: Russland-Ukraine-Krieg, Energie-Embargo, Tempolimit, Barack Obama //
Liebe Leserin, lieber Leser, guten Morgen,
heute geht es um die Rolle des Kanzlers im Kampf des Westens gegen Russland, juristische Folgen russischer Kriegsverbrechen, die stets frische Diskussion uber ein Tempolimit sowie einen scherzenden Barack Obama.
Deutsche (Sonder-)Rolle
Als Bundeskanzler Gerhard Schroder im Wahljahr 2002 in die Bredouille kam, begann er vom >>deutschen Weg<>Fur Abenteuer stehen wir nicht zur Verfugung<<).
Das war nicht ohne Risiko, es war mutig – und Schroder hatte recht. (Seitdem ging es mit dem Mann allerdings stetig bergab.)
Kanzler Scholz
Foto: MARKUS SCHREIBER / AFP
Olaf Scholz steht jetzt vor einer ahnlichen Wegscheide. Nur die Herausforderung ist grosser: Nein zu sagen reicht heute nicht. Es geht um eine aktive Fuhrungsrolle in Europa im Kampf gegen den Kriegsverbrecher aus dem Kreml. Will Scholz die haben?
Oder lauft der >>deutsche Weg<< im Jahr 2022 darauf hinaus, dass Deutschland bei den Sanktionen auf der Bremse steht?
Das ist langst nicht entschieden.
Die EU-Staaten haben sich nun zumindest darauf geeinigt, den Import russischer Kohle zu verbieten – der unwichtigste der drei Energietrager, die wir aus Russland beziehen. Der Verzicht darauf ist fur uns gut moglich, wie meine Kollegen aus dem Wirtschaftsressort hier erklaren. Bei russischem Ol sieht das anders aus, bei Gas erst recht. 740 Millionen Euro geben die EU-Staaten nach Schatzung der Brusseler Denkfabrik Bruegel dafur aus. Tag fur Tag.
Doch wahrend sich nun etwa Italien, das ahnlich abhangig von russischem Gas ist wie Deutschland, offen zeigt fur ein Embargo, wankt das deutsche Nein bislang nicht. An unserer Seite: Osterreich, Ungarn, die Slowakei.
Scholz stellt sich heute Mittag einer Regierungsbefragung im Bundestag, am Nachmittag folgt noch eine Aktuelle Stunde zu den Kriegsverbrechen im ukrainischen Butscha. Da mag auch die deutsche (Sonder-)Rolle Thema sein.
Draussen vorm Reichstagsgebaude derweil haben ukrainische Gruppen eine Demonstration geplant. Angemeldet sind 5000 Teilnehmer, die sich aus Protest gegen Putins Angriffskrieg auf den Boden legen und damit an die Getoteten erinnern wollen. Und sie werden von Bundesregierung und Bundestag ein sofortiges Energie-Embargo gegen Russland fordern – selbstverstandlich inklusive Gas.
Mehr Nachrichten und Hintergrunde zum Krieg in der Ukraine finden Sie hier:
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Das geschah in der Nacht: Russland kundigt weitere Gefechte in Mariupol an, Deutschland pruft neue Waffenlieferungen und nach Angriffen auf die Hauptstadtregion gibt es Berichte uber Todesopfer.
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Die schwierige Suche nach den Mordern von Butscha: Aller Wahrscheinlichkeit nach wurden die Zivilisten in Butscha von russischen Kampfern getotet. Doch das reicht nicht, um die Tater dingfest zu machen. Es braucht juristisch verwertbares Material
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Ohnmacht der Weltgemeinschaft: Vor dem Uno-Sicherheitsrat hat der Prasident der Ukraine Details uber die Grauel von Butscha und anderen Orten seines Landes prasentiert. Und er warf dem hochsten Gremium der Vereinten Nationen Tatenlosigkeit vor
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>>Sie haben bestimmte Einheiten mit diesen Aufgaben betraut, das war geplant<<: Brutale Morde an Zivilisten scheinen Teil der russischen Strategie zu sein, sagt Militarexperte Jack Watling. Hier prognostiziert er, wie sich der Krieg entwickeln wird und wo die nachsten blutigen Kampfe drohen
Anzeige gegen Putin und seine Schergen
Beim Generalbundesanwalt in Karlsruhe wird heute eine Strafanzeige wegen >>Kriegsverbrechen<>Verbrechen gegen die Menschlichkeit<< der FDP-Politiker Sabine Leutheusser-Schnarrenberger (Ex-Justizministerin) und Gerhart Baum (Ex-Innenminister) eingehen. Die Anzeige richtet sich gegen Putin, seinen engen Fuhrungskreis, vor allem aber gegen mutmassliche Tater vor Ort.
Es ist nicht die erste Strafanzeige zu den Kriegsverbrechen in der Ukraine, aber sie hat wohl die prominentesten Urheber.
Fruhere Ministerin Leutheusser-Schnarrenberger (im Jahr 2013)
Foto: Maurizio Gambarini/ dpa
>>Moglich ist das, weil seit 20 Jahren das Volkerstrafrecht in Deutschland gilt<<, erlautern meine Kollegen Severin Weiland und Fidelius Schmidt: >>So konnen Strafverfahren auch gegen Taten, die von Auslandern im Ausland begangen wurden, hierzulande verfolgt und gegebenenfalls zur Anklage vor einem deutschen Gericht gebracht werden. Das geschah in jungster Vergangenheit gegen Tater aus dem syrischen Burgerkrieg.<<
Severin hat mit Gerhart Baum gesprochen. Der hoffe, dass eines Tages fur Putin die Immunitat nicht mehr gelte, wie einst im Falle von Slobodan Milosevic. Der fruhere jugoslawische Machthaber, verantwortlich fur Tod und Vertreibung Tausender in den Kriegen auf dem Balkan, war am Ende vor dem Uno-Kriegsverbrechertribunal im niederlandischen Den Haag angeklagt worden – er starb vor seiner Verurteilung in der Haft.
Wie es der traurige Zufall will: An diesem Mittwoch vor 30 Jahren begann der Krieg in Bosnien-Herzegowina, im Bundestag wird an diesen Jahrestag erinnert. Und ich lege Ihnen an dieser Stelle die eindringliche Geschichte meines Kollegen Sebastian Stoll uber die SPD-Bundestagsabgeordnete Jasmina Hostert ans Herz. Ich habe manche Passagen zweimal gelesen. Hostert stammt aus Sarajewo, als Neunjahrige verlor sie im Krieg einen Arm. Wenn sie jetzt die Kinder aus der Ukraine sieht, dann sehe sie sich selbst, sagt sie.
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Das Kriegstrauma der SPD-Abgeordneten Jasmina Hostert: >>Ich habe geschrien: >Gebt mir meinen Arm zuruck!<<<
Tempo, Tempo
Es ist eine alte Geschichte, doch bleibt sie immer neu. Die Einfuhrung eines temporaren Tempolimits auf deutschen Autobahnen zur Reduzierung des Olverbrauchs scheint eine viel komplexere Herausforderung zu sein als, sagen wir, ein Energie-Embargo.
Warum sonst diskutiert das Land schon seit Wochen munter und ohne Ergebnis uber diese alte Geschichte?
Keine Schilder, kein Tempolimit
Foto: Jan Woitas / dpa
Das Tempolimit ist fur die Verkehrspolitik, was die Maske fur den Gesundheitsschutz ist: simpel, minimalinvasiv, schnell um- beziehungsweise aufzusetzen. Aber leider auch beladen mit einem vollig verqueren Begriff von individueller Freiheit, der sich mehr am Neue-Deutsche-Welle-Sanger Markus Morl (>>Ich geb Gas, ich geb Gas<<) orientiert, als an echter liberaler Programmatik. Disclaimer: Ich selbst fahre gern aber ganzlich unideologisch schnell und kann darauf verzichten.
Nur: Irgendein Hindernis lasst sich immer finden. FDP-Verkehrsminister Volker Wissing zum Beispiel ist gerade aufgefallen: >>So viele Schilder haben wir gar nicht auf Lager.<< Keine Schilder, kein Tempolimit.
Apropos alte Geschichte. Wahrend der ersten Olpreiskrise Anfang der Siebzigerjahre verhangte die damalige sozial-liberale(!) Bundesregierung ein temporares Tempolimit von 100 km/h, um Sprit zu sparen. O-Ton Kanzler Willy Brandt: >>Das deutsche Volk muss sich daran gewohnen, dass wir das Ol nicht verplempern konnen.<< Der SPD-Verkehrsminister hatte es zudem gern zum regularen Tempolimit gemacht, scheiterte aber an den Unionsparteien im Bundesrat.
Der SPIEGEL ubrigens war damals voll auf Markus-Morl-Linie, furchtete Schaden fur die deutsche Automobilindustrie: >>Der sportliche BMW oder auch Porsche konnten bald Raritaten sein, wenn sich die Hersteller, dem Bonner Zwang gehorchend, allgemeinem technischen Niedergang verschreiben. Steigende Kosten und Olnot gaben die neue Richtung an, aber erst die Gleichschaltung der Autobahngeschwindigkeit scheint eine solche Entwicklung zu besiegeln.<<
Branchenkenner, so hatten die Kollegen im Marz 1974 recherchiert, sagten den Abstieg zu den >>geraumigen, technisch frugalen, massig motorisierten Mittelklassewagen<>wie heute schon VW Passat und Audi 80<<. Ist nicht so gekommen. Schade, vielleicht ware uns die SUV-Asthetik erspart geblieben.
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Umstrittene Energiesparmassnahme: Verkehrsminister Wissing halt Tempolimit wegen Schildermangel fur nicht umsetzbar
Gag des Tages…
Prasident Biden, Vorvorganger Obama
Foto: Carolyn Kaster / AP
… gelang Barack Obama. Prasident Nummer 44 war bei Nummer 46, seinem fruheren Vize, im Weissen Haus zu Gast. Es ging um Reformen der >>Obamacare<>Herr Vizeprasident Biden… das war ein Witz.<<
Biden nahm den Ball spater auf: >>Mein Name ist Joe Biden und ich bin Barack Obamas Vizeprasident. … Willkommen zuruck. Fuhlt sich an wie in den guten alten Zeiten.<< Hach.
DER SPIEGEL im Gesprach mit Michael Kretschmer
Sachsens Ministerprasident Michael Kretschmer (CDU) zeigte stets viel Verstandnis fur Russland. Er hat sich getauscht. Im Gesprach mit meiner Kollegin Melanie Amann erklart er die Hintergrunde – und beantwortet Zuschauerfragen.
CDU-Politiker Kretschmer
Foto: Robert Michael / dpa
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Ich wunsche Ihnen einen guten Start in den Tag.
Ihr Sebastian Fischer