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News: Andrij Melnyk, Ukraine, Queen Elisabeth, Martin Huber

Liebe Leserin, lieber Leser, guten Morgen,

heute geht es um die Angst der Politiker vor dem ukrainischen Botschafter, die neuen Zahlen zur politischen Kriminalität und die Feinheiten des Promotionsrechts.

Wenn sogar Politiker lieber schweigen

Einen Tag konnten wir uns noch ablenken vom Krieg, mit der Euphorie der CDU über ihren Erdrutschsieg im Swing State Schleswig-Holstein. Dass Daniel Günther gegen den Bundestrend für die CDU über 40 Prozent holte, ist schon eine kleine Sensation. Aber spätestens heute Morgen ist die Lage für Günther ein bisschen wie für Aschenputtel nach Mitternacht: Die Kutsche ist wieder ein Kürbis, die Pferde sind wieder Mäuse, und was wirklich politisch wichtig ist, hat mit der Ukraine und Russland zu tun.

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Ukrainischer Botschafter Andrij Melnyk, im Hintergrund eine ukrainische Flagge


Foto: CLEMENS BILAN / EPA

Da wäre das Treffen der G7-Digitalminister in Düsseldorf heute, die sich über Cyberangriffe austauschen wollen. Das Thema könnte aus deutscher Sicht kaum aktueller sein: Gerade haben russische Hacker die Websites deutscher Behörden, Ministerien und Flughäfen zum Teil lahmgelegt , wie der SPIEGEL gemeldet hatte.

Bundeskanzler Olaf Scholz wiederum wird heute demonstrativ besonnen in Cottbus den ersten Spatenstich für ein neues Bahnwerk setzen. Aber dann geht es zurück ins Kanzleramt, wo der Strom der internationalen Gäste nicht versiegen will: Auf Frankreichs Präsident Emmanuel Macron folgt heute Belgiens Ministerpräsident Alexander de Croo.

Wer dagegen weiterhin im Kanzleramt nicht so super willkommen ist, das ist Andrij Melnyk, der scharfzüngige ukrainische Botschafter in Deutschland. Wer mit Abgeordneten über Melnyk spricht, stößt auf fast einhelligen Frust und regelrechte Angst. Im persönlichen Gespräch habe ich Melnyk als angenehm, klug, nachdenklich, diskussionsfreudig erlebt. Die Politikerinnen und Politiker aber fürchten den Twitter-Melnyk, den Wutdiplomaten, der sie anpflaumt, sie sollten »die Klappe« halten, oder keine »beleidigte Leberwurst« sein. Der Zorn über den teils rüden Ton des Botschafters brodelt parteiübergreifend, aber noch liegt der Deckel auf dem Kessel. Wer wollte den Vertreter eines Landes, das gerade zerbombt wird, dessen Bevölkerung ermordet und vergewaltigt wird, öffentlich belehren oder kritisieren? Dafür muss man schon ein hartgesottener Soziologe sein. 

Auch im Berliner Sicherheitsapparat wird deshalb nur ganz leise über Melnyk gegrummelt. Der hatte die jüngste Entscheidung der Berliner Polizei scharf kritisiert, an 15 Orten des Gedenkens zum 8. und 9. Mai keine Fahnen oder Uniformen zu erlauben. Die Polizei wollte verhindern, dass Massenprügeleien proukrainischer und prorusisscher Demonstranten ausbrechen. Ob nun ausgerechnet Fahnen die Lage eskaliert hätten, erscheint zweifelhaft. Andererseits muss man der Berliner Polizei beim Thema Straßenschlachten einen gewissen Erfahrungsschatz zusprechen.

Melnyk geißelte die Anti-Fahnen-Regel als »Schlag ins Gesicht des ukrainischen Volkes« . Nun berichten Menschen aus dem Berliner Sicherheitsapparat hinter vorgehaltener Hand, dass die Polizei vor dem Wochenende mehrmals bei der ukrainischen Botschaft vorgesprochen hätte, persönlich und schriftlich, um das sensible Fahnen-Thema zu erklären. Zwar hätte es Nachfragen aus der Botschaft gegeben, aber keine Kritik, schon gar keinen Vorwurf von Skandal, klagen die Sicherheitsleute. Dort ist der Frust über Melnyk groß: »Der Mann spielt falsch«, heißt es.

Langsam stellt sich nicht nur die große Frage, wie der furchtbare Krieg zu beenden ist, sondern auch die kleine Frage, ob der Graben zwischen Melnyk und dem politischen Berlin sich noch schließen lässt.

Mehr Nachrichten und Hintergründe zum Krieg in der Ukraine finden Sie hier:

  • Das geschah in der Nacht: Russland soll mehrere Hyperschallraketen auf Odessa abgefeuert haben. Die Ukraine will im Juni Kandidat für die EU werden. Und: Biden mahnt bei Milliardenpaket zur Eile. Der Überblick.

  • Was der Angriff auf die Schlangeninsel über Kiews Luftwaffe verrät: Die Luftwaffe der Ukraine ist klein und mit oft alter Technik ausgestattet. Trotzdem gelingen ihr immer wieder spektakuläre Schläge gegen die russischen Angreifer, zuletzt auf der Schlangeninsel. Wie schafft sie das? 

  • Boris würde sofort kämpfen, Maksim schämt sich: Der 9. Mai gilt in Russland als einer der wichtigsten Feiertage. Doch in diesem Jahr wollten den Sieg über Hitler-Deutschland fast nur jene feiern, die Putins Angriff auf die Ukraine unterstützen. Beobachtungen aus Moskau. 

  • Verschwörungsgrüße aus Moskau: Russland steht international wegen seines Angriffs auf die Ukraine am Pranger, aber Präsident Putin verbreitet auch am Jahrestag des Sieges über Nazideutschland bizarre Thesen – und sieht sich als Opfer. 

Hält das Land noch zusammen?

Gleich mehrere Termine in Berlin befassen sich heute mit dem Thema Extremismus. So stellt etwa Nancy Faeser, die Bundesinnenministerin, die vielleicht demnächst Ministerpräsidentin in Hessen werden möchte, heute gemeinsam mit BKA-Präsident Holger Münch den Jahresbericht zur politisch motivierten Kriminalität im Jahr 2021 vor. Als Faesers Vorgänger Horst Seehofer im vergangenen Jahr die Statistik präsentierte, musste er einen Anstieg der politisch motivierten Gewaltdelikte um fast 19 Prozent vermelden – ob diese Zahl sich gebessert hat?


Bundesinnenministerin Faeser

Bundesinnenministerin Faeser


Foto: Bernd von Jutrczenka / dpa

Wer sich weniger für Täter, als für die Opfer interessiert, sollte die Pressekonferenz der Beratungsstellen für Betroffene rechter, rassistischer und antisemitischer Gewalt verfolgen. Ein eigenes Kapitel bekommen in diesem Jahr gewalttätige Angriffe der Coronaleugner.

Wer anschließend noch immer an das Gute glaubt, kann sich den Rest geben und sich über die Ergebnisse der repräsentativen Befragung »Antisemitismus in Deutschland« informieren. Felix Klein, Beauftragter der Bundesregierung für jüdisches Leben in Deutschland, stellt die Studie vor, die das Demoskopie-Institut Allensbach im Auftrag des American Jewish Committee (AJC) durchgeführt hat. Dabei wurde speziell abgefragt, wie verbreitet antisemitische Denkmuster unter Musliminnen und Muslimen sind.

Aber vielleicht ist auch nicht alles schlecht. Unsere Hoffnung gilt dem Sachverständigenrat für Integration und Migration (SVR). Der stellt morgen sein Jahresgutachten 2022 vor, und es trägt den Titel: »Systemrelevant: Migration als Stütze und Herausforderung für die Gesundheitsversorgung in Deutschland«. Eine Stütze! Ja, könnte es sein, dass ohne den Einsatz von Menschen, die nicht als Kinder deutscher Eltern in Deutschland geboren worden sind, die Gesundheitsversorgung hier zusammenklappen würde? Wenn das so ist, sollten wir doch auch den Teil mit den Herausforderungen hinbekommen.

Die Queen fehlt

Heute wird das britische Parlament feierlich eröffnet, normalerweise fällt diese Aufgabe Queen Elizabeth zu, doch die 96-Jährige wird zum ersten Mal seit Jahrzehnten nicht die Regierungserklärung des Premierministers verlesen. Die Ärzte hätten ihr zu der Absage geraten, heißt es, weil sie noch immer an »Mobilitätsproblemen« leide.


Queen Elisabeth II. (2021)

Queen Elisabeth II. (2021)


Foto: Steve Reigate; Daily Express / dpa

Stattdessen soll ihr Sohn Charles sie bei dem sogenannten »State Opening« vertreten und die traditionelle »Queen’s Speech« für Elizabeth II. halten. Für Charles wird es langsam ernst. Ob die nächste Rede nach 70 Jahren wohl wieder eine »King’s Speech« sein wird?

Behält der General seinen Doktor?

Die meisten von Ihnen, liebe Leserinnen und Leser, haben einen hohen Bildungsgrad, viele sind promoviert. Das wissen wir aus nicht-repräsentativen Stichproben unseres E-Mail-Spam-Ordners. Aber sind die doctores unter Ihnen schon mal einem Plagiatsjäger begegnet? Wären Sie dieser Konfrontation gewachsen?

Wichtig ist zweierlei: Erstens dürfen Sie sich Ihre Furcht nicht anmerken lassen, das weckt nur den Jagdinstinkt. Am besten eiskalt bluffen: »Meine Diss? Ich hab’ ja immer ein Exemplar im Auto liegen. Soll ich es einfach schnell…? Nein? Gut, wie Sie wollen!«

Zweitens muss der wissenschaftliche Jargon stimmen. Entzogen werden nicht etwa »Doktortitel«, so was sagen nur Halbgebildete, sondern der akademische Grad! Also hier am besten dick auftragen: »Dieser Fehler reißt ja leider immer mehr ein, furchtbar. Tut mir fast körperlich weh!«


CSU-Generalsekretär Huber

CSU-Generalsekretär Huber


Foto: Peter Kneffel / dpa

Tatsächlich schrieb sogar die Ludwig-Maximilians-Universität München in ihrer jüngsten Erklärung zu Dr. Martin Huber, dem neuen CSU-Generalsekretär unter Plagiatsverdacht, dass der seinen »Titel« noch solange führen dürfe, wie die Prüfung der Dissertation dauere. Tss tss.

Für Jura-Feinschmecker ist übrigens die Frage spannend, ob der General seinen Doktor überhaupt verlieren kann. Denn als Huber seine Dissertation mit dem Titel (!) »Der Einfluss der CSU auf die Westpolitik der Bundesrepublik Deutschland von 1954 bis 1969 im Hinblick auf die Beziehungen zu Frankreich und den USA« einreichte, galt an seiner Fakultät noch eine bundesweit einzigartige Promotionsordnung. Die schrieb vor, dass Doktorgrade nur bis zu fünf Jahre nach ihrer Erteilung wegen Täuschung kassiert werden konnten. War die Frist verstrichen, blieben sogar überführte Plagiatoren auf Lebenszeit promoviert. Später wurde die Frist gestrichen, heute gilt sie nicht mehr.

Welche Promotionsordnung gilt also für den Huber-Doktor? Die offiziellen Verlautbarungen der Uni-Pressestelle verweisen auf das frühere, mildere Regelwerk, wonach Huber seinen Titel behalten könnte. Man fragt sich, warum? Sollten Plagiatskontrollen nicht nach geltenden Verfahrensregeln ablaufen? Und wenn die Universität schon die alten Regeln anwendet – warum macht sie sich dann überhaupt die Mühe, »die wissenschaftliche Qualität der Arbeit nun erneut zu prüfen und dem Täuschungsvorwurf nachzugehen«? Sie dürfte den Doktorgrad ja gar nicht kassieren.

Am Ende könnte der Erhalt von Hubers akademischen Ehren schlicht davon abhängen, wie nervenstark (oder dreist) er und sein Parteichef Markus Söder sind. Oder wie verzweifelt die politische Lage in Bayern gerade für die CSU ist.

Gewinner des Tages…


Frank-Walter Steinmeier

Frank-Walter Steinmeier


Foto: via www.imago-images.de / imago images/Political-Moments

…ist Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier. Er quartiert sich für drei Tage in Sachsen-Anhalt ein, in der traumhaften Fachwerkstatt Quedlinburg, die jedem Wessi (und Ossi natürlich auch) nur wärmstens als Reiseziel empfohlen werden kann. Vor allem an Silvester, denn Quedlinburg ist eine der wenigen deutschen Städte mit Böllerverbot, eben wegen der Fachwerkhäuser.

Der Bundespräsident wird heute auch gleich an einem Runden Tisch mit Bürgerinnen und Bürgern der Stadt zum Thema »Flüchtlinge aus der Ukraine« teilnehmen. Das Treffen könnte für Steinmeier tröstlich sein, denn hier trifft er vielleicht Menschen, die auch bis zur Invasion Russlands in der Ukraine noch geglaubt haben, dass man Brücken bauen muss zur autokratischen Regierung in Moskau. Und die wie Steinmeier bis zuletzt hofften, dass Projekte wie die Gaspipeline Nordstream 2 dafür taugen.


Die jüngsten Meldungen aus der Nacht

Die SPIEGEL+-Empfehlungen für heute

  • Wenn der Arbeitgeber die Reise zur Abtreibungsklinik bezahlt: Amerikas Unternehmen stehen unter Druck, öffentlich Haltung zu beziehen: Unterstützen sie das Recht auf Schwangerschaftsabbruch? Wer sich vorwagt, muss mit heftigen Attacken der Republikaner rechnen .

  • Wie lange bleibt die Inflation, Herr Mayer? Die Teuerungsrate steigt auf Höhen, die Deutschland seit Jahrzehnten nicht gesehen hat. Der Ökonom Thomas Mayer erklärt, warum sich Anleger daran gewöhnen müssen – und wie sie ihr Geld gegen Entwertung schützen .

  • Das Bullerbü-Experiment: Grüne und SPD wollen in einem Berliner Quartier das Parken auf der Straße weitgehend verbieten. Vor Ort schwankt die Stimmung zwischen Euphorie und Wut .

  • Du musst mal raus hier – und zwar jetzt! Surfen ist nicht nur digital schön: Nach 26 Monaten Pandemie schwärmt der Autor Christian Schüle von der Kraft des Reisens. Dabei geht es nicht nur darum, am Strand zu liegen, sondern endlich die Kontrolle zu verlieren .

Ich wünsche Ihnen einen guten Start in den Tag.

Ihre Melanie Amann

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