ine-Krieg: Robert Freitag zu moglichem Lieferstopp von russischem Gas //
SPIEGEL: Wirtschaftsminister Robert Habeck hat erklart, die Bundesregierung werde keinen Bruch der Gasliefervertrage durch Russland akzeptieren. Welche rechtlichen Konsequenzen konnten denn europaische Regierungen, Unternehmen oder Burger uberhaupt ziehen?
Freitag: Die Liefervertrage werden zwischen Marktakteuren geschlossen, das heisst zwischen russischen Exportunternehmen wie Gazprom oder Rosneft und europaischen Importunternehmen wie Uniper, RWE, EnBW oder Wingas. Grundsatzlich sind also nur privatrechtliche Unternehmen beteiligt und zur Lieferung oder Abnahme des Gases verpflichtet. Die Regierungen konnen hier hochstens politischen Druck aufbauen oder durch hoheitliche Massnahmen die Vertragserfullung untersagen. Aber es gibt keine unmittelbar vertragliche Handhabe fur die Bundesregierung zu sagen, Gazprom musse dieses oder jenes tun.
SPIEGEL: Welchen Spielraum haben die beteiligten Unternehmen, sollte Russland den Export einstellen?
Freitag: Wenn die Regierung in Moskau den Export untersagt, mussen russische Unternehmen nach russischem Recht diesem Verbot folgen. Wir in Europa werden dann kein Gas mehr bekommen. Die russischen Unternehmen kamen ihren Verpflichtungen aus den Liefervertragen zwar nicht nach, aber sie haben ja auch tatsachliche Hinderungsgrunde dafur. Damit ist die Nichtlieferung auf der Ebene des Vertragsrechts gleichsam legitim. Dem russischen Exporteur ist die Lieferung unmoglich, und dementsprechend wird dann naturlich auch den deutschen Importeuren die weitere Lieferung des Gases an die deutschen Abnehmer ebenfalls unmoglich.
SPIEGEL: Konnten die Deutschen Schadensersatz geltend machen?
Freitag: Theoretisch denkbar sind Schadensersatzforderungen, ja. Aber sie konnten innerhalb der EU gegen Russland nicht geltend gemacht werden, da wir gar keine Gerichtsbarkeit uber den russischen Staat haben, da dieser mit einem Exportverbot hoheitlich handeln wurde. Und es ist auch nicht davon auszugehen, dass es nach russischem Recht uberhaupt eine Staatshaftung gibt. Naturlich wurden die russischen Gerichte das verneinen. Klagen in Russland waren deswegen wohl auch sinnlos.
SPIEGEL: Wie sehen diese transnationalen Vertrage generell aus, gibt es Sonderklauseln fur besondere Situationen wie etwa einen Krieg?
Freitag: Ich kenne die betreffenden Vertragswerke des Gasliefergeschafts nicht. Aber ich gehe stark davon aus, dass es sich um weitgehend standardisierte Vertrage handelt, in denen sicherlich auch Vorsorge dafur getroffen wird, dass es zu Lieferproblemen und sonstigen Vertragsstorungen kommt. Typischerweise wird dort Rucksicht genommen auf sogenannte material adverse changes oder auf force majeure, also auf grundlegende Storungen des Vertragsgefuges und auf hohere Gewalt. Diesbezuglich werden haufig die Suspendierung der Vertragspflichten, Vertragsanpassungen oder Kundigungsrechte vereinbart. Aber das hangt von den konkreten Absprachen der Parteien ab, da wird grosser Wert auf Diskretion gelegt. Kriege sind jedenfalls ein Fall von hoherer Gewalt, und wenn hohere Gewalt vorliegt, werden die Vertragspflichten regelmassig suspendiert. Dementsprechend gibt es trotz fehlender Lieferung auch keinen Entgeltanspruch. Das ware jedenfalls nach deutschem Gesetzesrecht ganz genauso.
SPIEGEL: Gas wird von der deutschen Industrie gebraucht, zum Beispiel bei der Stahl- oder Glasherstellung, aber auch fur Medikamente und Lebensmittel. Wenn es zu einem Exportstopp durch Russland kame, konnten dann in Deutschland Grosskunden klagen?
Freitag: Grosskunden wie kleine Kunden haben naturlich einen vertraglichen Anspruch auf die bestellten Gasmengen in den vereinbarten Zeitraumen. Aber wenn wir eine Storung der Belieferung von deutschen Zwischenhandlern haben, dann konnen diese sich selbstverstandlich ihren Kunden gegenuber auch auf etwaige Embargomassnahmen berufen. Sie sind dann berechtigt, die Lieferungen nicht mehr vorzunehmen. Welche Infrastrukturen und Kunden vorrangig zu beliefern sind, wird gerade durch die Bundesnetzagentur und das Bundeswirtschaftsministerium geklart. Diese werden hoheitlich festlegen, wer zuerst zu beliefern ist. Mussen danach zum Beispiel private Verbraucher und Krankenhauser mit Prioritat beliefert werden, dann muss sich die chemische Industrie hinten anstellen. Auch wenn privates Vertragsrecht und offentliches Energierecht grundsatzlich voneinander getrennt sind, werden die nachrangig zu beliefernden Abnehmer in einem solchen Fall im Ergebnis nicht aufgrund privatrechtlicher Absprachen auf Schadensersatz klagen konnen.
SPIEGEL: Einige Parteien werden in dem System dann also leer ausgehen.
Freitag: Das ist korrekt. Salopp gesagt: Gekniffen sind in einem solchen Fall diejenigen Abnehmer, die kein Gas mehr bekommen. Auch den Zwischenhandlern entgehen entsprechende Gewinne aus dem Verkauf. Hier muss notfalls der Staat etwa durch Finanzhilfen eingreifen, bevor erhebliche Schaden entstehen. Das wird bereits diskutiert. Allerdings konnten Geldzahlungen nicht den Produktionsausfall verhindern. Es werden also Produkte im Wirtschaftskreislauf nicht mehr hergestellt werden konnen.
SPIEGEL: Hat die Bundesregierung die Moglichkeit, dafur auf eingefrorene russische Gelder oder Besitztumer zuzugreifen, um uber Umwege letztlich doch Russland zu belasten?
Freitag: Die aktuellen Embargomassnahmen der EU ordnen in Bezug auf Konten typischerweise nur das Einfrieren von Guthaben an, aber keine unmittelbare Enteignung. Auch in Bezug auf sonstige Vermogenswerte russischer Burger und Unternehmen wird derzeit nur die Verfugungsgewalt der Berechtigten eingeschrankt. Ob man spater tatsachlich zu Enteignungen greift, musste politisch und verfassungsrechtlich geklart werden. In der Vergangenheit ist es dazu nicht gekommen.
SPIEGEL: Konnten im Falle eines EU-Embargos russische Unternehmen die Europaer verklagen?
Freitag: Wir hatten dann das spiegelbildliche Problem. In diesem Fall folgen die europaischen Importunternehmen der fur sie bindenden Anweisung, die angebotenen Gaslieferungen nicht abzunehmen. Damit wurden dann die Lieferungen schlicht und ergreifend nicht mehr stattfinden konnen. Gazprom oder Rosneft und die russischen Exporteure wurden ihrerseits letztlich einen Schaden erleiden, konnten aber nur bedingt klagen, da es sich um Massnahmen der Europaischen Union handelt, die die Importunternehmen umsetzen mussen. Schadensersatzanspruche gegen die EU konnten sie jedenfalls in der EU und nach europaischem Recht nicht geltend machen.
SPIEGEL: Konnten deutsche und europaische Unternehmen sich in diesem Fall etwas von der Europaischen Union erhoffen?
Freitag: Es ware ein erheblicher Eingriff in die Liefervertrage, die betroffenen Energieunternehmen mussten dann quasi ein Sonderopfer im Interesse der Allgemeinheit erbringen. Die europaische Massnahme ware allerdings dennoch rechtmassig. Da es sich aber um einen sehr starken Eingriff in die Eigentumsrechte der europaischen Unternehmen handelt, spricht viel dafur, dass Kompensationen angeordnet werden mussen, um das Embargo verhaltnismassig zu machen. Hieruber wurde im Streitfall der Europaische Gerichtshof entscheiden mussen.
SPIEGEL: Wie realistisch ist ein positives Urteil fur die Unternehmer vor dem Europaischen Gerichtshof?
Freitag: Der EuGH hat in der Vergangenheit, wenn auch in etwas anderem rechtlichem Kontext, entschieden, dass rechtmassige gesetzgeberische Massnahmen der EU grundsatzlich keine Entschadigungspflicht auslosen. Schadensersatzforderungen wurden also vermutlich abgelehnt werden. Aber Kompensationen konnen wie gesagt erforderlich sein, um die Massnahme rechtmassig zu machen. Allerdings reden wir hier uber Milliardenbetrage, die moglicherweise so hoch sind, dass sie den staatlichen Rahmen sprengen. Das wird auch der EuGH berucksichtigen.
SPIEGEL: Wie sieht es bei den Privatpersonen aus, konnten die ihre Anspruche geltend machen?
Freitag: Die Verbraucher haben ihre Liefervertrage mit ihren Gasversorgern und damit einen grundsatzlichen Anspruch auf Erfullung. Die Bundesnetzagentur wird allerdings klaren, in welchem Umfang die Versorger nach offentlichem Recht zur Versorgung berechtigt und verpflichtet sind. Diese Entscheidung wird am Ende des Tages auch auf der vertragsrechtlichen Ebene berucksichtigt werden. Und wenn wir eine rechtmassige Embargomassnahme haben, kann es sehr wohl sein, dass dann Endverbraucher und Unternehmenskunden schlicht und ergreifend Pech haben.
SPIEGEL: Hat es eine solche Situation in der jungeren Geschichte schon einmal gegeben?
Freitag: Embargomassnahmen der EU gibt es schon seit langerer Zeit in verschiedenen Kontexten gegen einzelne Personen, Terrororganisationen und Staaten. Und bereits im Ersten Weltkrieg wurden Sanktionen gegen das Deutsche Reich verhangt, die auch die deutschen Gerichte beschaftigt haben. Da hat man Orientierungen fur die aktuelle Situation. Naturlich hatten die Massnahmen in jungerer Zeit selten einen so grossen Umfang wie die aktuellen. Wir haben jetzt die geografische Nahe zum Kriegsgebiet und eine viel engere wirtschaftliche Verflechtung mit den Kriegsparteien als in der Vergangenheit. Es ist also aus Sicht der EU wirtschaftlich noch nie so bedeutend gewesen wie heute.