Liebe Leserin, lieber Leser, guten Morgen,
heute befassen wir uns mit einer Ehrung für Kriegsverbrecher, mit Bombenangriffen, mit Populismus, mit den Quartalszahlen – und mit Frank Elstner.
Ihm egal
Dieser nachösterlichen Woche sehe ich mit Grausen entgegen. In der Ukraine wird eine neue Offensive der russischen Streitkräfte erwartet. Und in Frankreich hat am Sonntag die Rechtsaußen-Politikerin Marine Le Pen eine Chance, die Stichwahl um das Präsidentenamt zu gewinnen.
Beginnen wir mit Russland: Kurz vor Beginn der Offensive im Osten der Ukraine hat der russische Präsident Wladimir Putin der 64. motorisierten Infanteriebrigade den Ehrentitel »Garde« verliehen, als Belohnung für »Heldentum und Tapferkeit, Entschlossenheit und Mut«. Diese Soldaten waren in Butscha, als dort mutmaßlich Kriegsverbrechen an der Bevölkerung verübt wurden. Um es klarer auszudrücken: Zivilisten wurden abgeschlachtet.
Was sagt das über Putin? Dass er die Brücken abbricht, dass er allen den Mittelfinger zeigt, dass es ihm nichts bedeutet, was der Rest der Welt von ihm denkt, insbesondere der Westen. Er will nur noch gefürchtet werden.
Zerstörte Straße in Butscha (Anfang April)
Foto: ZOHRA BENSEMRA / REUTERS
Denn er weiß selbst, dass jemand, der Kriegsverbrechen offen belohnt und damit zu weiteren Gräueln auffordert, aus der Zone tritt, in der Versöhnung möglich ist. Ihm egal. Damit wird endgültig klar, dass in diesem Krieg alles möglich ist: ein Chemieangriff, eine Atombombe auf Kiew, jedes nur denkbare Kriegsverbrechen. Putin hat der Zivilisation den Rücken gekehrt, fällt zurück in die Barbarei.
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Ostergespräch
Am Ostersamstag saß abends der größte Teil meiner Familie bei uns in Berlin am Tisch, 13 Leute, alle Generationen. Bald gab es nur noch ein Thema: die Ukraine. Es wurde freundlich gestritten, die einen waren dafür, die Ukraine stärker zu unterstützen, auch mit schweren Waffen und trotz des Risikos, tief in diesen Krieg hineingezogen zu werden. Den anderen lag vor allem am Herzen, dass ein Atomkrieg verhindert wird.
Irgendwann begann mein Vater, 89, zu erzählen. Er erzählte von einem Bombenangriff auf seine Geburtsstadt Datteln in der Endphase des Zweiten Weltkriegs. Wir hörten die Sirenen, wir sahen die Menschen zu den Schutzräumen hasten, auch meinen Vater, damals 12, und seine Mutter. Hinter ihnen rannte ein Schulfreund. Dann fielen die Bomben, ein schmerzhaftes Getöse. Als wieder Ruhe herrschte, sah mein Vater, dass ringsum kaum noch ein Haus ein Dach hatte, Brände überall. Sein Schulfreund hatte es nicht in den Schutzraum geschafft, er war tot.
Verletzter in Mariupol
Foto: ALEXANDER ERMOCHENKO / REUTERS
Es war dann eine Weile still in unserem Wohnzimmer. Die Vergangenheit vermischte sich in Gedanken mit der Gegenwart. Was nie mehr sein sollte, ist wieder. Ich sah meinen Vater rennen, dann Menschen in Mariupol. Ehrlich gesagt suchten wir uns dann andere Themen. Anders als die Menschen in Mariupol können wir den Gedanken an den Krieg noch hin und wieder entkommen.
»Undemokratischer Liberalismus«
Erst Trump, dann der Brexit, jetzt Marine Le Pen? Es muss ja nicht so kommen, aber wenn sich, wie in der ersten Runde, ein knappes Viertel der wählenden Franzosen für Le Pen entscheidet, ist das schon bedenklich genug. Der Populismus schickt sich zum dritten Mal in kurzer Zeit an, eine große Demokratie kräftig durchzuschütteln.
Marine Le Pen
Foto: IMAGO/Federico Pestellini / IMAGO/PanoramiC
Für die Politikwissenschaftler Cas Mudde und Cristóbal Rovira Kaltwasser, die führenden Forscher auf diesem Gebiet, ist Populismus »im Wesentlichen eine illiberale demokratische Antwort auf undemokratischen Liberalismus«. Sollte das zutreffen, liegen die Ursachen vor allem im sozialen Bereich. Ein entfesselter Kapitalismus hätte sich über die demokratischen Institutionen hinweggesetzt und sortierte die Gesellschaften auf eine Weise, die viele als ungerecht empfinden. Das machen sich Populisten zunutze, die laut Mudde und Kaltwasser nicht die richtigen Antworten haben, aber mitunter die richtigen Fragen stellen.
Wenn man weiß, dass Inflation sozial höchst ungerecht wirkt, kann einem mittelfristig auch für Deutschland mulmig werden. Der sozialen Frage muss wieder mehr Aufmerksamkeit gewidmet werden.
Dumme Zahlen, schlaue Zahlen
Dies wird eine Woche der Zahlen. In Washington läuft die Frühjahrstagung des Internationalen Währungsfonds (IWF) und der Weltbank, heute stellt der IWF seine Prognose über die Entwicklung der Weltwirtschaft vor. Morgen folgt Eurostat mit den Daten zum ersten Quartal in der Europäischen Union. Auch viele große Unternehmen berichten in diesen Tagen, wie die ersten drei Monate von 2022 ausgefallen sind. Wahrscheinlich wird das Gesamtbild eher dunkel ausfallen.
Dieser Hunger nach Zahlen, nach möglichst hohen Zuwächsen ist allerdings Teil des Problems, das ich oben angesprochen habe. Wirtschaftswachstum galt lange als Schmiermittel für die Demokratien. Das war es auch, aber man hat dabei offenkundig die soziale Frage vernachlässigt, hat überdies die Folgen für das Klima zu wenig bedacht und auch geflissentlich übersehen, was es heißt, sich billiges Gas bei einem ruchlosen Politiker wie Putin zu besorgen.
Wirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne)
Foto: IMAGO/Chris Emil Janssen / IMAGO/Chris Emil Janßen
Ich würde daher von dummem Wachstum sprechen. Wirtschaftsminister Robert Habeck hat recht, wenn er dieses Thema künftig differenzierter betrachten will, auch mit schlaueren Zahlen als dem eher schlichten Bruttoinlandsprodukt.
Gewinner des Tages…
…ist Frank Elstner, der heute 80 Jahre alt wird. Er hat »Wetten dass…?« erfunden und lange selbst moderiert. Ich muss zugeben, dass es in seiner großen Zeit in den Achtzigerjahren für mich undenkbar war, zuzugeben, dass ich mir seine Sendungen anschaue. Ich war Student, und wer damals einen Samstagabend vor dem Fernseher verbrachte, dessen Leben galt als verunglückt.
Frank Elstner
Foto: Soeren Stache / dpa
Trotzdem habe ich mir »Wetten dass…?« manchmal angeschaut, weil es traurigerweise Samstage gab, an denen ich nicht zu einer Party eingeladen war. Ich habe mich amüsiert, behielt das aber für mich. Was mir zu Elstner jedoch vor allem einfällt, ist ein Buchtitel: »Dann zitter ich halt – Leben trotz Parkinson«. Das ist einer der großen, lässigen Sätze im Umgang mit dem eigenen Schicksal.
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Ich wünsche Ihnen einen guten Start in den Tag.
Ihr Dirk Kurbjuweit