Als das Ergebnis um 18 Uhr auf den Bildschirmen in der Saarbrucker Kongresshalle aufleuchtete, war es dann doch noch eine kleine Uberraschung: Voraussichtlich uber 13 Prozentpunkte Zuwachs im Vergleich zu 2017 fur die SPD, ein desastroser Absturz auf unter 30 Prozent fur die CDU, eine absolute Mehrheit fur die Sozialdemokraten in greifbarer Nahe, das zeigte sich schon nach den ersten Hochrechnungen. Die aller Wahrscheinlichkeit nach kunftige Ministerprasidentin des Bundeslandes, Anke Rehlinger, 45, fasste diesen Erdrutschsieg kurze Zeit spater in einen fast schon zuruckhaltend nuchternen Satz vor ihren jubelnden Parteifreunden zusammen: >>Nach 23 Jahren sind wir wieder starkste Kraft an der Saar.<< Es sei das Ergebnis harter Arbeit der gesamten Landespartei gewesen.
Der Wechsel an der Regierungsspitze von dem Christdemokraten Tobias Hans, 44, zur Sozialdemokratin Anke Rehlinger fallt damit noch ein gutes Stuck deutlicher aus, als sich in den vergangenen Monaten abgezeichnet hatte. Schon im November lag die SPD in Umfragen klar vor der CDU – und der Abstand wurde seitdem immer grosser. Die Sozialdemokraten profitierten zum Teil vom Niedergang der Linkspartei im Saarland: Der Dauer-Machtkampf zwischen fuhrenden Genossen und der Parteiaustritt des einstigen Linken-Zugpferds Oskar Lafontaine haben offensichtlich dazu gefuhrt, dass viele ehemalige Wahlerinnen und Wahler zur SPD gewechselt sind. Vor allem aber war es eine Personenwahl, die schliesslich sogar zur einer absoluten Mehrheit fuhrte. Bei der Frage, wen die Saarlanderinnen und Saarlander am liebsten an die Spitze der Regierung wahlen wurden, lag in allen Befragungen der vergangenen Monate Rehlinger mit einem grossen Abstand vor dem Amtsinhaber Hans.
Die Juristin ist seit acht Jahren Vize-Ministerprasidentin der bislang regierenden Grossen Koalition und verantwortet als Ministerin fur Wirtschaft, Verkehr, Energie und Arbeit die wichtigsten Schlusselressorts in dem noch immer stark von Stahl- und Autoindustrie gepragten Bundesland. Rehlinger hat es geschafft, sich in dieser Funktion als bodenstandige und pragmatische Macherin zu prasentieren, die um jeden Arbeitsplatz und jeden Cent Fordergeld von Bund und EU kampft. In der Grossen Koalition erschien sie im Vergleich zum Wahlverlierer Hans oft als der aktivere, zupackende Part.
Der Wahlkampf verlief fur Hans alles andere als glucklich
Der bisherige CDU-Regierungschef hatte dagegen kein wichtiges landespolitisches Thema, das positiv mit ihm verbunden wurde. Lange sonnte sich Tobias Hans im Scheinwerferlicht der Ministerprasidentenkonferenz, in der uber viele Monate hinweg die Linien der Coronapolitik in Deutschland festgelegt wurden. Doch mittlerweile sind die Ministerprasidentinnen und Ministerprasidenten weitgehend vom Bund entmachtet. Und bevor sie es wurden, hat Hans nicht gerade durch eine stringente Haltung in der Pandemiebekampfung geglanzt. Auch Parteifreunde aus den Staatskanzleien anderer Bundeslander rumpften die Nase uber den bisweilen erratischen Corona-Kurs ihres Kollegen aus dem Saarland, der sich mal als Verfechter harter Einschrankungen und dann wieder als Befurworter einer liberalen Offnungspolitik inszenierte.
In den Wochen vor der Wahl klagte Hans dann plotzlich daruber, dass er als Ministerprasident immer die schlechten Nachrichten uber Corona verkunden musse, wahrend seine Stellvertreterin sich bei dem Thema rar mache. Rehlinger konterte, sie konne sich ja schlecht neben den Regierungschef in die vielen Talkshows setzen, die er standig besuche. Es war ein Punktgewinn von vielen fur die SPD-Kandidatin.
Denn auch sonst verlief der Wahlkampf fur Hans alles andere als glucklich. Es ging schon damit los, dass der CDU-Mann im Februar mit grossem Getose ein christdemokratisches >>Kompetenzteam<< vorstellte, dem bereits nach wenigen Stunden das erste Mitglied abhanden kam. Die Filmemacherin Marisa Winter, von Hans als potenzielle Ministerin fur Kunst und Kultur ins Spiel gebracht, trat schon kurz nach ihrer Vorstellung wieder zuruck; es waren Fotos aufgetaucht, die sie ohne Maske auf einer Demonstration mit Impfgegnern und Coronaleugnern zeigte.
Hans geriet durch die schlechten Umfragewerte immer mehr unter Druck. Ein eilig aufgenommenes Video, das ihn im Hemd vor einer Tankstelle uber die hohen Benzinpreise schimpfend zeigte, brachte ihm vor allem Hohn und Spott ein. Schliesslich zwang ihn eineinhalb Wochen vor dem Wahltermin auch noch das Coronavirus in die hausliche Isolation. Aber da hatten ihn seine Parteifreunde in Berlin und in anderen Bundeslandern ohnehin schon weitgehend abgeschrieben. CDU-Generalsekretar Mario Czaja betonte schon am vergangenen Montag sehr deutlich, dass die Saarland-Wahl aus Sicht der Berliner Parteizentrale nur von landespolitischen Themen gepragt sei, also mit den Christdemokraten auf Bundesebene absolut nichts zu tun habe.
Die Genossen konnen feiern
Prominenz aus der Bundes-CDU liess sich bei den Wahlkampf-Abschlussveranstaltungen an der Saar daher nicht mehr blicken. In anderen Bundeslandern furchten Christdemokraten schon, dass die Schlappe im Saarland auf die Landtagswahlen in Schleswig-Holstein und Nordrhein-Westfalen im Mai ausstrahlen konnte.
Mit Rehlinger dagegen wollten sich zuletzt alle ihre Parteifreunde zeigen. Bundeskanzler Olaf Scholz kam ins Saarland, das SPD Fuhrungsduo Saskia Esken und Lars Klingbeil, aus dem Nachbarland Rheinland-Pfalz die Ministerprasidentin Malu Dreyer, Chefin einer Ampel-Regierung. Die Genossen konnen nun feiern, dass die erste Landtagswahl nach dem Machtwechsel in Berlin aus ihrer Sicht sogar noch besser lief als sie erwartet hatten. Manche von ihnen hatten die Idee, dass Anke Rehlinger eine weitere Ampel-Regierung auf Landerebene auf die Beine stellen konnte – schon um die Position des Regierungsbundnisses im Bundesrat zu starken.
Das wird nun weder notig noch moglich sein. Selbst wenn Rehlinger trotz absoluter Mehrheit noch mit einem Partner regieren wollte, sind FDP und Grune nun wohl mangels ausreichender Wahlerstimmen fur die Funf-Prozent-Hurde aus dem Rennen. Dabei hatte Rehlinger gerade bei der FDP schon fur eine mogliche Koalition vorgearbeitet. Mit dem Landesvorsitzenden der Liberalen, Oliver Luksic, hatte sie gemeinsame Termine gemacht, die Harmonie und Einigkeit in wichtigen Fragen wie der Verkehrspolitik demonstrieren sollten. Luksic ist derzeit Verkehrs-Staatssekretar in Berlin und wird dem Landtag nicht angehoren. Aber auch die saarlandische FDP-Spitzenkandidatin Angelika Hiesserich-Peter hat schon vor der Wahl deutlich gemacht, dass sie sich eine Regierungsbeteiligung unter Rehlingers Fuhrung durchaus vorstellen konne.
CDU muss sich neu aufstellen, erste Namen werden schon gehandelt
Auch die Grunen, die sich zu Beginn des Wahlabends noch ziemlich sicher im Parlament wahnten, haben es offensichtlich nun doch nicht geschafft. Rehlinger war ohnehin skeptisch, ob die zerstrittenen Saar-Grunen nach ihren innerparteilichen Querelen uberhaupt die notige Stabilitat fur eine verlassliche Regierungsbeteiligung mitbringen. Und Stabilitat, das betonte sie nach Schliessung der Wahllokale gleich in mehreren Interviews, sei ihr ebenso so wichtig wie ein belastbares Vertrauen zu den Personen, mit denen sie zusammenarbeitet.
Wahrend des Wahlkampfes hatte Rehlinger auch eine Fortsetzung der Grossen Koalition unter ihrer Fuhrung nie ausgeschlossen. Sie hatte sehr genau darauf geachtet, keine verbrannte Erde beim Koalitionspartner zu hinterlassen. Rehlinger schlug zwar einen kritisch-spottischen Ton gegen ihren direkten Konkurrenten Hans an, lobte aber stets auch die Zusammenarbeit mit der CDU.
Doch auch die Christdemokraten wird sie nun nicht brauchen. Und selbst wenn, wusste sie im Moment nicht einmal, mit wem sie dort verhandeln sollte. Tobias Hans hat zwar erklart, er werde personliche Konsequenzen aus der krachenden Niederlage ziehen. Aber die Details wollen die Christdemokraten erst ab Montagabend >>in den zustandigen Gremien<< klaren. Schwer vorstellbar, dass der abgewahlte Regierungschef danach noch eine tragende Rolle in der Saarland-CDU spielen wird.
Einige Namen fur die zwingende Neuaufstellung der Partei werden bereits gehandelt, etwa der von Stefan Toscani. Der 55-jahrige Landtagsprasident war vor vier Jahren schon mal im Gesprach, Regierungschef im Saarland zu werden, als die fruhere Ministerprasidentin Annegret Kramp-Karrenbauer unerwartet nach Berlin ging und einen Nachfolger fur die Staatskanzlei brauchte. Doch Kramp-Karrenbauer entschied sich damals fur Tobias Hans.