: Corona-Krise, Impfpflicht, Russland-Ukraine-Krieg, Ketanji Brown Jackson //
Liebe Leserin, lieber Leser, guten Morgen,
heute geht es um die im Bundestag unnotigerweise gescheiterte Impfpflicht und die Folgen, um unser Zogern und Zaudern im Kampf gegen den Kriegsverbrecher im Kreml sowie um die erste schwarze Richterin am Obersten Gericht der USA.
Zogern und Zaudern
Ein eigentumlicher Charakterzug scheint uns Deutschen eigen: Wir warten gern ab, wir schauen zu, wie sich Dinge entwickeln und leiten daraus unsere Schlusse ab.
Regierende Merkel, Scholz (im Dezember 2021)
Foto by JOHN MACDOUGALL/AFP
So gesehen regieren Kanzler Olaf Scholz und Vorgangerin Angela Merkel sehr deutsch. Oder besser: sie reagieren. Denn im Reagieren sind wir Deutschen spitze. Zugleich vertrauen wir wirklich gern und lange dem Althergebrachten, bevor wir grundsturzend Neues wagen. Weil Vorsicht ist doch die Mutter der Porzellankiste. Sagen wir immer so schon.
Leider schlagt dieses reaktive Muster in den beiden grossen Krisen dieser Zeit – Corona und Ukraine – voll durch. Zu unseren Lasten statt zu unserem Nutzen.
Beispiel 1: Impfpflicht
Die ist am Donnerstag im Bundestag in unwurdiger Weise gescheitert. Weil der Kanzler uber vier Monate nicht fuhren und seine Ampel-Koalition nicht darauf einschworen wollte. Und weil die Union, die ehemalige Kanzlerinpartei, zwar gern eine Impfpflicht gehabt hatte (ist doch so, lieber Markus Soder, Hendrik Wust und Daniel Gunther, oder? ), aber im Parlament lieber parteipolitisches Klein-Klein zelebrierte.
Mit der Impfpflicht gescheiterter Gesundheitsminister Lauterbach
Foto: Michael Kappeler / dpa
Und so werden wir wohl ohne die notige breite Grundimmunitat in den nachsten Herbst und Winter gehen. Man wird dann – genau – reagieren mussen. Wenn zu viele Alte und Ungeimpfte im Krankenhaus landen, wird das die gesamte Gesellschaft mit Einschrankungen bezahlen.
Es ist das Muster der deutschen Coronapolitik: Erst eingreifen, wenn es schon fast zu spat ist. Keine kreativen, praventiven Wege gehen. Eine Politik, die sich nur in Reaktion erschopft, kann kunftige Krisen nicht verhindern. Die gescheiterte Impfpflicht ist nur der jungste, aber auch ein schlagender Beleg.
Deutsche Wissenschaftler haben den Impfstoff entwickelt, aber das Land verpasste es, diesen rechtzeitig und massiv zu ordern sowie fruhzeitig grosse Produktionskapazitaten aufzubauen. Nie wurde eine No-Covid-Strategie ausprobiert, um das zu fruheren Zeitpunkten weniger ubertragbare Virus in Schach zu halten und dadurch mehr Freiheiten zuzulassen.
Es gab immer nur Shutdown oder Nicht-Shutdown. Fenster auf und zu statt Luftfilter, fortdauernde Coronaregeln statt Impfpflicht, Hausmittel statt Hightech. Und demnachst droht wieder: Winter in Isolation und Quarantane statt in Freiheit. Nur nichts Neues wagen.
Heute Vormittag stellen sich Gesundheitsminister Karl Lauterbach, RKI-Chef Lothar Wieler und Intensivmedizinerprasident Gernot Marx den Fragen zum Infektionsgeschehen. Wahrscheinlich wird das Scheitern der Impfpflicht das zentrale Thema sein.
Beispiel 2: Ukraine
Wir haben jahrelang auf Partnerschaft mit Putin gesetzt, sowohl SPD- als auch unionsgefuhrte Regierungen haben uns in eine okonomische Abhangigkeit manovriert. Die deutsche Ostpolitik der letzten 30 Jahre ist gescheitert, andere Europaer hatten gewarnt.
Deutscher Marder-Panzer
Foto: Sven Eckelkamp / IMAGO
Und jetzt? Von >>Zeitenwende<< ist seit Wochen die Rede, aber dafur wirkt Deutschland noch merkwurdig unentschieden. Warum ziert sich dieses Land weiterhin bei Waffenlieferungen? Putin fuhrt einen Vernichtungsfeldzug gegen die Ukraine; bei uns stehen 100 Marder-Panzer kurz vor der Verschrottung.
Deutsche Fuhrungsrolle? Fehlanzeige. >>Deutsche Macht furchte ich heute weniger als deutsche Untatigkeit<<, hat vor gut zehn Jahren schon der damalige polnische Aussenminister Radoslaw Sikorski gesagt.
Deutschland wirkt gegenwartig wie ein Riese, der erst abwartet und dann hinterher schlurft. Erst mal vorsichtig durch den Turspalt lugen, die anderen vorneweg laufen lassen – und wenn die Luft rein ist: folgen. Sagt dann jemand: >>Was ist denn mit Euch los?<>Wieso? Wir sind doch dabei!<<
Kanzler Scholz reist heute nach London, zum Antrittsbesuch bei Premierminister Boris Johnson. Es wird, naturlich, um Putins Uberfall auf die Ukraine und des Westens Werte gehen, sicher auch um die russischen Kriegsverbrechen in Butscha und anderswo – sowie um die Frage, die sich alle Tag fur Tag stellen im Angesicht des Grauens: Was tun?
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Gewinnerin des Tages…
Prasident Biden, Richterin Ketanji Brown Jackson im Weissen Haus wahrend der Abstimmung im Senat
Foto by MANDEL NGAN / AFP
…ist die amerikanische Verfassungsrichterin Ketanji Brown Jackson. Der US-Senat hat die Supreme-Court-Kandidatin von US-Prasident Joe Biden bestatigt. Damit wird erstmals eine schwarze Frau Richterin am Hochstgericht der USA. Biden hatte die 51-jahrige, liberale Juristin im Februar nominiert, nachdem Richter Stephen Breyer seinen Ruckzug angekundigt hat. Nichtsdestotrotz halten weiterhin die Konservativen mit 6:3 die Mehrheit unter den Richterinnen und Richtern am Obersten Gericht.
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Ich wunsche Ihnen einen guten Start in den Tag.
Ihr Sebastian Fischer