premierministerinnen ist Olga Stefanischyna zustandig fur die europaische und euroatlantische Integration der Ukraine. Schon vor ihrer Berufung ins Kabinett arbeitete sie in diesem Bereich fur die Regierung. Stefanischyna hat in Kiew und Odessa Internationales Recht und Finanzwesen studiert.

SPIEGEL: Die EU ist noch kaum als militarische Macht in Erscheinung getreten. Wie wurde es der Ukraine helfen, jetzt der EU beizutreten?

Stefanischyna: Es ist unwahrscheinlich, dass ein Beitritt die militarische Aggression sofort stoppt. Aber das ukrainische Volk hat sich fur die EU entschieden und viel dafur getan, ihr beizutreten. Diese Entscheidung wird jetzt durch eine militarische Aggression untergraben. Sie wird infrage gestellt durch Kriegsverbrechen russischer Soldaten. Der Status eines Beitrittskandidaten wurde zeigen, dass die EU unsere Entscheidung respektiert, dass unsere Zukunft in der EU liegt. Er wurde ausserdem die Frage der >Einflusssphare Russlands< abschliessen und das ist wichtig, um diesen Krieg zu beenden. Deswegen freuen wir uns, dass alle EU-Mitglieder den EU-Antrag der Ukraine in Betracht ziehen.

>>Angriff auf die demokratische Welt<<

SPIEGEL: Kritiker sagen, dass die Gegnerschaft eines Landes zum Aggressor Russland es nicht automatisch zu einem EU-Kandidaten macht.

Stefanischyna: Die Dinge liegen anders. Die EU ist die starkste Macht auf dem Kontinent. Sie basiert auf Werten, die den Wohlstand und das Wachstum der europaischen Nationen ermoglichen. Ich glaube, dass die EU gar keine Wahl hat. Wenn Russland siegt, wird nicht nur die Ukraine leiden. Russland wird nicht aufhoren, bis es gestoppt wird. Russlands Krieg ist ein Angriff auf die demokratische Welt. Wir sollten alle uberlegen, was wir zur europaischen Stabilitat beitragen konnen. Jeder Erfolg Russlands wurde zeigen, dass die EU nicht in der Lage war, einen Krieg zu verhindern. Wenn Russland in der Ukraine siegt, bestimmt es die Regeln auf dem Kontinent.

SPIEGEL: Prasident Macron hat einen schnellen EU-Beitritt der Ukraine abgelehnt und stattdessen vorgeschlagen, eine >>parallele europaische Gemeinschaft<< zu schaffen. Was bedeutet der Vorschlag in der Praxis?

Stefanischyna: Wir verstehen nicht, worum es dabei gehen soll. Das ukrainische Volk hat weit mehr als andere Lander getan, um die Werte der EU anzustreben. Es jetzt zur Geisel interner Debatten uber die Neugestaltung der EU zu machen, ist nicht der richtige Weg. Wir haben den Konsens aller 27 Mitgliedstaaten, dass die Ukraine zur europaischen Familie gehort. Die Frage ist nur wie schnell. Wir wissen, dass die Aufnahme ein komplizierter Prozess ist. Alles, worum wir jetzt bitten, ist der Status eines Beitrittskandidaten. Dagegen gibt es keine Argumente. Jedes Zogern ware ein Zeichen von Schwache.

SPIEGEL: Furchten Sie, Macrons Vorschlag verweist Ihr Land auf lange Zeit in eine >>Wartehalle zur EU<<?

Stefanischyna: Nach dem, was wir gehort und diskutiert haben, hat der Vorschlag nichts mit einem formalen Status zu tun. Aber alles unterhalb eines formalen Status gab es in der Vergangenheit schon – wirtschaftliche Zusammenarbeit, Freizugigkeit, um nur ein paar Beispiele zu nennen. Politische Fuhrungen wechseln, in der Ukraine, und auch in der EU. Deswegen wollen wir einen formalen Status, der garantiert, dass keine politische Gruppe die Entscheidung der Ukraine fur die EU aufhalten kann.

SPIEGEL: Sie meinen, falls es Russland doch noch gelingen sollte, eine prorussische Regierung einzusetzen?

Stefanischyna: Das wird die Ukraine niemals zulassen. Russland hat bereits in jeder Hinsicht versagt. Mehr als 90 Prozent der Ukrainer unterstutzen die europaische Integration.

SPIEGEL: Hat Macron seinen Vorschlag mit Ihnen oder einem Ihrer Kollegen besprochen, bevor er ihn prasentiert hat?

Stefanischyna: Nein, aber wir haben Ahnliches aus verschiedenen Hauptstadten gehort.

Mehr als 90 Prozent der Ukrainer sind fur Beitritt

SPIEGEL: Welche Reaktion erwarten Sie von Russland, falls die Ukraine einen Kandidatenstatus erhalt?

Stefanischyna: Wir haben in den letzten 20 Jahren gesehen, dass es zu nichts fuhrt, darauf zu achten, was Russland sagt. Stattdessen hat die sogenannte Strategie, Russland nicht zu verargern, den Weg fur Aggressionen geebnet. Sie hat zwei Kriege in der Ukraine und einen in Georgien gebracht. Wir schauen jedenfalls nicht mehr uber unsere Schulter. Russland hat bereits alle moglichen Verbrechen auf unserem Territorium begangen.

Zerstorungen in Mariupol: >>Russland wird nicht aufhoren, bis es gestoppt wird<<


Foto: IMAGO/Peter Kovalev / IMAGO/ITAR-TASS

SPIEGEL: Es gibt eine Debatte uber Artikel 42.7 des EU-Vertrags. Er garantiert die Unterstutzung aller EU-Staaten, falls ein Mitglied angegriffen wird. Wie interpretieren Sie das – schliesst das militarische Unterstutzung ein, wie es bei der Nato der Fall ist?

Stefanischyna: Das ist ein ziemlich allgemeiner Artikel, da die meisten EU-Mitglieder Teil der Nato sind. Russland kennt keine Grenzen. Es hat von Belarus aus Raketen abgeschossen. Sie nutzen dafur das Schwarze Meer und konnten auch die Ostsee nutzen. Sie konnen schon jetzt fast jede Hauptstadt in der EU erreichen. Wenn Russland die Kontrolle uber die Ukraine erhalt, wird es naher an acht EU-Hauptstadte rucken.

SPIEGEL: Charles Michel hat eine militarische Unterstutzung der Ukraine durch die EU angekundigt. Was bedeutet das konkret?

Stefanischyna: Das heisst, dass die EU zum ersten Mal in der Geschichte 1,5 Milliarden Euro gibt, um Mitgliedstaaten Ausgaben zu erstatten, wenn sie die Ukraine militarisch unterstutzen. Jede Regierung entscheidet dann selbst, was sie uns zur Verfugung stellt. Das ist ein sehr starkes Zeichen der Solidaritat mit der Ukraine.

SPIEGEL: Vor dem Krieg sagten Sie im SPIEGEL-Interview, die Ukraine werde allein kampfen, kein anderer Staat werde Soldaten schicken. Sind Sie zufrieden mit dem, was die EU-Lander heute tun?

Stefanischyna: Wir haben eine ziemlich starke Armee, 300.000 Soldaten in den Streitkraften plus die Nationalgarde und die Territorialverteidigung. In der Tat hat keines der Lander Soldaten geschickt. Aber die Fahigkeiten der ukrainischen Armee haben die ganze Welt uberrascht.

SPIEGEL: Das Magazin >>Politico<< schrieb jungst, dass die angelsachsischen Lander die ukrainische Armee am starksten unterstutzt haben. Stimmen Sie zu?

Stefanischyna: Alle dort erwahnten Lander unterstutzen uns. Aber in puncto Schnelligkeit, Timing und Qualitat sind die angelsachsischen Staaten Champions, weil wir unsere Informationen miteinander austauschen. Sie wissen, was wir brauchen, um uns besser zu verteidigen.

SPIEGEL: Das grosse, wohlhabende Deutschland wurde immer wieder dafur kritisiert, die Ukraine zu wenig, oder zu zogerlich zu unterstutzen. Sehen Sie das genauso?

Stefanischyna: Ich habe den Kommentaren meiner Kollegen in der Regierung nichts hinzuzufugen. Das Beste, was Deutschland jetzt tun kann, ist unseren Kandidatenstatus in der EU sofort zu unterstutzen. Deutschland kann das Ruder herumreissen. Deutschland reprasentiert das alte Europa und kann nun dazu beitragen ein neues Europa zu schaffen. So konnten wir eine neue Seite in unseren bilateralen Beziehungen aufschlagen.

>>Intern haben wir keine Herausforderungen mehr<<

SPIEGEL: Mit welchen EU-Staats- oder Regierungschefs werden Sie personlich das Verhaltnis zwischen der EU und der Ukraine diskutieren?

Stefanischyna: Die Kontakte werden in den nachsten Wochen intensiviert. Geplant sind Gesprache mit Schweden, Deutschland, Frankreich, den Niederlanden, Portugal, Spanien und Italien. Wir sind mit allen in standigem Kontakt, aber vor allem mit unseren Nachbarlandern.

SPIEGEL: Macron argumentiert, dass die EU ihre Standards senken musste, um die Ukraine sofort aufzunehmen. Welches ist das grosste Hindernis auf dem Weg in die EU?

Stefanischyna: Wir wollen die Beitrittskriterien erfullen. Aber bislang sprechen wir uber den Kandidatenstatus. Die Verhandlungen zur Erfullung aller Kriterien kommen im nachsten Schritt, so wie bei anderen Landern auch. Intern haben wir keine Herausforderungen mehr, die Einigkeit der verschiedenen politischen Gruppen ist enorm. Wir sind eins, um den Krieg zu gewinnen, wir konzentrieren alle unsere Anstrengungen darauf. Vor dem Krieg gab es viele Herausforderungen, und auch jetzt mussen wir zum Beispiel das Justizwesen reformieren. Aber das Land operiert im Militarmodus. Alles andere haben wir eingefroren.

SPIEGEL: Die Ukraine wird die Gaslieferungen an die EU kurzen. Befurchten Sie, dass EU-Mitglieder Ihr Beitrittsgesuch deshalb etwa doch nicht mehr unterstutzen?

Stefanischyna: Bis jetzt haben wir nichts dergleichen gehort.


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