: Robert Habeck, Grune, Katar, Russland-Ukraine-Krieg, Kardinal Rainer Maria Woelki //
Liebe Leserin, lieber Leser, guten Morgen,
heute geht es um das moralische Dilemma der Grunen beim Gaseinkauf, um mehr EU-Geld fur Waffen in der Ukraine und um die sonderbare Ruckkehr von Kardinal Woelki.
Moral ist relativ
Es ist das Bild, das die Absurditat des Augenblicks so deutlich macht: Da sitzt der grune Vizekanzler Robert Habeck auf einem Sofa, links neben ihm der katarische Minister fur Handel und Industrie und seine Mitarbeiter auf goldfarbenen Stuhlen.
AdvertisementDas Bild macht deutlich, wer der Bittende ist, wer der Gebende.
Wenig spater wird Habeck verkunden, man habe >>grossartigerweise<< eine langfristige Energiepartnerschaft zwischen beiden Landern vereinbart. Heute reist der Wirtschafts- und Klimaminister weiter in die Vereinigten Arabischen Emirate.
Es geht darum, moglichst schnell moglichst viel Gas einzukaufen, um sich moglichst schnell moglichst radikal von Russlands Gasversorgung unabhangig zu machen. Koste es, was es wolle – und sei es fur den Preis der Moral.
Bittender und Gebender: Habeck und Scheich Mohammed bin Hamad bin Kasim al-Abdullah Al Thani, Minister fur Handel und Industrie von Katar
Foto: Bernd von Jutrczenka / dpa
Katar ist ein Land, das Menschenrechte nur bedingt achtet, auch wenn sich durch die Debatte uber die Fussball-WM einiges verbessert hat. Homosexualitat ist laut Gesetz in dem Land aber noch immer verboten, auf der Rangliste der Pressefreiheit von >>Reporter ohne Grenzen<< rangiert Katar seit Jahren im hinteren Feld.
Nun also ein gruner Minister, der sich als >>Turoffner<< fur deutsche Geschafte mit diesem Staat feiern lasst; es geht auch um die Zukunft, um erneuerbare Energien
Klar, es ist ein Unterschied, ob Deutschland mit einem Land Handel treibt, das einen blutigen Angriffskrieg in Europa begonnen hat, oder mit einer Regierung, die unser Verstandnis von Freiheit nicht recht teilen mag. Und doch wird klar: Die von Kanzler Olaf Scholz angekundigte Zeitenwende – sie trifft die Grunen und ihre politischen Prinzipien besonders hart. Erst Waffenlieferungen in ein Kriegsgebiet, dann Zustimmung zu einer massiven Aufrustung des Landes, nun der Gasdeal mit fragwurdigen Regimen.
Plotzlich weicht die Moral unbarmherziger Realpolitik, plotzlich werden Werte neu justiert. Alles ist auf einmal relativ.
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Der Minister beim Emir: Habeck auf Shoppingtour
EU: Mehr Geld, mehr Waffen
Fast vier Wochen ist es nun her, dass Putin seinen Angriffskrieg in der Ukraine startete. Die internationale Diplomatie steht – zu Recht – noch immer unter Adrenalin. Heute treffen sich in Brussel die Aussen- und Verteidigungsminister der EU, von einem Aussenrat im >>Jumbo-Format<< ist die Rede.
Zwischen Geheimhaltungs- und Transparenzpflicht: Verteidigungsministerin Lambrecht
Foto: POOL/REUTERS
Es geht um die Beurteilung der aktuellen Situation des Kriegs, um mogliche Szenarien fur sein Ende, um die Lage und Versorgung der Gefluchteten.
Die Hoffnung, mit der grossen Solidaritat fur die fliehenden Ukrainerinnen und Ukrainer konnte sich der ewige Streit um eine gerechte Verteilung von Gefluchteten innerhalb der EU bald erledigt haben, ist allerdings trugerisch – wie meine Kollegen Ralf Neukirch und Markus Becker festgestellt haben. >>Uber die Verteilung der Menschen gibt es in der EU bisher kaum eine Diskussion<<, sagte Luxemburgs Aussen- und Migrationsminister Jean Asselborn meinen Kollegen. >>Das ist bisher alles dem Zufall und der Hilfsbereitschaft der Menschen in der EU uberlassen.<<
Bei dem heutigen Treffen wollen die Minister auch das neue sicherheitspolitische Konzept der EU beschliessen, den sogenannten >>Strategischen Kompass<<. Daruber diskutiert man in Brussel schon seit zwei Jahren, dringender als jetzt konnte die Debatte kaum sein.
Vor allem aber werden die Ministerinnen und Minister die Frage diskutieren, wie sie der Ukraine weiter helfen konnen. Die Mitgliedstaaten wollen weitere 500 Millionen Euro EU-Gelder fur Waffen- und Ausrustungslieferungen an die Ukraine geben, nachdem die EU bereits Ende Februar 500 Millionen bewilligt hatte. Dies hatten wir bereits am Freitag exklusiv berichtet.
Die Hilfe ist dringend notig, auch deshalb, da die Waffen, die etwa Deutschland liefern lassen wollte, zum Teil gar nicht einsatzfahig waren, wie wir bereits berichtet haben.
Zu Details der Lieferungen schweigt Verteidigungsministerin Christine Lambrecht – aus Geheimhaltungsgrunden. Man will Russland nicht allzu viel offenbaren, sonst konnten diejenigen, die Waffen transportieren, in Lebensgefahr sein, sagte Lambrecht gestern bei >>Anne Will<<. Aus diesem Grund wurden auch Uberwachungskameras an Autobahnen abgeschaltet, die den Transport von Waffen zeigen und die womoglich gehackt werden konnten.
Eine derartige Geheimhaltung ist ohne Frage sinnvoll, einerseits. Andererseits haben Parlament und Offentlichkeit ein Recht darauf zu erfahren, wie konkret die Bundesregierung der Ukraine hilft (oder auch nicht) – und ob die Klagen der Ukraine, wonach Deutschland zu wenig liefere, berechtigt sind. Die Ministerin sollte einen Weg finden, der beiden Bedurfnissen gerecht wird.
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Waffenlieferungen an die Ukraine: Das Problem mit den >>Strela<<-Raketen
Lahme Kirche
Zwei Ereignisse an einem Tag.
In Munchen ladt das Erzbischofliche Ordinariat zu einer Veranstaltung namens >>Betroffene horen<< ins Kunstlerhaus am Lenbachpatz ein. Man will sich >>kunstlerisch und sachlich<< mit sexuellem Missbrauch in der katholischen Kirche auseinandersetzen. Vor zwei Monaten hatte ein Missbrauchsgutachten hohe Welle geschlagen: Es hatte unter anderem schwere Versaumnisse von Papst Benedikt XVI. und Kardinal Friedrich Wetter wahrend ihrer Zeit als Erzbischofe in Munchen und Freising offenbart.
Aus mit der Auszeit: Kardinal Woelki, hier auf dem Weg zur Fruhjahrs-Vollversammlung der Deutschen Bischofskonferenz
Foto: Nicolas Armer / dpa
In Koln tritt ein gewisser Rainer Maria Woelki erstmals wieder offentlich auf, nach funf Monaten Auszeit. Der Kardinal war ebenfalls wegen seines fahrlassigen Umgangs mit Missbrauchsfallen in die Kritik geraten, sein Festhalten am Amt veranlasste Tausende Menschen, die Kirche zu verlassen. Woelki hatte zuletzt dem Papst seinen Rucktritt angeboten, der Papst aber hat daruber noch nicht entschieden. Und so legt Woelki heute feierlich den Grundstein fur ein neues Gebaude des Erzbischoflichen Bildungscampus.
Betroffene durfen ihr Leid kunstlerisch ausdrucken, ein Kardinal macht business as usual – das war’s?
Ich habe einen grossen Teil meiner Jugend in kirchlichen Gruppen verbracht. Ich war auf Zeltlagern, habe mit anderen uber Bibeltexte gestritten und im Gottesdienst versucht, E-Gitarre zu spielen. Es war alles ziemlich grossartig.
Bis zuletzt habe ich die katholische Kirche verteidigt, trotz der vielen sonderbaren Entwicklungen, die sie in den vergangenen Jahren genommen hat. Ich habe Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter dieser Kirche erlebt, darunter auch viele Pfarrer, die es sehr ernst meinten mit der Weitergabe der frohen Botschaft und mit ihrer Sorge fur Menschen, die es nicht so einfach haben in dieser Gesellschaft. Fur mich waren sie das strahlende Fundament der katholischen Kirche.
Allerdings fallt es mir zunehmend schwer, diese Kirche zu verteidigen.
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>>Das Erzbistum wurde implodieren<<: Kirchenrechtler Thomas Schuller uber Woelkis Rucktrittsangebot
Achtung – Verlosung!
Ich bewundere zutiefst meine Kolleginnen und Kollegen, die seit knapp vier Wochen aus der Ukraine berichten. Sie begeben sich selbst in Gefahr, um uber die Gefahren fur andere zu schreiben. Sie mussen psychisch viel ertragen, wenn sie das Mass an Zerstorung sehen; aber auch, wenn sie mit Angehorigen von Kriegsopfern sprechen oder mit Muttern, die mit ihren Kindern auf der Flucht sind.
Zwei von ihnen, Reporterin Alexandra Rojkov und Christian Esch, der Chef des Moskauer SPIEGEL-Buros, beantworten SPIEGEL-Leserinnen und Lesern am morgigen Dienstag um 18 Uhr, Fragen uber ihre Arbeit. Die Veranstaltung >>SPIEGEL Backstage<< ist eigentlich exklusiv fur Abonnentinnen und Abonnenten, aber wir verlosen zehn freie Zugange fur Leserinnen und Leser, die kein Abo haben. Schreiben Sie einfach eine Mail an: info@events.spiegel.de, Betreff: SPIEGEL Backstage Verlosung. Einsendeschluss ist heute um 12 Uhr. Ich wunsche Ihnen viel Gluck!
Gewinner des Tages…
… ist fur mich die osterreichische Regierung, die zwei Wochen, nachdem sie die Maskenpflicht in Innenraumen abgeschafft hat, sie nun wieder einfuhrt. In Osterreich waren die Infektionszahlen rasant gestiegen, mit den bekannten Folgen: Unzahlige Menschen fallen im Berufsleben aus, weil sie in Quarantane sind, was zu ernsthaften Problemen fuhrt, etwa in Krankenhausern, bei der Polizei oder der Feuerwehr.
Ich finde es sympathisch, wenn die Politik eine Entscheidung revidiert, weil sie erkannt hat, dass sie falsch ist.
Ich finde den Schritt aber auch inhaltlich richtig. Das Tragen einer Maske gehort, zumindest fur Erwachsene, zu den Einschrankungen, die am leichtesten zu verschmerzen und zugleich am effektivsten sind. Deshalb ist es mir unbegreiflich, warum die Ampelkoalition auch hierzulande trotz hoher Infektionszahlen jetzt schon auf die Masken – mit Ausnahme in Bus, Bahn und an Orten wie Krankenhausern – verzichten will. Warum nicht in vier, sechs, acht Wochen?
Vielleicht hatte mal jemand in Wien anrufen sollen.
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Ich wunsche Ihnen einen guten Start in den Tag und die Woche!
Martin Knobbe