Liebe Leserin, lieber Leser, guten Morgen,
heute geht es um die geplante Rede von Russlands Präsident Putin zum »Tag des Sieges«, um das Treffen zwischen Kanzler Scholz und Präsident Macron – und um die rosigen Zukunftsaussichten von Daniel Günther.
Putins Macht-Demonstration
Russland feiert heute den Sieg über Hitler-Deutschland vor 77 Jahren. Auf dem Roten Platz in Moskau wird Präsident Wladimir Putin die traditionelle Militärparade abnehmen. Zu erwarten ist eine Orgie des Selbstbetrugs. Denn Putins Staatspropaganda will Russlands heutige Armee offenkundig in eine Linie mit den Soldatinnen und Soldaten stellen, die zwischen 1941 und 1945 dabei mithalfen, die Welt vom Nationalsozialismus zu befreien. Dabei gibt es da aktuell keine Gemeinsamkeiten. Russland steht diesmal, mit der Invasion der Ukraine, auf der falschen Seite der Geschichte.
Soldaten bei Probe für Militärparade in Moskau
Foto: Bai Xueqi / dpa
Putin will an diesem Tag auch eine Rede halten. Sein Auftritt könnte möglicherweise einiges darüber verraten, wie er gedenkt, im Ukrainekrieg weiter zu verfahren. Seit Tagen gibt es Spekulationen darüber, dass Putin der Ukraine offiziell den Krieg erklärt, bisher spricht er nur von einer »Spezialoperation«. Auch gibt es Gerüchte über eine angeblich bevorstehende General- oder Teilmobilmachung in Russland, also eine Eskalation des Konflikts. Vom Kreml wurde dies als »Unsinn« zurückgewiesen. Wir werden sehen.
Bei der Parade in Moskau sollen insgesamt 11.000 Soldaten aufmarschieren. Von den Proben ist bekannt, dass Kampfflugzeuge am Himmel den Buchstaben »Z« formen sollen, das Symbol für Russlands Krieg in der Ukraine. Auch ist der Überflug eines Spezialflugzeugs vorgesehen, das die russische Regierung im Fall eines Atomkriegs transportieren kann. Dieser »Doomsday-Jet« wurde von den Russen seit vielen Jahren nicht mehr gezeigt, offenbar handelt es sich dabei um eine erneute Drohgebärde in Richtung Nato.
Übrigens: In den USA, der mit Abstand größten Militärmacht der Welt, gibt es keine vergleichbare jährliche Militärparade. Alle Versuche von Ex-Präsident Donald Trump, so etwas in Washington einzuführen, scheiterten am Widerstand der Top-Militärs im Pentagon. Alles viel zu viel Aufwand. Diese Art von militaristischer Protzerei ist vielen Amerikanerinnen und Amerikanern ohnehin fremd. Das spricht für sie.
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Macron besucht Scholz
Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) trifft sich heute in Berlin mit dem alten und neuen französischen Präsidenten Emmanuel Macron. Es ist ein schönes Symbol, dass der französische Präsident – gemäß der Tradition – auch zu Beginn seiner zweiten Amtszeit nach Berlin fährt, um die Bedeutung der deutsch-französischen Beziehungen zu unterstreichen. Natürlich werden die beiden hauptsächlich über den Ukrainekrieg sprechen. Es wird auch darüber spekuliert, dass sie gemeinsam nach Kiew fahren könnten. Ob es kurzfristig solche Pläne gibt, ist bislang allerdings nicht bekannt.
Kanzler Olaf Scholz bei TV-Ansprache
Foto: Pool / Getty Images
In einer Ansprache zum Ende des Zweiten Weltkriegs am 8. Mai hat Scholz auch über Russlands Krieg in der Ukraine gesprochen. Mein Kollege Dirk Kurbjuweit hat sich die Rede angeschaut und war enttäuscht von dem Auftritt . Er vermisste vor allem empathische Worte. Der Kanzler habe nichts zum tapferen Kampf der Ukrainer, nichts zum Leid der Menschen in Mariupol und anderswo gesagt, kommentiert er. »Scholz hielt keine Unterstützungsrede für die Ukraine, sondern eine Beruhigungsrede an sorgenvolle Deutsche.« Und: »Deutschland ist ein Land, das sich gern klein macht, wenn es darauf ankommt, und gibt damit alle Ansprüche auf, in der Welt eine wichtige Rolle zu spielen. Scholz’ Rede steht genau für dieses Prinzip.«
Flaggen-Posse in Berlin
Deutschlands Rolle in diesem Konflikt bleibt kompliziert. Das zeigt auch ein Flaggen-Eklat in Berlin-Tiergarten. Am dortigen Ehrenmal für die sowjetischen Soldaten, die in Berlin während des Zweiten Weltkriegs ihr Leben ließen, wollten zum 8. Mai Demonstranten eine große ukrainische Flagge ausrollen. Unter Hinweis auf ein generelles Flaggenverbot an diesem Tag rollte die Berliner Polizei die Flagge wieder ein. So entstanden unschöne Bilder. Es sah so aus, als sei in Deutschland Protest für die Ukraine und gegen Russland generell nicht geduldet, was natürlich Quatsch ist.
Polizisten mit Ukraine-Flagge in Berlin
Foto: IMAGO/Bernd Elmenthaler
Trotzdem wurde der Eindruck erweckt, Deutschland nehme es mit der Unterstützung für die Ukraine nicht so ernst. Der ukrainische Botschafter, Andrij Melnyk, twitterte: »Eine Riesenblamage für Berlin am 8. Mai. Einfach sprachlos und traurig.«
In Berlin sind heute wieder einige Veranstaltungen zum Kriegsende vor 77 Jahren angekündigt. Mit dabei sind auch besonders treue Freunde Russlands (und der alten Sowjetunion), von denen es speziell in Berlin bekanntlich einige gibt. Unter anderem ist ein »Rotarmisten-Gedächtnis-Aufzug« mit 1300 Teilnehmern angemeldet. Es gibt zudem eine Kundgebung »Die gefallenen Sowjetsoldaten ehren«. Die Polizei ist mit einem Großaufgebot im Einsatz.
Daniel Günther – CDU-Kanzlerkandidat 2025?
Zugegeben, es ist noch etwas früh, über die Kanzlerkandidatur der Union für die Wahl 2025 nachzudenken. Dennoch bietet der Ausgang der Landtagswahl in Schleswig-Holstein Anlass für ein paar Gedankenspiele. CDU-Ministerpräsident Daniel Günther, von den Rechten in der eigenen Partei wegen seines mittigen Profils als »Genosse Günther« verspottet, hat sich mit seinem Sieg für die K-Frage in der ersten Reihe positioniert. 43 Prozent der Wählerstimmen einzusammeln, muss ihm in der CDU (und CSU) erst einmal jemand nachmachen.
CDU-Ministerpräsident Daniel Günther
Foto: Daniel Bockwoldt / dpa
So viele mit Kandidaten-Statur haben sie zurzeit ja gar nicht in der Union. Klar, da sind Friedrich Merz und Markus Söder, die sich selbst natürlich für besonders kanzlertauglich halten. Nur, das heißt noch gar nichts. Die jüngste Vergangenheit lehrt, dass sich in diesen Dingen am Ende nicht immer diejenigen durchsetzen, die am lautesten »hier« schreien. Angela Merkel und Olaf Scholz, Nummer acht und Nummer neun im Kanzleramt, sind auch eher ruhige, ausgleichende Typen mit stillem Ehrgeiz – ganz wie Daniel Günther. Viele Deutsche mögen diesen Stil offenkundig.
In der kommenden Woche darf in Nordrhein-Westfalen CDU-Ministerpräsident Hendrik Wüst zeigen, ob er den Anschluss zu Günther halten kann. Eine ZDF-Umfrage sieht die Union derzeit dort mit 30 Prozent knapp vor der SPD (28 Prozent). Die Grünen kämen auf 18 Prozent, was für Wüst keine gute Nachricht ist, denn damit könnte es in Düsseldorf unter Umständen auch für eine rot-grüne Koalition unter dem SPD-Kandidaten Thomas Kutschaty reichen.
Gewinnerin des Tages…
Jill Biden mit Olena Selenska in der Westukraine
Foto: Susan Walsh / AP
…ist Jill Biden, die First Lady der USA. Völlig überraschend tauchte die Ehefrau von US-Präsident Joe Biden zu einem Blitzbesuch in der Ukraine auf. Die Visite von Jill Biden ist eine bemerkenswerte Geste mit Symbolkraft, so unterstreichen die Bidens ganz persönlich ihre Unterstützung für die Ukraine.
Jill Biden traf sich im Westen des Landes mit der Frau des ukrainischen Präsidenten, Olena Selenska, die ihr für den »mutigen« Besuch dankte. Gemeinsam besuchten die beiden Frauen eine Schule, in der sie dann auch mit Geflüchteten sprachen.
Präsident Joe Biden macht schon seit einer Weile deutlich, dass er am liebsten selbst in die Ukraine reisen würde. Dazu ist es bislang aber nicht gekommen. Auch wegen der Sicherheitslage raten Bidens Berater von einer solchen Reise dringend ab. Der US-Präsident mit seinem großen Secret-Service-Stab kann nicht still und heimlich in dem Land auftauchen und wieder abreisen. Das Anschlagsrisiko oder die Gefahr, in einen Raketenangriff zu geraten, wäre für ihn zu groß. Der Trip von Jill Biden ist eine clevere Alternative. Die First Lady kann im Gegensatz zum Präsidenten grundsätzlich mit weit weniger Aufsehen und Sicherheits-Brimborium reisen.
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Ich wünsche Ihnen einen guten Start in den Tag.
Ihr Roland Nelles