Linke und Metoo-Skandal: Wie die Partei den Neuanfang plant //
Im Osten Berlins haben sich am Samstagmorgen junge Menschen an einer Kreuzung versammelt, um gegen Sexismus in der Linken zu demonstrieren. Mit Kreide haben sie auf den Asphalt Zitate von Artikeln der vergangenen Tage geschrieben. In wenigen Minuten wird in dem grauen Verlagsgebaude der Zeitung >>Neues Deutschland<<, vor dem die Demonstration stattfindet, der Linken-Parteivorstand tagen.
Die protestierende Gruppe gehort der Linksjugend ‘solid an und fordert den Rucktritt aller Tater und jener, die von den Taten gewusst oder sie gedeckt haben. Man habe als >>Flinta-Personen die Schnauze gestrichen voll<<, ruft einer der Personen in ein Mikrofon. Die Abkurzung Flinta steht fur Frauen, Lesben, Intersexuelle, Nichtbinare, Transpersonen und Agender (Menschen, die kein Geschlecht haben).
Es ist vor allem die Parteijugend, die in den vergangenen Tagen von der eigenen Partei Veranderungen einforderte. Seit der SPIEGEL Vorwurfe sexueller Ubergriffe im hessischen Landesverband enthullte, ist in der Partei das Chaos ausgebrochen. Die Parteivorsitzende Susanne Hennig-Wellsow trat zuruck und begrundete dies auch mit dem falschen Umgang der Partei mit dem Sexismus-Skandal. Die Vorsitzende Janine Wissler steht machtig unter Druck wegen Vorwurfen, fruhzeitig von Vorgangen gewusst, aber nichts unternommen zu haben (Lesen Sie hier die Hintergrunde zu den Vorwurfen).
Vor der Sitzung des Parteivorstands bekraftigte Wissler noch mal ihr Dementi, sie sei fruhzeitig informiert gewesen. Es war ihr erster Auftritt in der Offentlichkeit, nachdem die Vorgange in Hessen publik wurden. Ihr Auftritt wirkte selbstbewusst. Alle konkreten Falle mussten auf den Tisch, so Wissler. Eine externe Gruppe von Expertinnen soll nun die Dinge aufklaren.
Wissler spricht auch uber Fehler von >>uns<>wir<>Es<>nicht alles richtig gemacht<<, sagte Wissler. Nachfragen, wie sie als Involvierte neben der Aufklarung noch als Parteivorsitzende einer in der Existenzkrise befindlichen Partei agieren will oder was sie zu einer konkreten Mail einer Betroffenen zu sagen hat, die an Wisslers Darstellung zweifeln lasst, lasst die Parteivorsitzende nicht zu.
In der Vorstandssitzung selbst wurde schliesslich ein Fahrplan fur einen Erneuerungsprozess festgelegt. Ursprunglich wollte sich die Partei in diesem Jahr auf einem Parteitag im Juni inhaltlich beraten und erst im kommenden Jahr personell neu aufstellen.
Wegen der ganzen Querelen der vergangenen Monate entschied sich die Parteifuhrung, nun auch die Personalwahlen nach vorn zu ziehen. Dabei standen noch zwei Alternativen zur Debatte: ein gesonderter Parteitag im Herbst, damit die neue Fuhrung nicht sogleich mit den wahrscheinlich anstehenden Wahlniederlagen der kommenden Landtagswahlen beschadigt wird. Oder eine Urwahl mit Einbindung der Basis, um die Machtzirkel auf Funktionarsebene zu durchbrechen.
Einer der entscheidenden Grunde, warum beides nicht gemacht wird, ist nach SPIEGEL-Informationen die knappe Finanzlage der Linken. Die verlorenen Wahlen drucken das Budget der Partei, die Wahlkampfkostenerstattung fiel geringer aus. Besonders schmerzlich konnte das im Grossflachenland Nordrhein-Westfalen werden, wo die Linke in manchen Umfragen zwischen erbarmlichen zwei und drei Prozent rangiert. Beide Alternativen zum Parteitag im Juni waren schlicht zu teuer fur die Linke.
Wer wird Parteifuhrung ubernehmen?
Die kommenden Wochen wird sich die Partei also damit beschaftigen, wer den Parteivorsitz ubernimmt. Ein Duo musste aus einem West- und einem Ostdeutschen bestehen, mindestens eine Frau muss dabei sein. Wissler ausserte sich noch nicht, ob sie wieder fur den Parteivorsitz antreten wird. Ansonsten tut sich aus den Westverbanden bisher niemand auf, der den Job ubernehmen wurde.
Die ostdeutschen Reformer mussen nach dem Rucktritt von Hennig-Wellsow eine neue Person finden. Namen, die sich aufdrangen, lassen sich in den vergleichsweise erfolgreichen Landesregierungen in Thuringen und Berlin finden. Etwa der Thuringer Staatskanzleichef Benjamin Hoff, der als kuhler Kopf vom bisweilen aufbrausenden Ministerprasidenten Bodo Ramelow gilt.
Oder auch Berlins Kultursenator Klaus Lederer, der seine Partei geschickt wieder in die Regierung fuhrte. Ob sich einer der beiden Landespolitiker in die Kampfe in Berlin begeben will, ist noch ungewiss.
Ebenfalls wird seit langer Zeit der Parlamentarische Geschaftsfuhrer der Bundestagsfraktion Jan Korte fur fuhrende Aufgaben genannt, der immerhin das Durcheinander in der Bundestagsfraktion durchblickt. Doch der zog bisher immer den Kopf ein, wenn sich fur ihn eine Chance zum Aufstieg bot. Uberdies wird Korte eigentlich fur einen anderen Posten gehandelt: den Fraktionsvorsitz, den Dietmar Bartsch eigentlich noch bis mindestens kommenden Jahres innehat.
Seit mehreren Jahrzehnten gibt es keine Auseinandersetzung bei den Linken, bei der nicht irgendeiner der Genossen auf die Idee kommt, alles Bartsch in die Schuhe zu schieben. Dieses Mal ist es Parteivorstandsmitglied Lorenz Gosta Beutin, der in der >>Welt<< auch eine personelle Neuaufstellung der Fraktion forderte, was vor allem als Schienbeintritt gegen Bartsch zu verstehen ist.
Doch der Linkengrande aus Mecklenburg-Vorpommern hielt sich immer eisern in Posten. Wenn er mal zurucktrat, tauchte er irgendwann an anderer Stelle wieder auf. Bisher spricht nichts dafur, dass der Zeitplan mit der Wahl der Fraktionsfuhrung im kommenden Jahr uberworfen wird.