: Russland-Ukraine-Krieg, Impfpflicht, Ministerprasidentenkonferenz //
Liebe Leserin, lieber Leser, guten Morgen,
heute geht es im Bundestag um die Frage, ob die Impfpflicht doch noch kommt und in der Ukraine darum, was nach dem Krieg kommt. Und: Warum spielt eigentlich Corona bei der Ministerprasidentenkonferenz keine grosse Rolle mehr?
Wann endet dieser Krieg?
Der Krieg wird schnell voruber sein – das ist wohl das, was der Mensch so denkt, wenn er in den Krieg zieht. Das war beim Amerikanischen Burgerkrieg im 19. Jahrhundert nicht anders als beim Ersten Weltkrieg oder spater in Vietnam. Nach dem russischen Uberfall auf die Ukraine haben viele im Westen die Uberlebensfahigkeit der Ukraine eher in Tagen denn in Wochen bemessen. Nun verteidigen sich die Ukrainerinnen und Ukrainer bereits in der siebten Woche.
Putin im Kreml
Foto by Mikhail Klimentyev / AP
Spatestens nach den russischen Graueltaten von Butscha muss jedem klar sein: Putin darf diesen Krieg nicht gewinnen. Dass der Tyrann eine Grossmacht anfuhrt und nicht ein Land wie Syrien, Libyen oder Serbien, das macht die Sache kompliziert. Und gefahrlich. Das gab es ja noch nicht seit 1945: Dass im Grunde eine der Garantiemachte dieser Nachkriegsordnung ebendiese Nachkriegsordnung gezielt zu zerstoren sucht.
Dass die Ukraine diesen Krieg nicht verlieren darf, der ja ein Vernichtungsfeldzug gegen sie ist, liegt in der Logik der Sache. Dass der Westen die Ukraine nicht verloren geben darf und also mit defensiven wie offensiven, mit leichten wie schweren Waffen versorgen muss, das liegt in dessen ureigenem Interesse. Gesetzt den Fall, wir wollen in den nachsten Jahrzehnten gerne weiter in einer Welt leben, in der Grenzen respektiert werden und das Selbstbestimmungsrecht der Volker geachtet wird.
Nur: Wann wird dieser Krieg enden?
Wann endet er fur die Ukraine? Und wann endet er fur uns?
Russland hat angekundigt, seine Kriegshandlungen auf den ukrainischen Osten zu konzentrieren. Sollte Putin nach seinem militarischen Scheitern vor Kiew nun die Gebiete im Osten erobern, rauben, seinem Imperium einverleiben und danach auf Verhandlungen setzen – wie ginge der Westen damit um?
Naturlich ist es Sache der Ukrainer, mit wem und wie sie Frieden schliessen. Aber Amerikaner und Europaer sind in diesen Krieg ja ebenfalls indirekt verwickelt. Werden die Sanktionen zuruckgefahren, wenn die Ukraine zwar geteilt ist, aber wieder halbwegs Frieden herrscht? Reden wir dann wieder uber Wandel durch Annaherung und kramen alte Ostpolitik-Konzepte hervor? Nicht wirklich, oder?
Alter DDR-Wachturm in Sachsen-Anhalt
Foto: Klaus-Dietmar Gabbert/ picture alliance/dpa
Ein geteiltes Land, das gab es doch schon in Europa. Zweimal Deutschland – und der sowjetische Machtbereich reichte bis ins Herz des Kontinents hinein. Diese beiden Tatsachen waren die Folge eines deutschen Angriffskriegs, nicht einer sowjetischen Aggression.
Eine geteilte Ukraine dagegen ware die Folge eines russischen Angriffskriegs.
Mit den Sowjets war zu verhandeln, man garantierte sich seine Grenzen. Aber heute? Welche Grenze soll der Kriegsverbrecher aus dem Kreml denn kunftig garantieren? Das Problem heisst Putin.
Der fruhere Grunen-Fraktionschef Anton Hofreiter, heute Vorsitzender des Europaausschusses im Bundestag, sagt in einem sehr lesenswerten Interview meiner Kollegen Serafin Reiber und Jonas Schaible: Man solle sehr vorsichtig sein mit Aufrufen zu einem Regime Change, doch >>bei all dem, was passiert ist, ist es schwer vorstellbar, mit einer russischen Regierung zu verhandeln<>Deswegen mussen wir so schnell wie moglich ein komplettes Energieembargo fur Kohle, Ol und Gas durchsetzen.<< Zudem musse die Ukraine noch starker mit Waffen ausgestattet werden, etwa Panzern.
Heute beraten die Nato-Aussenminister in Brussel weiter uber die verstarkte Abschreckung Russlands.
Mehr Nachrichten und Hintergrunde zum Krieg in der Ukraine finden Sie hier:
-
Das geschah in der Nacht: Die Ukraine wirft Russland vor, in Mariupol Tausende zivile Opfer verbergen zu wollen. In einem Kiewer Vorort wurden elf Tote gefunden. Baerbock fordert Prozesse gegen Kriegsverbrecher.
-
>>Scholz muss handeln, Europa wartet darauf<<: Keine Energie mehr aus Russland – und schwere Waffen fur die Ukraine: Hier spricht Anton Hofreiter, Ex-Fraktionschef der Grunen, uber Putins Vernichtungskrieg und seine Erwartungen an den Kanzler
-
Todliche Technik – diese Waffen spielen im Krieg eine wichtige Rolle: Wer kampft womit? Welche Systeme nutzen die russischen und ukrainischen Streitkrafte im Einsatz? Der Uberblick
-
Verubt Russland einen Volkermord? Blutuberstromte Schwangere in Mariupol, Massengraber, gefesselte Leichen auf den Strassen von Butscha: Die Bilder aus dem Krieg machen fassungslos. Warum der Begriff Genozid trotzdem mit Vorsicht verwendet werden sollte
Warum die Impfpflicht heute scheitern konnte
Eine Sternstunde des deutschen Parlamentarismus ist heute Morgen im Bundestag nicht zu erwarten, wenn uber die Impfpflicht entschieden wird. Es herrscht Durcheinander, bisher zeichnet sich fur keines der Lager eine Mehrheit ab.
Coronaimpfstoff
Foto: Sylvio Dittrich / IMAGO
Kann sein, dass wir am Ende dieses Tages so schlau sind wie zuvor. Keine Impfpflicht, nirgends. Sollten kunftig wieder gefahrlichere Coronavarianten auftauchen, konnte eine weiter hohe Zahl an Ungeimpften moglicherweise neue Einschrankungen bis zum Lockdown notig machen, um das Gesundheitssystem zu stabilisieren.
Der Urgrund dieses politischen Tohuwabohu liegt beim Kanzler. Der wunschte sich – noch in der Delta-Welle und kurz vor Amtsantritt – eine allgemeine Impfpflicht ab 18 Jahren. Auf dass wir in den nachsten Pandemie-Winter einmal nicht planlos hineinsteuern.
Nur: Scholz war nicht bereit, ernsthaft politisches Kapital einzusetzen und seine Ampel-Mehrheit dafur zu mobilisieren. Deshalb die Idee, die Sache mit der Impfpflicht dem Parlament zu uberlassen, auf fraktionsubergreifende Initiativen zu setzen. Das Wort von der Gewissensentscheidung machte die Runde – und der Kanzler uberhohte seine aus Vorsicht unterlassene Fuhrung zu einer Hochachtung des Parlaments.
War zu offensichtlich, hat nicht funktioniert.
Die Impfpflichtdebatte kann in kunftigen Politikseminaren als Beispiel dafur dienen, wie man durch den Nichteinsatz von politischem Kapital vorhandenes politisches Kapital dennoch riskiert. Denn Olaf Scholz wird geschwacht aus diesem Donnerstag hervorgehen.
Kanzler Scholz
Foto by LISI NIESNER / REUTERS
Seine ursprungliche Idee einer Impfpflicht ab 18 ist bereits gescheitert, wird gar nicht mehr zur Abstimmung kommen. Stattdessen haben Abgeordnete aus den Ampelfraktionen einen Kompromiss erarbeitet: Die einen wollten ab 18, die anderen ab 50 – jetzt haben sie sich geeinigt auf: ab 60.
Demnach soll die Generation U60 – noch immer gut zweieinhalb Millionen Ungeimpfte – ab Oktober eine Impfung nachweisen mussen, Verstosse wurden mit Bussgeld sanktioniert. Bis dahin gibt’s eine Impfberatung fur alle Erwachsenen und falls es im September ganz duster aussieht mit Corona, kann auch noch mal uber eine Pflicht ab 18 beraten werden. Falls Corona schon verloren haben sollte, kann auch die Aussetzung der Impfpflicht beschlossen werden.
Sie sehen schon, ich brauche viele Worte, so sehr Kompromiss ist diese Gesetzesinitiative.
Und die anderen? Die Union geht mit einem Schaun-mer-mal-dann-sehn-mer-scho-Vorschlag an den Start (alles vorbereiten fur die Pflichtspritze, aber nur bei schlimmer Coronalage spritzen). Und dann gibt es naturlich diverse Kritiker, die eine Impfpflicht ganzlich ablehnen, darunter mit den U70-Mannern Wolfgang Kubicki und Gregor Gysi zwei gute Redner. Vielleicht verhelfen die beiden der Debatte zumindest zu etwas Glanz.
EmPeKa, heute mit ganz wenig Corona
Die Ministerprasidentenkonferenz mitsamt Bundeskanzler erfindet sich in dieser Staffel neu: In der heutigen Folge wird wohl weniger Corona vorkommen denn je. Obwohl die Seuche so stark grassiert wie kaum je zuvor.
Regierungschefs Wust, Scholz, Giffey (bei der MPK im Januar)
Foto by John Macdougall/dpa
Aber die Landerchefs hatten bereits in der letzten Folge Mitte Marz mit der Bundesregierung wegen der Art und Weise der Neufassung des Infektionsschutzgesetzes und des nahenden Freedom Day abgerechnet. Hessens CDU-Premier Bouffier damals: >>Das Verfahren ist schlicht unsaglich.<<
Heute wird es eher um die Frage der Aufnahme und Verteilung ukrainischer Fluchtlinge sowie die dazugehorige Finanzierung gehen. Corona kommt laut dem mir vorliegenden >>Beschlussvorschlag<<, Stand Mittwochabend, nur im Zusammenhang mit Impfmoglichkeiten fur Gefluchtete vor.
Auch die >>Sicherheit der Energieversorgung<>Deutschland muss schnellstmoglich unabhangig vom Import russischer Energietrager werden.<< Eh klar.
Verlierer des Tages …
…ist Karl Lauterbach. Es lauft nicht rund beim einst gleichermassen von der Bevolkerung nominierten Gesundheitsministerkandidaten (Scholz: >>Er wird es!<<), zuletzt das Hin und Her um die Isolation bei einer Coronainfektion. Erst erklarte Lauterbach, ab Mai werde Betroffenen nur noch empfohlen, funf Tage zu Hause zu bleiben. Nach einer kritischen SPD-Fraktionssitzung und in einer Talkshow ruderte er dann zuruck: Die Pflicht zur Isolation bleibt, wird aber auf funf Tage begrenzt.
Bremens Burgermeister Andreas Bovenschulte sagt zur Performance seines Parteifreundes: >>Die Wankelmutigkeit des Bundesgesundheitsministers ist irritierend. So etwas darf nicht passieren.<>Er wirkt wie ein Getriebener, allein gelassen vom eigenen Kanzler, ein verzweifelter Erfullungsgehilfe der FDP, die mit ihren Freiheitsparolen meist den Ton angeben darf in der Coronapolitik.<<
Wie sagte Franz Josef Strauss? >>Wer Everybody’s Darling sein mochte, ist zuletzt Everybody’s Depp.<<
Die jungsten Meldungen aus der Nacht
-
Bis zu 84 Wochenstunden – und die Regierung weiss angeblich Bescheid: Trotz geleisteter Versprechen vor der Fussball-WM 2022 werden in Katar weiter Gastarbeiter ausgebeutet. In einem neuen Bericht von Amnesty International geraten nun private Sicherheitsfirmen in den Fokus
-
USA warnen vor nordkoreanischem Atomtest im April: Nordkorea begeht am 15. April seinen Nationalfeiertag – und konnte dies laut US-Regierung zum Anlass fur einen Test mit Nuklearwaffen nehmen. Das wurde den schwelenden Konflikt weiter eskalieren
-
RKI meldet stark sinkende Sieben-Tage-Inzidenz: Dem Robert Koch-Institut wurden binnen 24 Stunden 201.729 Neuinfektionen gemeldet. Das bedeutet einen deutlichen Ruckgang im Vergleich zur Vorwoche
Die SPIEGEL+-Empfehlungen fur heute
-
Litauens LNG-Terminal: Dieses Schiff schutzt ein ganzes Land
-
Verkauf von Akelius-Wohnungen: Wie Berliner Immobilienmilliarden auf den Bahamas landen
-
Interview mit Frauenkarriereindex-Grunderin Barbara Lutz: >>Ich habe wenig Mitleid mit Headhuntern, die keine Frau fur den Job finden<<
-
Der FC Bayern verliert im Viertelfinale der Champions League: Video, Pfosten, Neuer-Fehlpass am Mittelkreis – Bayern-Dusel, mal anders
Ich wunsche Ihnen einen guten Start in den Tag.
Ihr Sebastian Fischer