: Frank-Walter Steinmeier entschuldigt sich – was ist mit Angela Merkel?, Putin-Anhanger, KfW-Forderung //
Guten Abend, die drei Fragezeichen heute:
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Schuldfrage – Warum redet Steinmeier, aber Merkel schweigt zu Russland?
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Deutsche Putin-Fans – Moskaus funfte Kolonne?
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Hausbau – Bekommen Sie doch noch Geld vom Staat?
1. Steinmeier bittet um Entschuldigung. Und Merkel?
Als Angela Merkel Anfang Dezember aus dem Kanzleramt schied, sagten viele, man werde sie noch schmerzlich vermissen: ihren klaren Blick, ihre Erfahrung, ihre Fahigkeit, die Dinge vom Ende her zu denken. Doch durch Putins Krieg hat sich unser Blick auf Merkel verandert. In welchem Zustand hat sie das Land hinterlassen? Warum traf es die Bundeswehr so unvorbereitet? Wieso hangt unsere Industrie an Putins Gas wie ein Junkie an der Nadel? Und warum wundern sich die nach Deutschland gefluchteten Ukrainerinnen und Ukrainer uber schlechte Internetverbindungen und den Digitalisierungsruckstand der deutschen Behorden? Wie konnte unsere Infrastruktur in 16 Jahren Merkel so vor die Hunde gehen?
Im Nachhinein ist es leicht, den Besserwisser zu geben. Angenommen, Merkel hatte Putins Angriff schon vor Jahren vorausgesehen und sich als Kanzlerin deshalb dafur eingesetzt, 100 Milliarden Euro zusatzlich fur die Bundeswehr auszugeben: Man kann sich vorstellen, wie sich SPD und Grune uber >>Kriegstreiberei<>Rustungswahnsinn<< aufgeregt hatten. Auch das Festhalten am Nord Stream 2 war nicht allein Merkels Schuld, sondern lag auch am langjahrigen Koalitionspartner SPD. Trotzdem bleibt die Frage offen, warum Merkel Deutschland immer weiter in die Abhangigkeit von Gazprom und Co. trieb und Putin auf den Leim ging.
Bundesprasident Frank-Walter Steinmeier hat jetzt eingeraumt, Fehler im Umgang mit Russland gemacht zu haben. >>Die Warnungen von unseren osteuropaischen Partnern hatten wir ernster nehmen mussen<<, sagte er heute im ZDF. Putin habe sich zu einem >>eingebunkerten Kriegstreiber<< entwickelt. >>Es war eine Fehleinschatzung, dass wir – und auch ich – gedacht haben, dass auch ein Putin des Jahres 2021 am Ende nicht den totalen politischen, wirtschaftlichen und moralischen Ruin des Landes hinnehmen wurde fur seinen imperialen Wahn.<<
Steinmeier war von 2005 bis 2009 und von 2013 bis 2017 Aussenminister. Wenige in der Regierung waren Russland-freundlicher als er; umso wichtiger ist es, dass er sich heute erklart hat. Doch was ist eigentlich mit Merkel?
Ich stelle mir, wie sie in ihrer Datsche in der Uckermark sitzt und in den Nachrichten hort, was Polens Ministerprasident Mateusz Morawiecki gestern bei einer Pressekonferenz in Warschau sagte: >>Frau Bundeskanzlerin, Sie schweigen seit Beginn des Krieges. Dabei hat gerade die Politik Deutschlands wahrend der vergangenen 10, 15 Jahre dazu gefuhrt, dass Russland heute eine Starke hat, die auf dem Monopol des Verkaufs von Rohstoffen basiert.<<
Doch Merkel schweigt weiter. Nur eine Sprecherin erklarte gestern, dass >>Bundeskanzlerin a.D. Dr. Angela Merkel<< alle Anstrengungen unterstutze, der Ukraine zur Seite zu stehen. Vielleicht hat die Kanzlerin a.D. sich entschieden, der deutschen Offentlichkeit erst einmal fernzubleiben, sich nicht einzumischen, die neue Regierung in Ruhe zu lassen.
Das kann man respektvoll finden. Oder feige.
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Lesen Sie hier mehr: Steinmeier nennt Putin einen >>eingebunkerten Kriegstreiber<<
Und hier weitere Nachrichten und Hintergrunde zum Krieg in der Ukraine:
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EU-Kommission will Kohleimporte aus Russland verbieten: Brussel verscharft nach den Graueltaten in Butscha den Kurs gegen den Kreml.
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Auf der Suche nach Beweisen: Richard Weir ist sogenannter >>Researcher<< bei Human Rights Watch. Seine Aufgabe: Mogliche Spuren von Kriegsverbrechen zu dokumentieren. Sein derzeitiger Einsatzort: Butscha in der Ukraine.
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Die schwierige Suche nach den Mordern von Butscha: Aller Wahrscheinlichkeit nach wurden die Zivilisten in Butscha von russischen Kampfern getotet. Doch das reicht nicht, um die Tater dingfest zu machen. Es braucht juristisch verwertbares Material.
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Sind Arbeitsplatze wichtiger als Menschenleben? Der Krieg kostet immer mehr Zivilisten das Leben, dennoch scheint der deutsche Blick auf Russland weiterhin von wirtschaftlichen Interessen vernebelt zu sein. In der Ukraine wachst die Wut.
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Von der Leyen reist nach Kiew: Die EU verurteilt die russische Invasion in der Ukraine seit Wochen. Nun will sich Kommissionsprasidentin von der Leyen auf den Weg nach Kiew machen. Es gibt ein enges Zeitfenster.
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Wie lasst sich die Welternahrung in der Krise sichern? Europas Landwirtschaftspolitik ringt um Massnahmen, die Welternahrung trotz des Kriegs in der Ukraine zu sichern. Umweltschutz wird mitunter hintangestellt, dabei befeuert das die nachste Krise.
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Alle aktuellen Entwicklungen zum Krieg in der Ukraine im News-Update
2. Moskaus funfte Kolonne in Deutschland
Wer es gut mit Russland meint, betont gerne, dass es >>Putins Krieg<< sei, nicht >>Russlands Krieg<< oder gar ein >>Krieg des russischen Volkes<<. Tatsachlich jedoch zeigen Umfragen, das offenbar ein Gutteil der russischen Bevolkerung hinter Putin steht. Ein Erfolg der Gehirnwasche durch die Staatsmedien, heisst es dann, ebenfalls leicht entschuldigend.
Doch wieso gehen Menschen, die Deutschland leben, sich frei informieren konnen, keine Repressionen durch Putin befurchten mussen, als Moskaus funfte Kolonne auf die Strasse? Meine SPIEGEL TV-Kollegin Tatjana Kurdjumow war am Wochenende in Berlin unterwegs, wo etwa 900 Menschen mit Putin-Shirts und Sowjet-Flaggen demonstrierten. Es wurden Kriegsverbrechen geleugnet, ein Lied auf die Stalinorgel angestimmt, Gegner als Nazis bezeichnet und in wohl mindestens einem Fall das Z-Symbol zur Unterstutzung des Angriffskriegs gezeigt. >>Putin ist ein guter Mensch<<, sagt ein Mann in die Kamera, dass Putin Hauser bombardiere, findet er nicht problematisch. Die ukrainischen Fluchtlinge seien in Wahrheit keine Fluchtlinge, sagt eine Frau, alles nur Propaganda der deutschen Medien.
Auch hierzulande gibt es aus Russland stammende Menschen, die Putin kritisch sehen. Einige tauchen in Tatjanas Film auf, weil sie am Sonntag versucht hatten, eine Gegenkundgebung zu organisieren. Trotzdem bleibt der Eindruck, dass Deutschland ein grosseres Problem mit kriegsverherrlichenden Putin-Fans hat, als bislang angenommen wurde.
Wenn es sich also doch um einen Krieg Russlands handelt und nicht nur um einen Krieg Putins: Was bedeutet das fur die Zukunft? Nichts Gutes, sagt mein Kollege Christian Neef, der lange als Korrespondent in Moskau gearbeitet hat. Er schatzt die Stimmung dort inzwischen so ein: >>Kritiker russischer Politik durchgangig als Nazis zu bezeichnen, ist in Russland inzwischen en vogue. Aber hier wird noch etwas anderes deutlich: Russland blickt auf andere Volker herab. Das hat es im Umgang mit Polen, Tschechien und den baltischen Landern schon all die letzten Jahrzehnte getan – im Umgang mit den Ukrainern sowieso. Aber so militant wie jetzt gaben sich die Russen wohl noch nie – die bose Saat eines Wladimir Putin ist aufgegangen.<<
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Lesen Sie hier mehr: Wie ein Kremlpropagandist den russischen Angriffskrieg in der Ukraine rechtfertigt
3. Hauslebauer auf die Platze, fertig, los
Es war ein Schock fur viele Menschen, die vom Eigenheim traumten: Anfang des Jahres stoppte die Bundesregierung wie aus heiterem Himmel die Forderung von Neubauten. Nun aber konnen wieder Finanzhilfen fliessen. Wie Wirtschafts- und Energieminister Robert Habeck heute mitteilte, sind ab dem 20. April neue Antrage auf KfW-Forderung von besonders energieeffizienten Hausern moglich.
Soweit die gute Nachricht. Die schlechte lautet: Das Geld ist begrenzt. Nur eine Milliarde Euro stellt die Bundesregierung zur Verfugung. >>Man muss sich darauf einstellen, dass diese sehr schnell ausgeschopft sein wird<>insbesondere die Treibhausgas-Emissionen im Lebenszyklus der Gebaude noch starker in den Fokus stellen<<. Das Rattenrennen ums Staatsgeld geht also weiter.
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Lesen Sie hier mehr: Ab 20. April kommt die KfW-Neubauforderung zuruck
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Was heute sonst noch wichtig ist
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EU-Kommission wendet Rechtsstaatsmechanismus gegen Ungarn an: Die EU darf Mitgliedslandern bei Rechtsstaatsverstossen Gelder kurzen. Bisher hatte sie diesen Mechanismus nie angewandt. Nun mochte ihn Kommissionschefin von der Leyen nach SPIEGEL-Informationen gegen Ungarn einsetzen.
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Elon Musk redet kunftig auch offiziell bei Twitter mit: Als kritischer Nutzer ist Elon Musk auf Twitter seit langem prasent. Nach seinem Einstieg als Aktionar zieht er nun auch in den Verwaltungsrat ein. Laut Twitter-Chef Agrawal ist Musk >>genau, was wir brauchen<<.
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Maske oder nicht? Auf den meisten deutschen Flughafen fallt die Maskenpflicht, dennoch ist das Tragen des Schutzes weiter erwunscht. An Bord gelten andere Regeln. Der Uberblick.
Meine Lieblingsgeschichte heute: Der Krieg als Chance
Illustration: Studio Pong / DER SPIEGEL
Putins Krieg bringt uns dazu, unsere Gewissheiten, Routinen, Gewohnheiten zu hinterfragen. Das schreibt der Soziologe Armin Nassehi in seinem Essay uber den Krieg als Chance, den ich mit Gewinn gelesen habe. Nassehi sagt: >>So zynisch es im ersten Moment klingen mag: Die Ausnahmesituation macht manches denkbar, was sonst nicht denkbar ware. Wie schnell konnte es jetzt moglich werden, eine Umstellung auf erneuerbare Energien durchzusetzen? Auf einmal erscheint Verteidigungsbereitschaft als demokratisches Erfordernis und nicht als lastige Vertragserfullung eines Zwei-Prozent-Ziels. Wie erstaunlich ist es, dass viele Zivilisten fur Kriegseintritt und Kampf pladieren und die Militars zu militarischer Vorsicht mahnen? Wie notwendig erscheinen gerade nicht nur okologische, sondern auch okonomische Nachhaltigkeitskonzepte? Wie stark wird der Blick darauf gelenkt, dass politische Entscheidungsfahigkeit trotz aller Globalisierungsvorteile auch von lokaler Autonomie abhangig ist? Und wie sichtbar wird dabei, wie fragil die liberale Demokratie ist und wie bedroht durch Autokratien?<<
Nassehi stellt einen interessanten Bezug zur Psychiatrie her. Dort spreche man von einem >>lucidum intervallum<>Wir werden zum Nachdenken gezwungen, wenn die Dinge nicht so laufen, wie wir es gewohnt sind.<<
Doch er sagt auch, dass der lichte Moment schnell vorbei sein kann: >>Das Fenster fur neue Chancen schliesst sich schnell, wenn die Routinen der Gesellschaft wieder losgehen.<< Wir mussen uns also ranhalten, die richtigen Lehren aus dem Krieg zu ziehen.
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Lesen Sie hier den ganzen Essay: Die Chancen, die Weltkrisen bieten
Was wir heute bei SPIEGEL+ empfehlen
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Warum die Abschottungspolitik des Westens China nur starkt: Die Abhangigkeit von russischer Energie hat Europa die Augen geoffnet, wie sehr es auf China angewiesen ist. Nun soll mehr strategische Autonomie her. Das klingt gut – wird Peking allerdings nicht schaden.
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Sie protestieren weiter – wogegen eigentlich? Die meisten Coronaschutzmassnahmen sind passe, die allgemeine Impfpflicht wird wohl nicht kommen. Trotzdem gehen weiter selbst ernannte >>Spazierganger<< auf die Strasse. Was wollen sie jetzt noch?
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Das Scheitern des >>schwedischen Modells<< und seine dramatischen Folgen: >>Laissez-faire<>Ignoranz<< – in einem neuen Bericht wird deutliche Kritik an Schwedens Pandemiepolitik laut. Der Tod vieler Menschen sei willentlich in Kauf genommen worden.
Was heute weniger wichtig ist
Ford-Setzung folgt: Harrison Ford, 79, wird zum ersten Mal eine Hauptrolle in einer TV-Serie ubernehmen. In >>Shrinking<>How I Met Your Mother<>Indiana Jones<<. Dieser soll nachstes Jahr in die Kinos kommen.
Tippfehler des Tages, inzwischen korrigiert: >>Benjamin Bodirsky, Experte fur globale Agrar- und Ernahrungssysteme am Potsdam Institut fur Kilmafolgenforschung und gegenwartig Gastforscher am World Vegetable Center im taiwanesischen Tainan, glaubt das nicht.<<
Cartoon des Tages: Neue Grauelbilder
Und heute Abend?
Am Donnerstag um 19.30 Uhr trifft meine Kollegin Melanie Amann den sachsischen Ministerprasidenten Michael Kretschmer, der lange ein besonders versohnliches Verhaltnis zu Russland gepflegt hat. Sie konnen online dabei sein und sich mit Ihren Fragen beteiligen. Wenn Sie bereits Abonnentin oder Abonnent sind, melden Sie sich hier fur die Diskussion an. Fur Menschen ohne Abo verlosen wir zehn freie Zugange; schreiben Sie dazu bis morgen 12 Uhr einfach eine Mail an info@events.spiegel.de.
Und vorher? Auf Arte im linearen Fernsehen lauft ab dieser Woche >>Diener des Volkes<<, die TV-Serie, in der Wolodymyr Selenskyj den Prasidenten der Ukraine spielte, bevor ihn die Ukrainerinnen und Ukrainer mit grosser Mehrheit tatsachlich zum Prasidenten wahlten. Selenskyjs Rolle als braver Geschichtslehrer, der durch einen Zufall zum Staatsoberhaupt wird und sich in einem korrupten politischen System behaupten muss, ist so sympathisch, dass er einem sofort ans Herz wachst. Er wohnt, unglucklich getrennt von seiner Frau, bei seinen Eltern und fahrt mit dem Fahrrad zu Arbeit. Er legt sich mit Oligarchen an. Am Ende der ersten Staffel, Achtung Spoiler, entkommt er knapp einem Attentat. Die Serie erzahlt viel uber den Alltag in der Ukraine, als dort noch Frieden herrschte; Kritiker loben sie als ebenso spannend wie komisch. Sie konnen sich alle drei Staffeln mit insgesamt 51 Folgen schon jetzt in der Arte-Mediathek ansehen. Hier finden Sie die erste Folge. Und hier mehr zur Serie.
Ich wunsche Ihnen einen schonen Abend. Herzlich
Ihr Alexander Neubacher
Hier konnen Sie die >>Lage am Abend<< per Mail bestellen.