– Rucktritt von Ursula Heinen-Esser: Feier auf Mallorca, Flut in der Heimat //
Die Mitteilung uber ihren Rucktritt dauert keine zwei Minuten. Nordrhein-Westfalens Umweltministerin Ursula Heinen-Esser (CDU) steht hinter einem Pult im Landtag in Dusseldorf, sie liest ihre Worte von einem Blatt ab. Sie habe, sagt sie, mit Ministerprasident Hendrik Wust (CDU) gesprochen und ihm das Angebot gemacht, zuruckzutreten. Wust habe es angenommen.
>>Ich habe festgestellt, dass ich mein Handeln im letzten Sommer der Offentlichkeit nicht vermitteln kann<>kein Verstandnis<< fur ihr Vorgehen und ihr Verhalten im Juli.
Es klingt ein wenig trotzig, so, als hatten die Menschen sie einfach nicht verstehen wollen, als ware nicht sie selbst schuld an dem Schlamassel, das Heinen-Esser >>ein familiares Ereignis<< nennt. Sie wolle Schaden vom Amt abwenden, sagt sie. Dann zieht sie ihre schwarze FFP2-Maske auf und geht.
Ein handfester Skandal
Seit Wochen stand die Ministerin unter Druck. Wenige Tage nach der Flutkatastrophe im Juli war sie nach Mallorca gereist. Gestern wurde bekannt, dass sie auf der Insel den Geburtstag ihres Ehemanns feierte und mehrere Mitglieder der NRW-Landesregierung unter den Gasten waren – wahrend die Flutopfer in NRW um Angehorige trauerten oder vor den Trummern ihrer Hauser standen.
Die Flut hat schon mal eine Wahl gepragt. Manche sagen: entschieden. Kurz nach der Katastrophe stand Armin Laschet (CDU) in der Feuerwache in Erftstadt und wurde beim Lachen gefilmt. Es war ein Malheur, das fortan am Kanzlerkandidaten klebte wie der Schlamm in den Kellern der Flutopfer. Bei der Bundestagswahl im September sturzten Laschet und die Union ab.
Gut moglich, dass sich der Schatten der Katastrophe nun auch auf die Landtagswahlen in Nordrhein-Westfalen legt. Was rund um den Mallorca-Trip von Heinen-Esser passierte, kann man allerdings nicht mehr als Malheur bezeichnen. Handfester Skandal, das trifft es vermutlich besser.
In NRW starben 49 Menschen in der Flut
Die Heimat- und Bauministerin Ina Scharrenbach und der Europaminister Stephan Holthoff-Pfortner (beide CDU) besuchten Heinen-Esser am 23. Juli auf der Urlaubsinsel. Mit dabei war auch ihre Parteifreundin Serap Guler aus Koln, die damals noch NRW-Integrationsstaatssekretarin war und heute Bundestagsabgeordnete ist. Der >>Kolner Stadtanzeiger<< hat zuerst uber die Zusammenkunft berichtet.
Wichtige Kabinettsmitglieder, die wenige Tage nach der grossten Naturkatastrophe in der Geschichte Nordrhein-Westfalens auf Mallorca zusammen feiern, geht das?
Bei der Flut kamen in NRW 49 Menschen ums Leben, Gebaude und Existenzen wurden vernichtet, Innenstadte von den Wassermassen weggeschwemmt. Eine Umweltministerin und eine Bau- und Heimatministerin durften in solchen Zeiten zentrale Figuren im Krisenmanagement sein, sollten sie nicht nahezu rund um die Uhr mit den Folgen der Katastrophe beschaftigt sein?
>>Die Insel war offenbar wichtiger<<
Es sind Fragen von enormer Tragweite, zumal im Wahlkampf. Am 15. Mai wird in NRW ein neuer Landtag gewahlt. Bereits am Donnerstagvormittag hat die SPD den Ministerprasidenten dazu aufgefordert, Heinen-Esser und Scharrenbach aus ihren Amtern zu entlassen. Beiden sei >>die Insel offenbar wichtiger gewesen als die Heimat<<, sagte Thomas Kutschaty, der Spitzenkandidat der Sozialdemokraten. Auch die Grunen hatten Heinen-Essers Rucktritt gefordert. Nun ist die eine Ministerin bereits weg, die andere angezahlt.
Dabei war die Geburtstagsfeier nicht das erste Problem, das Heinen-Esser im Kontext der Flut hatte. Die Ministerin war bereits zum Zeitpunkt der Katastrophe auf Mallorca, sie hat dort einen Zweitwohnsitz. Am 15. Juli flog sie zunachst zuruck nach Deutschland, doch schon wenige Tage spater reiste sie wieder zuruck auf die Insel.
Schon dieser Umstand hatte sie in Erklarungsnot gebracht, die Ministerin musste vor einigen Wochen als Zeugin im Parlamentarischen Untersuchungsausschuss zur Flut aussagen. Heinen-Esser erklarte, sie habe ihre Amtsgeschafte von Spanien aus fortgefuhrt. Sie habe auf der Insel im Homeoffice gearbeitet, sei jederzeit erreichbar gewesen.
Feier mit illustrer Gasteliste
In einem Interview mit der >>Rheinischen Post<< rechtfertigte sie Ende Marz ihren Aufenthalt auf Mallorca, der Grund dafur sei ihre Tochter gewesen. Die ist im Teenageralter und habe laut der Ministerin zusammen mit ihren Freundinnen und Freunden auf der Insel Urlaub gemacht. Heinen-Esser sagte, es sei ihre Verantwortung gewesen, die Kinder personlich zu betreuen und ihre Ruckkehr nach Deutschland zu organisieren. Ihrem 76-jahrigen Ehemann sei das nicht zuzumuten gewesen.
Doch nun wurde bekannt, dass es auf Mallorca auch einen Geburtstag zu feiern gab, inklusive einer illustren Gasteliste. Das Narrativ mit ihrer Tochter liess sich fur Heinen-Esser nicht mehr aufrechterhalten.
Es gibt einige Politikerinnen und Politiker, die sich zurzeit vor Flut-Ausschussen wegen ihres Krisenmanagements, wegen zweifelhafter Entscheidungen und nicht erfolgter Warnungen rechtfertigen mussen. In Rheinland-Pfalz steht Innenminister Roger Lewentz (SPD) in der Kritik, die fruhere Umweltministerin und heutige Bundesfamilienministerin Anne Spiegel (Grune) muss sich den Vorwurf gefallen lassen, nach der Katastrophe von ihrer Verantwortung abgelenkt zu haben. Doch kaum jemand gab bei der Aufklarung ein so miserables Bild ab wie Heinen-Esser.
Wie sich herausstellte, hat sie in den Wochen nach der Katastrophe mitunter uber einen rein privaten E-Mail-Account in Sachen Flut kommuniziert. Ein paar der E-Mails liegen dem SPIEGEL vor. In einer bespricht sie mit ihren Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern, ob es moglich sei, vom Hochwasser betroffene Waldwege >>aufgrund der Verkehrssicherungspflicht<< zu sperren. Auch Scharrenbach hatte nach der Flut E-Mails uber eine Privatadresse verschickt. Im Untersuchungsausschuss gab es zuletzt Streit daruber, ob Korrespondenzen von privaten Accounts den Parlamentariern in Ganze vorgelegt werden mussen.
Im Zuge der Aufklarung gab es haufig Kritik am Landesumweltamt (Lanuv), einer Behorde, die dem Umweltministerium unterstellt ist. Es geht um schlechte Kommunikationswege, spate Warnungen und Personalmangel. Heinen-Esser soll die Gefahr des Hochwassers im Vorfeld unterschatzt haben, sich nach der Katastrophe aber ausgiebig um einen Flut-Termin fur Armin Laschet gekummert haben. Das berichtete die >>Suddeutsche Zeitung<<. Nun kam auch noch die Sache mit Mallorca und der Geburtstagsfeier hinzu.
Am Donnerstagvormittag gab Heinen-Esser im Landtag ein erstes Statement ab. Sie verstehe, sagte sie, dass es >>als unsensibel empfunden<>nach der Flut eine gute Woche nicht in Nordrhein-Westfalen gewesen<>von vornherein anders zu organisieren<<. Rucktritt? Nein. Heinen-Esser versuchte zu retten, was nicht mehr zu retten war. Nur gut funf Stunden spater hatte sie ein Einsehen.
>>Sie argert sich masslos<<
Ein Sprecher von Heimatministerin Scharrenbach teilt mit, dass die Ministerin ihre Amtsgeschafte auch uber das besagte Wochenende wahrgenommen habe. Und mit Blick auf Scharrenbach: >>Sie argert sich masslos uber den Eindruck, der nun aus ihrem Wochenendbesuch entsteht.<<
Europaminister Holthoff-Pfortner gibt sich zerknirscht. Er sei auf Mallorca >>arbeitsfahig<>tief getroffen<>Das gilt ganz unabhangig vom Ort, an dem ich mich gerade aufhalte.<<
Die Statements der Politikerinnen und Politiker lassen sich so zusammenfassen: Ja, wir waren auf der Insel, aber wir konnen auch auf Mallorca eine Krise bekampfen, eine Jahrhundertflut managen und sogar betroffen sein. Womoglich steckt in dieser Verteidigungsstrategie der Landesregierung der eigentliche Skandal.