Noch vor zwei Jahren war die Nato klinisch tot.
So zumindest drückte es ein enttäuschter Emmanuel Macron aus, der mit seinem Statement vor allem für eine europäische Verteidigungspolitik warb. Für ein selbstbewussteres, autarkeres Europa, so unabhängig wie möglich von der Schutzmacht USA, auch militärisch. Viel passiert ist danach nicht.
Jetzt aber zwingen Putins Krieg und der russische Bruch aller internationalen Regeln die EU zum Handeln und zu einer selten beobachteten Einigkeit. Gleichzeitig erfährt die transatlantische Bündnissituation neue Relevanz – und zwar für beide Seiten.
»Der Abzug aus Afghanistan oder die plötzliche Zusammenarbeit der Amerikaner mit den Australiern und Briten im Bereich der nuklearen U-Boot-Entwicklung, wo Frankreich plötzlich rausgekegelt wurde, waren für die Europäer Schockmomente, weil man doch dachte, dass Joe Biden ein enger Partner Europas ist, der sich eng koordiniert«, analysiert Daniela Schwarzer, Exekutivdirektorin der Stiftung Open Society Foundations für Europa und Eurasien. »Und dieser Eindruck der fehlenden Koordinierung, der ist jetzt völlig weg, weil gegenüber Russland die Zusammenarbeit zwischen den USA und Europa wirklich sehr, sehr eng und nahtlos läuft.«
AdvertisementDaniela Schwarzer sieht einen entscheidenden Zeitraum gekommen, um die Bündnisse neu zu definieren. Denn die Haltung der EU zu den USA ist gleichzeitig auch eine Haltung der EU gegenüber China. Und das Verhältnis zur traditionellen Schutzmacht kann sich mit der nächsten Präsidentschaftswahl auch wieder verändern.
»Was die Europäer daraus lernen müssen, ist, dass die USA zwar unser wichtigster Alliierter sind und wir im Moment ohne die Amerikaner nicht verteidigungsfähig sind. Dass wir uns aber mittel- und langfristig nicht darauf verlassen dürfen, dass im Weißen Haus US-Präsidenten sitzen, die sagen, es ist im Sicherheitsinteresse der USA, Europa zu verteidigen«, befindet Daniela Schwarzer. »Das bedeutet für die Europäer, dass sie zum einen sich selbst besser schützen müssen. Und das bedeutet zum anderen, dass sie in der Nato, um die Allianz dauerhaft zu erhalten, für die Amerikaner ein attraktiver Partner werden müssen.«
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