Liebe Leserin, lieber Leser, guten Morgen,
heute geht es um Manuela Schwesigs einstige Suche nach »Textblöcken«, um nölende Sozialdemokraten und um Osterlämmer.
Fehler eingestehen ohne Folgen?
Während das ganze Land (zu Recht) darüber spricht, dass der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj den Solidaritätsbesuch von Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier abgelehnt hat, und ein Teil deshalb beleidigt ist, ist es doch sehr seltsam, dass kaum jemand über Manuela Schwesig redet.
Klar, der eine ist der höchste Vertreter unseres Staates, während die andere »nur« ein Bundesland vertritt. Eine Vertreterin, die in den vergangenen Jahren vor allem mit der Unterstützung für den Bau der Gaspipeline Nord Stream 2 aufgefallen ist. Und sich ihr Wohlwollen gewissermaßen bis zuletzt erhalten hat.
Ministerpräsidentin Manuela Schwesig
Foto: IMAGO/Political-Moments
Fehler haben beide gemacht, und beide haben sie eingestanden. Irgendwie. Es ist ja grad die Zeit der großen Fehlereingeständnisse.
Bei Ministerpräsidentin Manuela Schwesig klang das vorige Woche so: »Mit dem heutigen Wissen war das Festhalten an Nord Stream 2 und die Einrichtung der Klima- und Umweltstiftung ein Fehler. Ein Fehler, den auch ich gemacht habe.« Das soll nach schonungsloser Selbstkritik klingen. Wenn nicht das kleine Wort »auch« wäre, soll sagen: Ich war es ja nicht allein.
Aber reicht es, einen Fehler einzugestehen, ohne dass das Eingeständnis Konsequenzen hat (außer nervige Fragen von Journalisten und Parlamentariern)? Kann man einfach so weitermachen?
Wenn man sich die Recherche unserer Kollegen von »Welt am Sonntag« (»WamS«) ansieht, ist das vorsichtig formuliert fraglich.
Denn diese Stiftung, die Schwesig heute für einen Fehler hält, diente offensichtlich am wenigsten der Umwelt und dem Klima, sondern dem russischen Energiekonzern Gazprom. Der Vorwurf: Mit ihrer Hilfe sollten die amerikanischen Sanktionen umgangen und die Röhre fertig gebaut werden. Interne Dokumente, die die »WamS« vor Gericht erstreiten musste, zeigten, so der Bericht: Die Ministerpräsidentin und ihre führenden Mitarbeiter stimmten demnach ihr Vorgehen eng mit dem Tochter-Konzern ab. Die »Zusammenarbeit«, so zeigten die Protokolle, gingen anscheinend so weit, dass Schwesig sogar persönlich um ein »umfangreiches« Argumentationspapier aus Russland bat, um ganze »Textblöcke« – für Anfragen der Presse zum Sinn der Stiftung.
Vielleicht wird ein Untersuchungsausschuss im Schweriner Landtag von Mai an für weitere Klärung sorgen. Die Frage, die die Sozialdemokraten für sich selbst werden klarkriegen müssen, ist: Ob ein Reset oder gar Neuanfang in der zukünftigen Russlandpolitik mit den politischen Figuren aus diesem alten Nord-Stream-Lager wirklich machbar ist.
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Nun habt euch nicht so
In einem Artikel meiner Kollegen über die Reaktion auf die Ausladung des Bundespräsidenten aus Kiew sind sehr aufschlussreiche Sätze zu lesen. »Das hilft wirklich niemandem. In dieser Lage alte Schlachten zu schlagen, ist unverantwortlich. Nachtragen ist in Ordnung – nachtreten geht nicht«, sagt etwa der SPD-Bundestagsabgeordnete Axel Schäfer. Vorstandsfrau Aydan Özoğuz mokiert sich auf Twitter darüber, dass die Ukrainer »so ziemlich alles von uns« fordern, aber Steinmeier nicht kommen darf. Viele haben »Verständnis« für die Lage der Ukraine, Existenzkampf und so, aber den BuPrä abweisen – geht’s noch?
Das ist in etwa der Tenor des politischen Berlin.
Wollte, durfte aber nicht nach Kiew: Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier
Foto: Christian Marquardt / POOL / EPA
Ein beleidigtes Genöle darüber, dass wir Deutschen in Gestalt unseres Bundespräsidenten nicht die Möglichkeit bekommen, dass man uns danken darf. Dass wir unsere Reue wirk- und bildmächtig nicht neben dem Präsidenten auf den Trümmern seines geschundenen Landes zeigen können – geschunden von der Armee jenes Staates, mit dem wir vor Kurzem noch lukrative Gasdeals eingetütet haben.
Dass Selenskyj uns ein Stück Selenskyj verwehrt hat – uns!
Es scheint bei vielen immer noch nicht angekommen zu sein, was gerade in der Ukraine passiert. »Alte Schlachten«? Die Aufarbeitung einer fehlgeleiteten, jahrelangen Politik fängt gerade erst an. Und vielleicht, ganz vielleicht sollten sie nicht mit überheblichen Sätzen aus Deutschland beginnen, nach all den Fehlern der Vergangenheit. Nach dem Motto: Nun habt Euch nicht so.
Solange Deutschland nicht verständlich erklärt und klarmacht, dass ein Paradigmenwechsel stattgefunden hat, dass sich wirklich die Politik ändern wird und muss; dass nach dem Krieg, oder mit Beginn eines möglichen Waffenstillstands nicht weiter gemacht werden kann wie vorher, wird sich Berlin die Angriffe und Vorwürfe aus dem Osten Europas anhören müssen.
Denn nach allem, was man so hört, haben wir dort gerade kein so gutes Image. »Wir gelten als die, die jahrelang gute Geschäfte gemacht haben und jetzt auch noch den Moment verpassen, die Fehler der Vergangenheit auszubügeln«, sagt mein Kollege Jan Puhl, der seit Langem aus und über Osteuropa berichtet.
Die vergangenen Jahrzehnte habe Deutschland mit Blick auf die Lage des Rechtsstaats etwa in Polen mit dem moralischen Zeigefinger herumgefuchtelt (nicht zu Unrecht) und eine Art »historische Paranoia« kritisiert – so nehme man das in Warschau, Prag oder Ljubljana wahr. Da sei, auch jetzt, seit dem Zusammenbruch der Russlandpolitik, keine Wärme, keine Geste oder Initiative von deutscher Seite zu sehen, die zeige: Wir nehmen euch und eure Belange, eure Bedrohungsängste wahr.
Und nun? Ernte Deutschland die bitteren Früchte einer Politik, die den vergifteten russischen Regimegegner Alexej Nawalny zur Behandlung nach Berlin geholt – und gleichzeitig enge Geschäfte mit Moskau gemacht hat.
Lasst sie leben
Ich bin dieser Tage auf einen interessanten israelischen Werbeclip gestoßen: Da geht ein Pärchen im Supermarkt einkaufen und möchte alles möglichst »frisch« haben – nicht nur die Äpfel für den Apfelkuchen, auch das Lamm. Als ER ein Stück verpacktes Fleisch aus der Tiefkühltruhe herausholt, schaut SIE ihn streng an: Liebling, ich will es doch frisch!
Sie gehen zur Fleischtheke – alles so frisch hier! Haben Sie Lamm? Aber frisch!, bitten sie den Schlachter.
Lämmchen mit Lebensfreude
Foto: Thomas Warnack/ dpa
Ein Blick in den Schlachtraum genügt, ein Helfer schaut mit Daumenhoch um die Ecke und bringt das ersehnte Frischfleisch: Ein kleines, wattebauschiges Lamm, lebendig und süß, er gibt es der Frau auf den Arm. Zerhackt oder am Stück?
Ihr Blick: irgendwas zwischen Erschaudern und sofortigem Schutzinstinkt. Ach, so sehen die lebendig aus! So schauen die einen an! Das muss man erst einmal im Kopf zusammenbekommen, dass das Fleisch auf dem Teller einmal einem atmenden, fühlenden, guckenden Wesen gehörte.
Nun essen Deutsche nicht viel Lamm, aber jede Menge Fleisch, um die 60 Kilogramm im Jahr. Einem Artikel auf der Seite des Bundeszentrums für Ernährung über Lammfleisch (mit der charmanten Überschrift: »Das nahezu vergessene Fleisch«) konnte ich entnehmen, dass der Verzehr von Lamm so wenig ist, dass es in der Statistik mit Ziegenfleisch zusammen genannt wird. Der Deutsche Fleischer-Verband geht von etwa 600 Gramm im Jahr aus.
Das meiste davon wahrscheinlich zu Ostern. »Lediglich zu Ostern gehört der Lammbraten für viele Menschen traditionell zum Fest.« Das Bundeszentrum für Ernährung wundert sich darüber – »da doch die Aspekte Regionalität und Tierwohl immer stärker in den Fokus der Verbraucher rücken. Und hierbei kann Lammfleisch durchaus punkten«.
Ich glaube ja, dass wenn der Aspekt Tierwohl wirklich im Fokus steht, man sich das Lamm einfach auf der Weide anschauen geht.
SPIEGEL Backstage
Zu guter Letzt noch eine Ankündigung in eigener Sache: In der nächsten Ausgabe unseres digitalen Formats SPIEGEL Backstage, am Dienstag, 19. April, um 18 Uhr, geht es um die Frage, was der russische Angriff auf die Ukraine für den Kampf ums Klima bedeutet.
Gerät der Klimawandel angesichts des Kriegs zu sehr aus dem Blickfeld von Öffentlichkeit und Politik? Wird in den westlichen Industriestaaten wieder verstärkt auf Energieträger wie Kohle oder Atomkraft gesetzt, um unabhängig von russischem Öl und Gas zu werden? Oder beschleunigt die Notlage stattdessen die Energiewende? Und wie kann die internationale Zusammenarbeit zur Rettung des Klimas künftig aussehen – mit oder auch ohne Russland?
All das können Sie bei SPIEGEL Backstage die Wissenschaftsredakteurin Susanne Götze sowie den Leiter des Ressorts, Kurt Stukenberg, fragen. Die beiden Journalisten befassen sich seit Jahren mit dem Thema und geben Ihnen gern Einblick in ihre Arbeit und ihre Recherchen. Die Veranstaltung ist exklusiv für Abonnent:innen, aber wir verlosen zehn freie Zugänge. Interessenten schreiben an: info@events.spiegel.de, Betreff: SPIEGEL Backstage Verlosung. Einsendeschluss Dienstag um 12 Uhr.
Wer bereits Abonnent:in ist, kann sich hier anmelden https://www.cognitoforms.com/SPIEGELTechLab/spiegelbackstagewasputinskriegf%C3%BCrdieklimapolitikbedeutet
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Frohe Ostern wünscht Ihnen
Ihre Özlem Topçu