des Tages: Ukraine, Corona, Olkrise //
Guten Abend, die drei Fragezeichen heute:
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Krieg oder Frieden – Was bedeutet das Patt zwischen der Ukraine und Russland?
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Burokratie – Scheitert die Corona-Impfpflicht an Papiermangel?
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Neue Olkrise – Warum werden Sonnenblumenol und andere Lebensmittel knapp?
1. Ergeben statt schiessen?
Knapp vier Wochen nach dem Angriff Russlands auf die Ukraine zeichnet sich eine Pattsituation ab. Unterhandler der beiden Lander haben fur heute eine neue Verhandlungsrunde per Videoschalte vereinbart. Olexij Arestowitsch, Berater von Wolodymyr Selenskyjs Buroleiter, sagte, weder die russische noch die ukrainische Seite hatten genug Kraft, um die Situation in die eine oder andere Richtung zu drehen.
Leider macht diese Lage einen schnellen Frieden nicht unbedingt wahrscheinlicher. Vermutlich wird der Krieg nur noch brutaler. Heute Nacht starben mindestens acht Menschen bei einer schweren Explosion in einem Einkaufszentrum in Kiew, die eine Uberwachungskamera filmte. Wer jetzt findet, die Ukrainer sollten sich besser ergeben statt zuruckzufeuern, sollte sich das vielleicht noch einmal uberlegen. Denn wenn das Recht des Starkeren um des lieben Friedens willen das Volkerrecht plotzlich obsolet macht, konnen die Despoten dieser Welt bald Panzer uber Grenzen rollen lassen wie Figuren auf einem Brettspiel.
Laut Aussenministerin Annalena Baerbock plant die EU eine Erhohung ihrer Finanzhilfe fur die Ukraine zur Beschaffung von Waffen auf eine Milliarde Euro. Die Bundesregierung hat ausserdem angekundigt, der Ukraine weitere Waffen zu liefern.
Uber Waffen, die ihre Sprengkraft ohne Blutvergiessen entfalten konnen, haben meine Kollegen Monika Bolliger und Christoph Scheuermann mit Ukraines Digitalminister Mykhailo Fedorow gesprochen. Er befehligt eine Art Hackerarmee und findet, besonders deutsche Firmen konnten noch viel mehr tun, um die Ukraine auf digitaler Ebene zu unterstutzen. Zum Beispiel konnten sie den russischen Markt verlassen.
>>Ganz besonders SAP kann mehr tun<<, sagt Fedorow. >>Sie sind das Ruckgrat von staatlichen Betrieben und Banken, sie machen Profit in Russland und zahlen Steuern, die den Krieg finanzieren.<<
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Lesen Sie hier mehr: >>Als die Invasion begann, haben wir zum Gegenangriff ausgeholt<<
Und hier weitere Nachrichten und Hintergrunde zum Krieg in der Ukraine:
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Oligarchen konnen eingefrorene Guter in Deutschland noch nutzen: Einfrieren ist nicht beschlagnahmen – dieser Grundsatz gilt auch fur russische Superreiche unter EU-Sanktionen. Sie konnen weiter ihre Wohnungen nutzen oder ihre Autos fahren, stellte die Bundesregierung klar.
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Kreml sperrt sich gegen direktes Treffen von Putin und Selenskyj: Mehrmals haben sich Delegationen aus Russland und der Ukraine zu Verhandlungen getroffen. Der ukrainische Prasident Selenskyj will ein Gesprach direkt mit Putin. Der Kreml wiegelte nun ab – und stellte neue Forderungen.
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Wie wir versuchen, uns unsichtbar zu machen: Explosionen, Feuerblitze, heulende Sirenen: Die Angriffe auf Kiew gehen weiter, viele Bewohner schutzen sich mit Decken und Laken. Die Autorin Yevgenia Belorusets beschreibt fur den SPIEGEL den Alltag in der umkampften Hauptstadt.
2. Hurdenlauf
Seit gestern gilt das neue Infektionsschutzgesetz. Viele Coronamassnahmen fallen ab sofort oder in den nachsten Wochen weg. Mein Sohn zum Beispiel sass heute zum ersten Mal in diesem Jahr ohne Mundschutz im Klassenzimmer einer Grundschule in Bayern. Ich wurde mich gerne daruber freuen, bin aber auch besorgt. Denn die Inzidenz in Munchen betragt laut RKI derzeit rekordverdachtige 1.751.
Die Ampel hat sich den denkbar schlechtesten Moment fur Lockerungen ausgesucht. SPD und Grune seien vor der FDP und ihrer Forderung nach einem >>Freedom Day<< eingeknickt, findet meine Kollegin Milena Hassenkamp aus dem SPIEGEL-Hauptstadtburo.
Uber den Krieg werde die zweite grosse Krise schlicht vergessen, findet Milena. Bayerns Gesundheitsminister Klaus Holetschek spricht im SPIEGEL-Interview von einem >>faulen Kompromiss<>Ich hore immer wieder von Pflegekraften, dass jetzt 100 Milliarden in die Verteidigungsfahigkeit des Landes gesteckt werden, was aus meiner Sicht auch vernunftig ist. Aber wo ist der grosse Wurf fur die Pflege, mit dem man auf die Coronapandemie reagiert? Wir brauchen Taten – wir mussen das System reformieren.<<
Meine Kollegen Jan Friedmann und Katherine Rydlink haben den bayerischen Gesundheitsminister ausserdem gefragt, ob er glaube, dass wenigstens die Corona-Impfpflicht bald komme: >>Wenn ich mir die Debatten im Bundestag anschaue, dann wird das schwierig.<<
Die absurdeste Hurde auf dem Weg zu einem verpflichtenden Coronaschutz fur alle Burger dieses Landes hat heute allerdings der Spitzenverband der gesetzlichen Krankenkassen (GVK) aufgestellt. Weil in Europa >>akuter Papiermangel<< herrsche, halten die gesetzlichen Krankenkassen die geplante Impfpflicht fur nicht umsetzbar – unter anderem, weil die Versicherten ohne Papier nicht angeschrieben werden konnten.
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Lesen Sie hier mehr: Krankenkassen haben zu wenig Papier fur Umsetzung der Impfpflicht
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Das komplette Interview mit Klaus Holetschek finden Sie hier: >>Dieses Gerede von der Freiheit, da zucke ich zusammen<<
3. Die neue Olkrise
Sonnenblumen als Symbol fur Frieden und okologische Harmonie kannte man bisher von Parteitagen der Grunen. Seit dem russischen Angriffskrieg auf die Ukraine stehen die leuchtenden Riesenblumen nun symbolhaft auch fur Krise, Verzicht und Angst.
Deutschland deckt seinen Sonnenblumenolbedarf zu 94 Prozent durch Importe – die meisten davon kommen aus der Ukraine und Russland. Eigentlich wurden die Samen der begehrten Pflanze jetzt ausgesat, die Ernte ware dann im Herbst. Aber ob es dieses Jahr uberhaupt soweit kommt, dass die Sonnenblumen ihre Kopfe reif hangen lassen?
Der Run auf Ol in den deutschen Supermarktregalen ist jedenfalls schon jetzt zu spuren. >>Wer einkaufen geht, stellt fest, dass mancherorts auch andere Lebensmittel knapp werden<<, schreiben meine Kollegen Maria Marquart und Tim Spark.
Metro zum Beispiel hat nach eigenen Angaben >>vorubergehend eine maximale Abgabemenge auf einzelne Produkte festgelegt<<, darunter auch Mehl. In Deutschland konnte ab dem Herbst ausserdem Senf knapp werden, weil fast 80 Prozent der hierzulande importierten Senfsaaten aus Russland und der Ukraine kommen.
Doch auch wenn es im Supermarkt mal ausverkauft ist, bestehe fur Verbraucher in Deutschland kein Grund zur Panik, sagt Marktanalystin Wienke von Schenck von der Agrarmarkt Informations-Gesellschaft (AMI GmbH). >>Ol wird eher teurer als knapp.<<
Auch Agrarminister Cem Ozdemir ruft die Burger dazu auf, verantwortungsvoll einzukaufen. >>Niemand muss etwas zu Hause hamstern, weder Klopapier noch Sonnenblumenol. Das wurde erst recht dafur sorgen, dass die Preise durch die Decke schiessen und die Handler gewisse Produkte rationieren<<, sagte Ozdemir dem SPIEGEL.
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Lesen Sie hier mehr: >>Weniger Fleisch zu essen, ware ein Beitrag gegen Putin<<
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Was heute sonst noch wichtig ist
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Flugzeugabsturz in China – Rettungskrafte schlagen sich zur Unglucksstelle durch: Nach dem Absturz einer Boeing 737 im Suden Chinas mussen die Einsatzkrafte in der bergigen Region zunachst einen Waldbrand loschen. Es gibt nur wenig Hoffnung, dass einer der 132 Menschen an Bord uberlebt hat.
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Whistleblowerin belastet Boris Johnson wegen umstrittener Tierrettung: Nach der Machtubernahme der Taliban warteten viele Ortskrafte vergeblich auf Rettung. In einem der letzten Fluge aus Kabul sassen statt Menschen Hunde und Katzen. Premier Johnson behauptet, nichts gewusst zu haben.
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Angeklagter legt uberraschend Gestandnis ab: Zwei junge Manner sollen eine Familie in Starnberg ermordet haben. Einer der beiden hat die Tat nun vor Gericht gestanden, der andere weist weiterhin jede Verantwortung von sich.
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Todlicher Bootsunfall auf dem Gardasee – zwei Deutsche zu Haftstrafen verurteilt: Sie krachten in ein Holzboot und fuhren einfach weiter: Zwei Deutsche haben auf dem Gardasee den Tod zweier Menschen verursacht. Ein Gericht in Brescia sprach sie nun schuldig.
Meine Lieblingsgeschichte heute: Mein Punk
Foto:
Philipp Horak
Nicht nur, weil heute Welt-Down-Syndrom-Tag ist, mochte ich Ihnen die wunderbare Foto-Story >>Zehn Jahre mit Emma-Lou<< sehr ans Herz legen. Meine Kollegin Nike Laurenz hat mit Philipp Horak gesprochen, der Vater eines Madchens mit Down-Syndrom ist. Besonders gut hat mir sein folgender Satz uber seine Tochter gefallen: >>Sie ist neugierig und ziemlich anarchisch. Sie schaut einen immer direkt an.<<
Er musse manchmal daran denken, was fur ein Gefuhl man uns im Krankenhaus gab, als Emma-Lou zur Welt kam, erzahlt der Fotograf Philipp Horak: >>Diese betroffenen Blicke, das Schweigen. Dieses Gefuhl: Irgendwas stimmt hier nicht. Mittlerweile weiss ich: Das, was nicht stimmte, war nicht unser Kind. Ich kann im Nachhinein gar nicht glauben, dass uns niemand im Kreisssaal zu dieser guten Geburt und unserer Tochter begluckwunscht hat. Dass niemand gesagt hat: >>Da ist die Kleine, und schauen Sie mal, wie wunderbar sie ist!<< Denn genau das hatten wir alle denken sollen, als Emma Lou geboren wurde.<<
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Lesen Sie hier die ganze Geschichte: Mein Punk
Was wir heute bei SPIEGEL+ empfehlen
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Warum konnen die Russen die ukrainischen Drohnen nicht stoppen? Die Ukrainer setzen die turkische Kampfdrohne TB-2 ein, sie hat den russischen Streitkraften schwere Verluste zugefugt. Wieso Putin sich mit dem Ringen um die Luftuberlegenheit so schwer tut.
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>>Als die Invasion begann, haben wir zum Gegenangriff ausgeholt<<: Mykhailo Fedorow ist Teil der jungen, technologieaffinen Selenskyj-Regierung. Im Konflikt mit Russland setzt er auf digitale Kriegsfuhrung – >>die Resultate sind uberwaltigend<<.
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Kommt jetzt der grosse Elektroboom? Als Rettung vor russischem Ol und teurem Sprit konnte die Stunde der Elektroautos schlagen. Tatsachlich steigt das Interesse rasant. Waren da nur nicht die langen und langeren Lieferzeiten der meisten Modelle.
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Was Sie von Borsenprofis wie Warren Buffett lernen konnen: Value-Investoren suchen gezielt nach unterbewerteten Aktien und setzen dabei auf die Analyse von Kennzahlen. Auch Privatanleger konnen diese Strategie nutzen – doch sie hat Grenzen.
Was heute weniger wichtig ist
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Lorna Goldstrand Klefsaas hat ihrem Sohn Sivert an seinem zwolften Geburtstag ein Angebot gemacht: 1800 US-Dollar fur sechs Jahre ohne Instagram, Snapchat, TikTok und andere Social-Media-Plattformen. >>Ich dachte, ich konnte mir von dem Geld ein Haus kaufen<<, erzahlte Sivert meiner SPIEGEL-Kollegin Kristin Haug. Sie hat ihn gefragt, wie die letzten Jahre gelaufen sind und was er sich nun von dem Geld kaufen wird. So viel sei verraten: Als er an seinem 18. Geburtstag aufgewacht ist, hat sich Sivert als Erstes einen Instagram-Account zugelegt.
Tippfehler des Tages, inzwischen korrigiert: Der Spitzenverband der gesetzlichen Krankenkassen (GKV) erklarte in einer Stellungsnahme dagegen, die geplante allgemeine Impfpflicht sei nicht umsetzbar – unter anderem aus Papiermangel.
Cartoon des Tages: Energie sparen
Und heute Abend?
Wenn nur Loriot noch leben wurde. An den von ihm verkorperten Einkaufsleiter im Vorruhestand, der an seinem letzten Arbeitstag Schreibmaschinenpapier und Radiergummis fur die nachsten 40 Jahre mit einer Preisersparnis von 50 Prozent einkauft, musste ich heute jedenfalls denken. Als ich die Nachrichten vom Papiermangel bei den gesetzlichen Krankenkassen und dem Mehlmangel und Sonnenblumenolmangel in den Supermarktregalen las. (Sehen Sie hier den beruhmten Ausschnitt aus >>Pappa ante portas<<.)
Loriots Filmklassiker ist aus dem Jahr 1991, derzeit zu sehen auf Netflix. Ich werde ihn mir heute Abend anschauen und auswendig mitsprechen, wenn es heisst: >>Mein Name ist Lohse, ich kaufe hier ein.<<
Einen schonen Abend. Herzlich
Ihre Anna Clauss
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