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News: Frankreich, Wahl, Russland, Ukraine, Krieg, Kiew, Türkei, Femizid

Liebe Leserin, lieber Leser, guten Morgen,

heute geht es um die Stichwahl in Frankreich, um die Debatte über Waffen in der Osterwoche und um Frauenmorde in der Türkei.

Bitte keine Zeitenwende à la française

Es ist kein Wunder und absolut nachvollziehbar, dass sehr viele Menschen vom Krieg Russlands gegen die Ukraine eingenommen sind. Es gibt unterschiedliche Phasen der Aufmerksamkeit, sicher steigt oder fällt sie mit den Ereignissen. Aber grundsätzlich, diese Diagnose darf man getrost stellen, bestimmt der Krieg gerade unser aller Aufmerksamkeitsökonomie.

Der Politik geht es nicht unähnlich. Und so hing der französische Präsident Emmanuel Macron offensichtlich mehr mit dem russischen Präsidenten Wladimir Putin am Telefon als zum Wahlkampf an Marktständen oder in Hallen, um zu den Menschen in seinem Land zu sprechen. Wie meine Kollegin, unsere Paris-Korrespondentin Britta Sandberg, berichtete, war das Strategie: Der Kandidat solle so wenig Wahlkampf wie möglich machen und so viel Präsident wie möglich sein. Staatsmann und Chefdiplomat statt Zuhörer und Problemlöser im Inneren.

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Präsident Emmanuel Macron vor der Stimmabgabe


Foto: YOAN VALAT / EPA

Man hat also voll auf den Amtsbonus gesetzt. Zuletzt musste sich Macron Sorgen machen, weil die rechtsextreme Herausforderin Marine Le Pen in den Umfragen gefährlich aufschloss. Eine Putin-Freundin, die einen Wahlkampf gegen Europa, gegen Minderheiten und gegen Deutschland machte.

Doch wie die Ergebnisse des ersten Durchlaufs zur Wahl des Präsidenten oder der Präsidentin zeigen: Die Wählerinnen und Wähler haben Macrons zurückhaltenden »Präsidial«-Wahlkampf goutiert, und wenn nicht das, so ihn zumindest nicht zu arg dafür bestraft – Macron hat einen Vorsprung von etwa 3,5 Prozentpunkten. Er steht besser da als im ersten Durchgang bei der vergangenen Wahl 2017. Die Konservativen und die Sozialisten allerdings, die vor Macron mit François Hollande den Präsidenten stellten, sind fast zur Unkenntlichkeit erodiert: auf ihre Kandidaten entfielen etwa fünf und zwei Prozent. Das ist wichtig und schlimm, wenn es um die Frage geht, wer ihm in zwei Wochen die Stimme geben wird.

Macron muss sich nun also am 24. April in der Stichwahl gegen Le Pen behaupten – wie bereits 2017. Ein Grund, sich zurückzulehnen, ist der Vorsprung nicht. Denn wie Beobachter sagen, ist der rechte Rand überdurchschnittlich engagiert.

Bei dieser Wahl sind die Tage nach der Abstimmung also fast wichtiger als der Wahltag selbst – denn von heute an werden sich Kandidat und Kandidatin bis zum zweiten Wahlgang härter ins Zeug legen müssen. Der Ton wird schärfer, wie mein Kollege Leo Klimm in Paris vorausblickend twitterte.

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Nun, weil es bei dieser Wahl nicht nur, aber auch um Europa und eine herstellbare Einigkeit in wichtigen Fragen geht, besonders zwischen Frankreich und Deutschland, wäre es vielleicht doch eine gute Idee, auch als Amtsinhaber den einen oder anderen Wähler an den Marktständen zu überzeugen.

Frieden schaffen mit Waffen – oder erzwingen

Es sind die letzten Tage vor Ostern, normalerweise würden jetzt sehr viele Menschen in Deutschland damit beschäftigt sein, sich zu überlegen, welchen Spruch sie auf ihr Transparent oder ihr Pappschild schreiben wollen – für einen der Ostermärsche am kommenden Wochenende. »Frieden schaffen ohne Waffen« und ähnliche.

Nun sind die Zeiten nicht normal, aber warum sollte einen das davon abhalten, ein Pappschild mit den ewig alten Sätzen zu malen, egal, was in der Welt gerade auch vor sich geht. Oder an liebgewonnen Traditionen und Überzeugungen zu rütteln. Dabei geht es auch anders: Mein Kollege Jens Glüsing hat kürzlich das Hadern mit seiner eigenen friedensbewegten Generation eindrücklich aufgeschrieben.


Teilnehmer eines Ostermarsches in Mecklenburg-Vorpommern 2019

Teilnehmer eines Ostermarsches in Mecklenburg-Vorpommern 2019


Foto: Bernd Wüstneck/ dpa

Bei allem Respekt für die individuellen Motive all jener Bürgerinnen und Bürger, für Frieden zu demonstrieren und ein persönliches »Zeichen« setzen zu wollen, zumal an einem er höchsten religiösen Feiertage der Christenheit: Nach den Massakern von Butscha, Borodjanka oder Kramatorsk, spätestens jetzt, sollte sich der eine oder die andere Veranstalterin, sollten sich die Vordenker fragen, ob wirklich alle Thesen zu allen Zeiten formulierbar sind. Wie verkommen, denkfaul und phrasig sie sich lesen. Hier eine unvollständige, leicht verdichtete, polemische Auswahl:

  • Konflikte lassen sich nicht mit militärischen Mitteln lösen

  • Die Nato-Osterweiterung ist schuld

  • Die Nato-Aufrüstung ist schuld

  • Die mediale Hetze gegen Russland ist schuld

  • Waffenstillstand – sofort! Und zwar beide Seiten!

Ach ja, last but not least: Die Ukraine »sollte« ein neutraler Staat werden (so ist es bei Hamburger Friedensbewegten zu lesen). So viel zum Selbstbestimmungsrecht souveräner Staaten und Völker.

Sieht nicht nach Zeitenwende aus, bei der deutschen Friedensbewegung. Dafür haben einige ihrer Vertreter einen interessanten Sinn für (schwarzen) Humor. In einem Interview mit der »FAZ« riet Willy van Ooyen, Linken-Politiker aus Hessen und Mitorganisator der Ostermärsche, noch Mitte März den Ukrainern dazu, »zivilen Widerstand« zu leisten und »so dafür zu sorgen, dass die russischen Soldaten wieder nach Hause gehen«.

Nichtsdestotrotz wird die Debatte über Waffenlieferungen an die Ukraine auch in der Oster-Woche weitergehen. Sicher auch heute bei einem Treffen des »Rates für Auswärtige Angelegenheiten« der EU in Luxemburg. Eine neue Großoffensive der russischen Armee wird im Osten der Ukraine erwartet.

Der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj hat ja in den vergangenen Tagen eine Reihe von hochrangigen Besuchern aus Westeuropa empfangen – jene aus Osteuropa waren schon vor etwa drei Wochen da. EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen und ihr Außenbeauftragter Josep Borrell waren gerade in Kiew und in Butscha. Eine sichtlich erschütterte von der Leyen stand dort vor dem Massengrab und den Leichensäcken, mit ihrem sehr europäischen Gesicht, das solches Grauen selten gesehen hat. Man konnte sehen, wie ihr der Atem stockte.


EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen in Butscha

EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen in Butscha


Foto: Efrem Lukatsky / dpa

Die Betroffenheit ist echt, das tut den Angegriffenen sicher auch gut, all diese Solidarität und auch die finanzielle Unterstützung. Und ja, dass auch die Westeuropäer ein gewisses Risiko auf sich nehmen und ins Kriegsgebiet reisen. Aber wichtiger ist der ukrainischen Führung derzeit, wie es Außenminister Dmytro Kuleba etwas uncharmant ausdrückte: »Weapons, weapons, weapons.«

Auch der britische Premier Boris Johnson war da, spazierte demonstrativ mit Selenskyj durch Kiew als sei es eine ganz normale europäische Stadt und keine angegriffene und bedrohte; ein »War was?« in Richtung Moskau. Österreichs Bundeskanzler Karl Nehammer kam auch noch vorbei und lobte, wie die Ukrainer ihr »Vaterland« verteidigten – er reist heute als erster EU-Staatschef seit Kriegsbeginn nach Moskau, um Präsident Wladimir Putin zu treffen. Wann kommt jemand aus Berlin in Kiew vorbei?


Premierminister Boris Johnson spaziert in Kiew mit Präsident Wolodymyr Selenskyj als wäre man in London

Premierminister Boris Johnson spaziert in Kiew mit Präsident Wolodymyr Selenskyj als wäre man in London


Foto: Uncredited / dpa

Natürlich nicht jemand, sondern der Bundeskanzler. Doch die Wahrscheinlichkeit, dass Olaf Scholz jetzt noch nach Kiew reist, ist nach diesen Besuchen (und jenen, die womöglich noch folgen) eher geringer geworden. Soll er jetzt noch hinterhergekleckert kommen? Mein Kollege Jonas Schaible ist skeptisch.

Diese Besuche sind auch, aber nicht nur Symbolpolitik. Politik und politische Entscheidungen brauchen das Erleben, es wird ja nicht allein auf Aktenlage entschieden. Vielleicht muss man das Grauen gesehen haben, um bestimmte Entscheidungen treffen und den Menschen erklären und begründen zu können. Derzeit gilt Deutschland ja eher als zurückhaltend, um es mal freundlich zu formulieren. Egal, ob es um Sanktionen geht oder um Waffen.

Nach dem Besuch twitterte Borrell einige bemerkenswert klare Sätze: »Dieser Krieg wird auf dem Schlachtfeld entschieden. (…) Waffenlieferungen werden auf die ukrainischen Bedürfnisse zugeschnitten.«

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An diesen Sätzen müsste sich europäische und deutsche Politik messen lassen. Und kluge Politik muss die Gesellschaft jetzt darauf vorbereiten, dass die Scholz’sche Zeitenwende auch sie betrifft, wirklich betrifft. Politik findet ja nicht getrennt von den Menschen statt. Es braucht die Antwort auf die Frage: Was hat das alles mit mir zu tun? Ein Teil der Antwort ist: Seit dem Überfall Russlands auf die Ukraine wissen wir, dass die Zeiten vorbei sind, in denen wir nicht sehr viel für unsere Sicherheit und Freiheit tun zu mussten.

Mehr Nachrichten und Hintergründe zum Krieg in der Ukraine finden Sie hier:

  • Das geschah in der Nacht zu Montag: Die ukrainische Armee erwartet die Schwerpunkte der nächsten russischen Angriffe bei Charkiw und Slowjansk. Tschetscheniens Machthaber droht mit der Einnahme sämtlicher Städte. Und: Neue Zahlen zur wirtschaftlichen Lage. Der Überblick

  • Rekonstruktion der Gräueltaten: Russische Soldaten haben in der Kleinstadt Butscha Hunderte Zivilisten erschossen. Überlebende erzählen von unfassbaren Szenen. Die SPIEGEL-Titelstory

  • So macht Moskau seine Kritiker mundtot: Russland hat 15 ausländischen Organisationen die Arbeit im Land untersagt – darunter allen deutschen parteinahen Stiftungen. Die Bundesrepublik verliert damit viel außenpolitische Soft Power

  • Was würden russische Soldaten in einem Vorort Moskaus tun? Die Eskalation roher Gewalt in Butscha ist keine Überraschung: Auch in Russland selbst geht der Sicherheitsapparat brutal gegen Bürger vor. Weil er es qua Position kann – und von Putins Regime gedeckt wird

Hoffentlich Zeitenwende à la turca

Die Aufmerksamkeitsökonomie, ich erwähnte es eingangs, ist unerbittlich. Aber es gibt Themen, die einen nicht loslassen. Bilder von Menschen, die man nicht so schnell vergisst.

Vermutlich werden Sie den Namen vergessen oder zumindest nicht präsent haben, aber an das Bild von Pınar Gültekin können Sie sich vielleicht erinnern: Eine junge Frau, 27 Jahre alt, Studentin, sie schaut direkt in die Handykamera, sie lächelt den Betrachter an. Gültekin sitzt in einem offenen Auto, unter einem blauen Himmel, die Sonne scheint. Der Fahrtwind wirbelt ihre Haare durcheinander. Sie singt. Sie wirkt glücklich.

Dieses Bild ging um die Welt, nachdem ihre Leiche im Juli 2020 im westtürkischen Muğla in einem Waldstück gefunden wurde. Sie befand sich in einem Fass. Tagelang war sie vermisst worden. Gültekin wurde, so der Vorwurf, von ihrem Ex-Freund geschlagen, gewürgt und, wie später laut türkischen Medienberichten festgestellt wurde, verbrannt, als sie noch lebte. Der mutmaßliche Täter beschuldigte laut Medienberichten bei seinen ersten Auslassungen noch das Opfer.

Der Prozess gegen den Beschuldigten wird heute fortgesetzt, es wird ein Urteil gegen den geständigen Mann erwartet.

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Jedes Mal ist da, zumindest bei einem Teil der türkischen Gesellschaft, ein großer Aufschrei und Entsetzen, wenn wieder eine Frau ermordet wird, aber es ändert sich wenig. Laut der Frauenrechtsorganisation »We will Stop Femicides« stiegen die Zahlen in den vergangenen Jahren kontinuierlich. Die Politik ist überfordert bis ignorant. Und hat oder schafft sich andere Probleme.

Es wird noch lange dauern, bis sich wirklich etwas ändert, so scheint es. Es bräuchte eine wirkliche Zeitenwende, aber die dürfte bei allen Problemen, die das Land sonst noch so hat, auf sich warten lassen. Nach dem Mord an Gültekin äußerte sich sogar Staatspräsident Recep Tayyip Erdoğan und kündigte an, den Prozess gegen den Beschuldigten persönlich zu verfolgen. Er solle die schwerste Strafe erhalten, die möglich sei. Ein Jahr später kündigte seine Regierung an, aus der Istanbul Konvention zum Schutz von Frauen und Kindern gegen Gewalt auszutreten. Die Türkei war das erste Land, das die Konvention 2012 ratifizierte.

Frauen, die am Tag vor Gültekins Beerdigung in Izmir gegen die Gewalt gegen Frauen demonstrieren wollten, wurden von der Polizei gewaltsam daran gehindert.

Den Sarg von Pınar Gültekin, auch das Bild bleibt unvergessen, trugen Frauen zum Grab.

Gewinner des Tages…


Will Smith, der bei der diesjährigen Oscarverleihung als bester Hauptdarsteller ausgezeichnet wurde – und kurz zuvor Chris Rock schlug

Will Smith, der bei der diesjährigen Oscarverleihung als bester Hauptdarsteller ausgezeichnet wurde – und kurz zuvor Chris Rock schlug


Foto: PATRICK T. FALLON / AFP

… ist der Oscar. Es gibt Wichtigeres, und ja, die Nachricht ist schon ein paar Tage alt, bitte aber erlauben Sie mir diesen Kalauer: Hieß es früher stets »And the winner is…«, ist nun der Oscar selbst der Gewinner – und muss einen Schläger weniger unter seinen Zuschauern und Trägern erdulden. Will Smith, den ich als Schauspieler immer sehr geschätzt habe, wird wegen seiner gewalttätigen Entgleisung bei der diesjährigen Verleihung (er hatte den Comedian Chris Rock ins Gesicht geschlagen, weil dieser sich einen vergleichsweise harmlosen Scherz auf Kosten von Smiths Frau erlaubt hatte) für die kommenden zehn Jahre von der Veranstaltung ausgeschlossen.

Wer unbedingt schlagen muss, muss fühlen.


Die jüngsten Meldungen aus der Nacht

Die SPIEGEL+-Empfehlungen für heute

Ich wünsche Ihnen einen guten Start in den Tag.

Ihre Özlem Topçu

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