: Ukraine-Russland-Krieg, Raketenabwehr, SPD, Linke, Karl Lauterbach //
Liebe Leserin, lieber Leser, guten Morgen,
heute geht es um die Verhandlungen zwischen Russland und der Ukraine. Wir beschaftigen uns mit den deutschen Planen fur Raketenschutz. Und wir fragen uns, ob SPD und Linke wieder zusammenfinden.
Der Krieg wird so schnell nicht enden
Wenn Russland es ernst meint und die Angriffe auf Kiew >>radikal<< reduzieren wird, ware das eine gute Nachricht fur die Menschen in der ukrainischen Hauptstadt. Wenn die Gesandten des Kremls die Vorstellungen der ukrainischen Seite von Sicherheitsgarantien nicht einfach vom Tisch wischen, dann kann man das vielleicht als positives Zeichen werten. Wenn der russische Unterhandler erklart, >>die Moglichkeit, einen Frieden zu schliessen, ist naher geruckt<<, dann konnte das ein Hoffnungsschimmer sein.
AdvertisementUkrainischer Soldat in der Nahe von Kiew
Foto by GLEB GARANICH / REUTERS
Ziemlich viel wenn, ware, vielleicht, konnte. Hat sich da wirklich etwas bewegt bei den Verhandlungen zwischen Ukrainern und Russen am Dienstag in Istanbul? Rhetorisch ja. Aber die Taten mussen erst folgen.
Bisher kann wohl noch nicht von einem echten Teilruckzug russischer Truppen am Rande Kiews die Rede sein. Und selbst wenn sich die Ankundigungen nicht als Tauschungsmanover entpuppen: Ein schnelles Ende des Krieges wird es nicht geben.
Militarisch steckt Wladimir Putin in der Klemme. Da mogen die Propagandisten in Moskau noch so oft betonen, dass ihre >>Sonderoperation<< nach Plan laufe. Nichts lauft nach Plan, die Ukrainer leisten massiven Widerstand, uberall gibt es Ruckschlage, und eine Eroberung Kiews scheint aktuell unmoglich. Wahrscheinlich sind das die Grunde fur eine Neusortierung der zermurbten russischen Truppen. Und nicht, dass Putin plotzlich die Ukrainer schonen will.
Konziliante Worte belegen im Falle der russischen Fuhrung leider noch lange nicht, dass sie nun den Weg der Vernunft einschlagen will. Und bei allem Wunsch nach Frieden, mir fehlt derzeit schlicht die Fantasie, wie ein Abkommen zwischen der Ukraine und Russland aussehen soll.
Wolodymyr Selenskyj mag bereit sein zu schmerzhaften Zugestandnissen. Denen aber muss am Ende wohl das Volk in einem Referendum zustimmen – weswegen er sich nicht einen Grossteil der Bedingungen vom Aggressor diktieren lassen kann. Putin wiederum kann es sich nicht erlauben, in der Heimat als Gescheiterter dazustehen. In seiner Logik darf die Ukraine eigentlich nicht als souveraner Staat bestehen bleiben. Er wird seinen Vernichtungsfeldzug vorerst fortsetzen.
Mehr Nachrichten und Hintergrunde zum Krieg in der Ukraine finden Sie hier:
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Newsblog: Alle aktuellen Entwicklungen zur Lage in der Ukraine konnen Sie hier nachlesen
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Was in der Nacht zu Mittwoch geschah: Grossbritannien halt die Belagerung Kiews fur gescheitert. Die Zweifel an russischen Zugestandnissen wachsen. Und: Tausende Tote in Mariupol befurchtet. Der Uberblick
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>>Die schwachere Truppe geht in die Verteidigung<<: Seit einer Woche gibt es immer wieder erfolgreiche ukrainische Ruckeroberungen. Die russische Armee andert unterdessen vorgeblich ihre Ziele in Richtung Osten – hangt beides zusammen?
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Diese Stadt haben die Ukrainer von den Russen befreit: Im Osten haben die Ukrainer eine strategisch wichtige Stadt zuruckerobert: Trostjanez. Die Besatzer hinterliessen Tod und Zerstorung, schossen auf Zivilisten – und wussten wohl selbst nicht, wozu sie gekommen waren
Braucht Deutschland eine Raketenabwehr?
Noch bis Donnerstag weilt die Delegation deutscher Verteidigungspolitikerinnen und -politiker aus dem Bundestag in Israel, um sich zeigen zu lassen, wie die nun so oft beschworene deutsche Zeitenwende aussehen konnte. Zum Beispiel ein Waffensystem, das anfliegende, feindliche Langstreckenraketen schon kurz nach dem Start erkennen und dann mit steuerbaren Geschossen in grosser Hohe unschadlich machen kann. >>Arrow 3<>Fahigkeitslucke<< schliessen konnte – noch so ein Wort, das es bald in den Standardwortschatz eines jeden Bundestagshinterbanklers geschafft haben durfte.
Start einer >>Arrow 3<<-Rakete
Foto: -/ AFP
Braucht Deutschland ein solches Raketenabwehrsystem? Antwort von Olaf Scholz am Sonntag bei >>Anne Will<>Wir mussen uns alle darauf vorbereiten, dass wir einen Nachbarn haben, der gegenwartig bereit ist, Gewalt anzuwenden, um seine Interessen durchzusetzen. Deswegen mussen wir uns gemeinsam so stark machen, dass das unterbleibt.<>Putin ist alles zuzutrauen. Darum mussen wir uns schutzen.<< Womoglich auch mit einem Raketenabwehrsystem.
Vor ein paar Wochen noch hatte ich schnell abgewunken, wenn mich jemand von der Notwendigkeit eines solchen Systems fur die Bundeswehr zu uberzeugen versucht hatte. Die Idee ist ja nicht neu. Immer wieder wurde daruber diskutiert. Systeme wurden gepruft und ausgewahlt, sie nannten sich MEADS (Medium Extended Air Defense System) oder TLVS (taktisches Luftverteidigungssystem). Es endete wie so oft bei der Bundeswehr: zu komplex, zu langwierig, zu teuer. Vor etwa einem Jahr stampfte die Bundesregierung das Projekt vorerst ein. Es gab andere Prioritaten.
Und nun, Zeitenwende, Sie wissen schon. Und nun denke auch ich: Leider hat Olaf Scholz mit seiner Einschatzung wohl recht.
Der Vorteil von >>Arrow 3<<: Das System gibt es schon. Es ist teuer, ja. Es muss aus dem geplanten Sondervermogen bezahlt werden. Aber immerhin werden keine Milliarden in nie enden wollender Projektentwicklung versenkt. Dazu kommt, dass der Schutzschild als Teil einer Nato-Abwehr weit uber die deutschen Grenzen bis zu den baltischen Staaten reichen wurde, die einer russischen Bedrohung noch viel naher sind. Das ware ein gutes Signal.
SPD und Linke kommen wieder zusammen
Geht Oskar Lafontaines Wunsch noch in Erfullung? Die Wiedervereinigung von SPD und Linkspartei? Ein paar Jahre ist es her, da hatte er diese noch fur >>wunschenswert<< erklart, nachdem sich die Sozialdemokraten mit den neuen Parteichefs Saskia Esken und Norbert Walter-Borjans einen Linkskurs verordnet hatten. Eine – aus seiner Sicht – gelauterte SPD konnte die Krafte im linken Lager wieder bundeln. So dachte der Mann, der einst seiner Partei im Streit den Rucken kehrte, um die Linkspartei mitaufzubauen.
Oskar Lafontaine 1985, damals Ministerprasident im Saarland fur die SPD
Foto: imago stock&people
Aus der Fusion wurde nichts, Lafontaine ist inzwischen auch aus der Linken ausgetreten, im Streit naturlich. Und plotzlich kommt Bewegung in die Sache – nur anders, als sich der fruhere SPD-Vorsitzende das vorgestellt hat.
Die Linke ist im freien Fall. Nach dem 4,9-Prozent-Debakel bei der letzten Bundestagswahl flog sie jetzt im Saarland, wo die Partei 2009 noch mehr als 20 Prozent holte, hochkant aus dem Landtag. Bei den drei restlichen Landtagswahlen dieses Jahres wird sie, Stand jetzt, wohl auch draussen bleiben mussen.
Vom Absturz profitiert die SPD. Bei der Bundestagswahl lief fast eine Million fruherer Linken-Wahler zu den Sozialdemokraten uber. An der Saar wahlte mehr als ein Viertel der Menschen, die funf Jahre zuvor noch fur die Linkspartei gestimmt hatten, diesmal die Truppe von Anke Rehlinger. Die kann nun mit absoluter Mehrheit regieren.
Nicht ausgeschlossen, dass wir nun eine schleichende Fusion erleben, indem sich die Linke uberflussig macht und die SPD die enttauschte Wahlerschaft (und spater womoglich auch Funktionare und Mandatstrager) absorbiert.
Kevin Kuhnert versucht, sich jede Schadenfreude uber die Linken-Schwindsucht zu verkneifen. Ein bisschen Frohlocken ist im SPIEGEL-Interview aber erlaubt: >>Offensichtlich verschiebt sich etwas in der Parteienlandschaft<>Das entscheiden einzig und allein die Wahlerinnen und Wahler, nicht der Generalsekretar der SPD.<<
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SPD-Generalsekretar Kuhnert uber Saar-Wahl und Linke: >>Fur blossen Protest muss man andere wahlen<<
Verlierer des Tages…
Gesundheitsminister Lauterbach
Foto by CHRISTOPH SOEDER/POOL / EPA
… ist Karl Lauterbach. Der Bundesgesundheitsminister wollte im Kampf gegen Corona alles besser machen als sein Vorganger Jens Spahn. Doch nun steht der SPD-Politiker ziemlich bedroppelt da. Er mahnt und warnt zwar noch wie fruher, die Pandemie sei noch nicht vorbei. Zugleich aber verteidigt er ein neues Infektionsschutzgesetz, mit dem Ende der Woche grundlegende Schutzmassnahmen wie die Maskenpflicht im Einzelhandel fallen sollen – trotz Rekordinfektionszahlen.
Die FDP hat Lauterbach ausgebremst. Das will der Minister naturlich nicht zugeben, stattdessen bettelt er die Lander an, doch bitte grosszugig Hotspot-Regeln anzuwenden, die nicht einmal rechtssicher definiert sind. Oder sollen doch die Supermarktbetreiber ihre Kunden per Hausrecht zum Maskentragen verdonnern – die werden sich bedanken.
Nein, es lauft gerade nicht fur Lauterbach. Und die nachste Pleite bahnt sich bereits an: bei der Impfpflicht.
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Ihr Philipp Wittrock