1. Gipfelgesprache

Genau heute vor einem Monat begann die russische Invasion der Ukraine. Seitdem haben viele Menschen, darunter KZ-Uberlebende und Kinder, ihr Leben verloren. Europa muss sich von alten Glaubenssatzen verabschieden, wie dem Vertrauen auf Wandel durch Handel, und zu neuer, auch militarischer Starke, finden.

Der heutige Dreiergipfel von Nato, G7 und EU zeige den Ernst der Lage, twitterte Bundeskanzler Olaf Scholz am Vormittag. >>Es zeigt aber auch unsere grosse Einigkeit und Entschlossenheit.<>Der Kurztrip des US-Prasidenten in die europaische Hauptstadt Brussel und nach Polen, der heute mit der Teilnahme Bidens am Nato-Gipfel offiziell beginnt, durfte die wohl wichtigste Reise eines US-Prasidenten nach Europa seit vielen Jahren sein<<, schreibt mein Kollege Roland Nelles, unser Korrespondent in Washington.

Laut Nato-Schatzungen soll Putin ein Funftel seiner Kampftruppen verloren haben. Dennoch griffen russische Truppen nach Angaben des ukrainischen Militars weiter zahlreiche Stadte und Gebiete in dem Land an – die westliche Geschlossenheit gegen Russland mag existieren. Nur Frieden bringt sie bislang nicht.

Wolodymyr Selenskyj hat sich deshalb an die Welt gewandt – erstmals auf Englisch: Er rief emotional zu weltweiten Demonstrationen auf. >>Russland versucht, die Freiheit aller Menschen in Europa zu besiegen, die Freiheit aller Menschen auf der Erde. Es geht nur um grobe, grausame Gewalt.<< Die Welt musse den Krieg stoppen. Nur wie?

Die Nato werde weitere Waffen an die Ukraine liefern, sagte Generalsekretar Jens Stoltenberg bei der Pressekonferenz im Anschluss an den heutigen Gipfel. Man werde Russland mit >>nie da gewesenen Kosten belegen<<.

Und hier weitere Nachrichten und Hintergrunde zum Krieg in der Ukraine:

• Bilanz des Schreckens: Einen Monat dauert Putins Uberfall auf die Ukraine nun schon an – mit schweren Verlusten auf beiden Seiten. Insgesamt sollen bis zu 40.000 russische Soldaten getotet, verletzt oder inhaftiert worden sein.

• Den Holocaust uberlebt – aber nicht Putins Krieg: Boris Romanchenko hat vier Konzentrationslager der Nazis uberstanden. Jetzt wurde er offenbar bei einem russischen Luftangriff in Charkiw getotet. Der ukrainische Prasident Selenskyj fand deutliche Worte.

• >>Treten Sie nicht an Ihre Fenster!<<: Yevgenia Belorusets liest Nachrichten von Stadten, die von russischen Truppen gezielt ausgehungert werden. Sie fragt sich: Droht Kiew dasselbe Schicksal? Fur den SPIEGEL beschreibt sie den Alltag in der umkampften Hauptstadt.

• Ihre Stadt ist besetzt – aber sie sind nicht besiegt: Die russische Armee brachte Cherson bereits Anfang Marz militarisch unter Kontrolle. Seitdem demonstrieren Menschen in der Stadt immer wieder – doch nun werden die Besatzer gewalttatiger. Eindrucke von Bewohnern.

• Wie schlagkraftig ist die Armee von Belarus? Die Spekulationen uber einen moglichen Kriegseintritt von Belarus an der Seite Russlands halten sich hartnackig. Was die Truppen von Diktator Lukaschenko bewirken konnten.

• Alle aktuellen Entwicklungen im News-Update.

2. Entlastung in Sicht

Die Zeit der guten Vorsatze ist vorbei. Eigentlich wollte die Ampelregierung nach den nervenzehrenden Koalitionsverhandlungen bis tief in die Nacht kunftig keine Sitzungen mehr im Mitternachtsmodus abhalten. Bei der Klarung der Frage, wie die Burger dieses Landes von der Last steigender Energiepreise befreit werden konnen, ging es nun offenbar nicht anders (hier mehr zu den mitunter ruppigen Nachtstunden). Erst gegen acht Uhr heute fruh einigte sich das Verhandlungsteam der Ampelparteien auf ein Entlastungskonzept:

• Die Deutschen sollen unter anderem im laufenden Jahr einmalig mit einer Energiepreispauschale von 300 Euro uber die Einkommensteuer entlastet werden.

• Empfanger von Sozialleistungen erhalten eine weitere Einmalzahlung von 100 Euro pro Person. Die Koalition will ausserdem fur 90 Tage ein Ticket fur neun Euro pro Monat fur den offentlichen Personennahverkehr einfuhren. Dazu sollen die Lander entsprechende Mittel bekommen, wie die Spitzen von SPD, Grunen und FDP am Donnerstag nach einem Koalitionsausschuss mitteilten.

• Familien sollen einen Einmalbonus in Hohe von 100 Euro pro Kind erhalten. Das Geld soll auf den Kinderfreibetrag angerechnet werden.

Laut Finanzminister Christian Lindner soll zudem der Spritpreis befristet auf drei Monate gesenkt werden, und zwar Benzin um 30 Cent je Liter und Diesel um 14 Cent pro Liter. Es gehe um eine Absenkung der Energiesteuern auf Kraftstoffe >>auf das europaische Mindestmass<<.

Mag sein, dass ich als Munchner Elektroauto-Besitzerin eine voreingenommene Sicht auf den fossilen Tankrabatt habe. Aber ich habe bislang nicht registriert, dass die Nachbarn mit den Dieselautos in der Garage mit ihren Handykameras emport zur nachsten Zapfsaule gerannt waren, um Protestvideos zu drehen. Eher ist es so, dass sich viele von ihnen ehrenamtlich an der zum Fluchtlingslager umfunktionierten Turnhalle bei uns im Viertel engagieren, bereitwillig einen Teil ihres Gehalts spenden und bis spat in die Nacht noch hektisch Telefonate fuhren, damit alle burokratischen Anforderungen an den Betrieb eines provisorischen Nachtlagers erfullt werden.

Die Burgerinnen und Burger, die ich kenne, rufen nicht nach Entlastungen, sondern belasten sich freiwillig. Vielleicht hatte die Politik ihre eigene Energie besser sparen sollen. Oder per Nachtschicht uber ein Ol- und Gas-Embargo gegen Russland beraten sollen.

Unter dem Eindruck des russischen Angriffskriegs gegen die Ukraine sprechen sich jedenfalls 67 Prozent der Deutschen dafur aus, dass Berlin sich bei internationalen Krisen weiterhin engagiert und nicht zuruckhalt – deutlich mehr als noch im September 2021, als der Wert bei nur 45 Prozent lag. Das zeigt eine Umfrage der Korber-Stiftung in Zusammenarbeit mit Kantar Public, die der SPIEGEL vorab auswerten konnte.

• Lesen Sie hier mehr: Deutsche wollen, dass ihr Land sich mehr in Krisen einmischt

3. Brandmauer zum Saarland

Womoglich regiert im Saarland, wo am Sonntag gewahlt wird, bald eine rote Ministerprasidentin und kein schwarzer Ministerprasident mehr. Laut Umfragen sieht es nicht gut aus fur Amtsinhaber Tobias Hans von der CDU. Eigentlich konnte er Wahlkampfunterstutzung des Bundesvorsitzenden Friedrich Merz gut gebrauchen. Der sagte einen fur heute geplanten Auftritt im Saarland allerdings ab, berichten meine Kollegen Sophie Garbe und Florian Gathmann.

Merz’ Begrundung: Er sei in Berlin wahrend der Haushaltswoche im Bundestag unabkommlich. CDU-Generalsekretar Mario Czaja war vor der Vorstandsklausur Anfang Februar fur zwei Tage im Saarland, zum Wahlkampffinale lasst auch er sich wegen der Haushaltswoche entschuldigen.

Es wirke so, schreiben die Kollegen aus dem SPIEGEL-Hauptstadtburo, >>als bastele man im Adenauer-Haus an einer Brandmauer zum Saarland, um ja nichts von der drohenden Niederlage abzubekommen<<. Eine Schlappe an der Saar wird die Arbeit von Parteichef Merz und seines Generalsekretars dennoch belasten. Zumal die Wahl der erste Stimmungstest seit der Bundestagswahl im September vergangenen Jahres ist und den Auftakt zu einem kleinen Superwahljahr bildet: Im Mai folgen die Wahlen in Schleswig-Holstein und Nordrhein-Westfalen, im Oktober wird dann noch in Niedersachsen gewahlt.

>>Je nachdem, welche der beiden Volksparteien im kleinen Saarland gewinnt, konnte sich daraus ein Trend fur die folgenden Wahlen ergeben<<, schreiben Sophie und Florian.

• Lesen Sie hier die ganze Geschichte: Angst vor dem Saar-Sog

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Was heute sonst noch wichtig ist

• IS-Ruckkehrerin zu sechseinhalb Jahren Haft verurteilt: Eine Frau aus Bad Oldesloe reiste mit ihrem Sohn nach Syrien. Der Teenager wurde Kampfer – und kam bei einem Bombenangriff ums Leben. Ein Hamburger Gericht sprach die Mutter nun der fahrlassigen Totung schuldig.

• Angeklagter bedroht Zeugen Deniz Yucel: Journalist Deniz Yucel erhielt Mails mit Todesdrohungen. Unterschrieben waren sie mit >>NSU 2.0<<. Vor Gericht konfrontierte er den Angeklagten mit weiteren Vorwurfen – und wurde daraufhin beleidigt.

• Lauterbach erwartet bei fehlender Impfpflicht neue Coronabeschrankungen im Herbst: Die Coronainfektionen in Deutschland sind auf einem Rekordhoch. Fur Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach gibt es nur einen Weg aus der Pandemie: die Impfpflicht. Die Opposition winkt ab.

• Um das Arbeitszimmer abzusetzen, muss es nicht zwingend fur den Job erforderlich sein: Wer ein Arbeitszimmer beim Finanzamt geltend machen will, muss nachweisen, dass der Arbeitgeber keinen anderen Platz zur Verfugung stellt. Das geht laut Bundesfinanzhof selbst dann, wenn man Flugbegleiterin ist.

• DFB wertet abgebrochene Bundesligapartie fur Monchengladbach: Die Bundesligapartie zwischen VfL Bochum und Borussia Monchengladbach wurde abgebrochen, weil ein Fan den Linienrichter mit einem Bierbecher bewarf. Das DFB-Sportgericht vergab die Punkte nun an Gladbach.

Was wir heute bei SPIEGEL+ empfehlen

• So leben Menschen ohne Wohnung: Hunderttausende Menschen in Deutschland haben kein eigenes Zuhause. Eine Studie zeigt nun: Ihre Lebenslage hat sich in den vergangenen Jahren tendenziell verschlechtert – doch ihr Optimismus ist ungebrochen.

• >>Ich weiss nicht, ob ich meine Kinder heute noch mal in eine Kita schicken wurde<<: Was tun, wenn der Traumjob nicht mehr auszuhalten ist? Diese Frage stellen sich immer mehr Erzieher. Vier berichten, warum sie uberlegen, ihren Beruf aufzugeben – oder das schon getan haben.

• >>Mit dem Krieg haben sich die Koordinaten verschoben<<: Die EU empfiehlt den Mitgliedstaaten, Brachflachen fur die Landwirtschaft freizugeben, die eigentlich dem Schutz der Artenvielfalt dienen sollen. Drohen negative okologische Auswirkungen?

Was heute weniger wichtig ist

Gold is a DJ: Goldman-Sachs-Chef David Solomon, 60, legt regelmassig bei Events als DJ auf – jetzt hat ihn auch das US-Rockfestival Lollapalooza gebucht, neben Acts wie Metallica, Dua Lipa, Doja Cat und Green Day. Seine Gage soll verschiedenen gemeinnutzigen Organisationen zugutekommen. Manche Musiker halten sein Engagement nach zwei Jahren Pandemie allerdings fur ein falsches Signal. DJ Joe Nice twitterte: >>Goldman Sachs hat 2021 wahrend einer Pandemie, bei der Millionen von Amerikanern ihren Job, ihre Krankenversicherung, ihre Ersparnisse und ihr Zuhause verloren, Rekordgewinne erzielt.<<

Tippfehler des Tages, inzwischen korrigiert: >>Zugleich plant die Regierung ein Entlastungspaket fur Verbraucher, unter anderem sollen die Burger mit 300 Euro Energiepauschale entlasten.<<

Cartoon des Tages: Rubel

Und heute Abend?

Folgende Aufforderung wirkt angesichts der aktuellen Corona-Rekordinzidenzen vielleicht etwas waghalsig: Aber gehen Sie doch mal wieder in eine Kneipe. So wie meine Kollegin Nora Gantenbrink. Sie hat einen tollen, aber auch sehr wehmutigen Nachruf auf die >>Daniela-Bar<>Jetzt stirbt sie wegen Corona – obwohl ihr Tresen gerade besonders gebraucht wird<<, schreibt Nora.

Ich habe kurzlich eine Omikron-Infektion trotz Dreifachimpfung und vielleicht auch dank Dreifachimpfung heil uberstanden. Deshalb freue ich mich heute Abend auf ein Treffen mit meinen Stammtischfreunden in einer Munchner Bar, in der vor Corona ein Klub beheimatet war, der leider nicht uberlebt hat. Vielleicht gibt es auch in Ihrer Heimat eine Kneipe, die Sie schon lange nicht mehr besucht haben? Gehen Sie doch mal wieder hin, bevor die Lichter dort fur immer ausgehen.

Einen schonen Abend. Herzlich

Ihre Anna Clauss

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