: Ukraine-Russland-Krieg, Wladimir Putin, Gas, Robert Habeck, Osterreich, Markus Soder //
Liebe Leserin, lieber Leser, guten Morgen,
heute geht es um Robert Habecks offentlichen Kampf um die richtige Politik in Zeiten des Krieges, um Wladimir Putins seltsames Machtspiel um das russische Gas – und um die Frage, wessen Parlament sich im Umgang mit Wolodymyr Selenskyj peinlicher verhalt: der Deutsche Bundestag oder der osterreichische Nationalrat.
Habeck hadert
Wieder so ein Auftritt, den sich Robert Habeck wohl nicht vorstellen konnte, als er im Dezember ins Kabinett einzog und sich seinen Traum von der Macht erfullte: Mit ernster Miene ruft der Wirtschaftsminister am Mittwoch die Fruhwarnstufe des Gas-Notfallplans aus. Er gibt sich entschlossen, er mahnt, beschwichtigt, appelliert auch an die Eigenverantwortung. Der Vizekanzler im Krisenmodus. Er hat sich inzwischen daran gewohnt.
AdvertisementRobert Habeck
Foto: Bernd von Jutrczenka / AP
Gerade die Grunen erleben in der Regierung einen Realitatsschock. Angetreten, das Klima zu retten, geht es nun noch um viel mehr: um den Weltfrieden. Das verlangt der Partei der Pazifisten einiges ab, und das Spannende ist: Man kann Robert Habeck jeden Tag dabei zusehen, wie er den Realitatsschock verarbeitet.
Waffenlieferungen fur die Ukraine, Aufrustung der Bundeswehr, Energie-Einkaufstour in Katar, Gas aus Russland – Habeck hadert mit politischen Zwangen. Er leidet an der Tragik, die teilweise damit verbunden ist, er zweifelt an der Richtigkeit von Entscheidungen und begrundet, warum er sie trotzdem trifft, er ubt Selbstkritik. Und an all dem lasst er die Menschen teilhaben, er spricht daruber. Talkshows, Interviews, and Insta-Videos.
Man kann das alles fur Inszenierung halten. Und, ja klar, Politik ist immer auch genau das: eine Buhne, eine Inszenierung. Und doch kann man Habeck seine Zerrissenheit abnehmen. Er war fruher ehrlich, als er keinen Hehl aus seinem Gestaltungshunger – man kann auch sagen Machthunger – machte. Genauso ehrlich ist er nun, wenn er sagt, der Krieg habe seiner Art, Politik zu machen, die >>Leichtigkeit<< genommen. Wo andere sich in immer gleichen Solidaritatsfloskeln verlieren, wo Olaf Scholz frei von Selbstzweifeln ist und immer recht zu haben glaubt, da hebt sich Habecks Offenheit in diesen Zeiten wohltuend ab.
Aber, und auch das wird der Wirtschaftsminister wissen, am Ende zahlt die Stilnote wenig. Die Menschen wollen im nachsten Winter eine warme Wohnung, die Industrie will produzieren, und das alles zu annehmbaren Preisen. Wenn Habeck nicht liefert, werden ihm seine Zweifel und sein Hadern als Schwache ausgelegt werden.
Putins Machtspiel mit dem Gas
Wladimir Putin ist nicht zu trauen, so viel steht fest. Darum reagierte der Kanzler wohl auch reserviert, als ihn der russische Prasident am Mittwochnachmittag anrief, um ihm zu erklaren, wie er sich das kunftig mit den Gaslieferungen vorstelle. Demnach werde er, Putin, zwar ein Gesetz erlassen, wonach die Rechnungen ab dem 1. April in Rubel zu begleichen seien. Fur die Europaer aber andere sich nichts. Sie konnten weiter wie ublich in Euro an die Gazprom-Bank uberweisen (die nicht von den Sanktionen betroffen sei), die Bank konvertiere das Geld dann in Rubel.
Pipeline-Modell, Rubel-Schein
Foto by DADO RUVIC / REUTERS
War das nun der nachste Ruckzugsschritt, nachdem der Kreml erst damit gedroht hatte, den Gashahn zuzudrehen, sollte der Westen statt Rubel weiter Euro und Dollar uberweisen, dann aber bald erklarte, die Rubel-Umstellung werde nicht sofort erfolgen? Ist der angedrohte Lieferstopp vom Tisch?
Olaf Scholz liess im Anschluss an das Telefonat erst einmal verbreiten, dass er dem Verfahren NICHT zugestimmt habe – wobei der Regierungssprecher vorsichtshalber tatsachlich Versalien in seiner Mitteilung benutzte. Stattdessen habe der Kanzler >>um schriftliche Informationen gebeten, um das Verfahren genauer zu verstehen<<.
Das durfte eine weise Entscheidung gewesen sein. Denn was Putin wirklich treibt, ist kaum zu durchschauen. Auch deshalb hat die Bundesregierung gestern zu recht die Fruhwarnstufe als erste von drei Krisenstufen des Gas-Notfallplans in Kraft gesetzt. Womoglich sehen wir heute klarer: An diesem Donnerstag will der Kremlchef mit Vertretern des Gasriesen Gazprom und der russischen Zentralbank besprechen, wie man kunftig mit den Exporten in >>unfreundlichen Staaten<< umgehen will.
Ganz gleich, was dabei herauskommt, eines ist klar: Deutschland sollte mit Putin nicht langer Geschafte machen als unbedingt notwendig.
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Wie neutral ist Osterreich?
Man kann sich durchaus die Frage stellen, ob es besser gewesen ware, Wolodymyr Selenskyj hatte einfach gar nicht vor dem Bundestag gesprochen. Dann ware dem Land das unwurdige, peinliche Nachspiel erspart geblieben: Der ukrainische Prasident fleht um Hilfe – und im Parlament geht es weiter mit Geburtstagsgrussen.
Karl Nehammer
Foto: IMAGO/Martin Juen / IMAGO/SEPA.Media
Anderseits: Selenskyj einen Auftritt verwehren, wo er inzwischen doch zu fast allen westlichen Volksvertretungen zugeschaltet wurde, das ware auch nicht zu erklaren. Was nun leichter zu ertragen ist, daruber konnen sich Bundeskanzler Olaf Scholz und sein osterreichischer Amtskollege Karl Nehammer austauschen, wenn dieser heute Berlin besucht.
In Osterreich wollen die liberalen Neos Selenskyj zu einer Rede im Nationalrat einladen, aber die rechte FPO und die Sozialdemokraten sind dagegen – weil Osterreich doch neutral sei (hier und hier lesen Sie mehr zu den Hintergrunden) – und der konservative Parlamentsprasident pocht auf Einvernehmlichkeit. Vielleicht erklart Scholz seinem Gast von der OVP, wie man selbst auf eine hochemotionale Rede absolut neutral reagieren kann.
Auch interessant, aber wahrscheinlich kein Thema bei Nehammers Visite: Osterreichs Rolle als angebliche Drehscheibe fur russische Spionage. Die >>Financial Times<>wahrer Flugzeugtrager<>praktisch eine Abteilung des GRU<<, des russischen Militargeheimdienstes.
Der Bericht wirft in Zeiten des Krieges kein gutes Licht auf das neutrale Osterreich. Woher der schlechte Ruf kommt, und was an ihm dran ist, das erklaren Ihnen heute im Laufe des Tages meine Kollegen Oliver Das Gupta und Martin Knobbe auf SPIEGEL.de.
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Selbstdarsteller des Tages…
Markus Soder
Foto: Sven Hoppe / dpa
… ist Markus Soder. Sie leben in Bayern, hatten die Tage Geburtstag und haben kein Gluckwunschschreiben Ihres Ministerprasidenten bekommen? Dann sollten Sie mal in der Staatskanzlei nachhorchen, ob man Sie vergessen hat. Denn normalerweise gratuliert Soder so ziemlich jedem im Freistaat, der nicht bei Drei auf den Baumen ist. Es gibt Briefe zum 18., zum 70., 75., 80., 85., 90., 95., zum 100. und jedem weiteren Geburtstag danach, ausserdem kommt der Soder-Segen zum 60., 65., 70., und 75. Ehejubilaum. Macht insgesamt rund 635.000 Gluckwunschbriefe pro Jahr.
Richtig eindrucksvoll wird diese Zahl im bundesweiten Vergleich. Denn mit seinem Gratulationsreigen, so hat es die Deutsche Presse-Agentur ausgerechnet, ubertrifft Soder ganz allein die Amtskolleginnen und -kollegen der ubrigen 15 Bundeslander um mehr als das Dreifache – die verschicken jahrlich insgesamt rund 170.000 Briefe an Jubilare (aus Schleswig-Holstein fehlten noch Zahlen). Grund fur die Diskrepanz: Ublicherweise wird in den anderen Landern erst ab dem 90. Geburtstag regierungsamtlich gratuliert.
So hielten es Soders Amtsvorganger ubrigens auch.
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