Liebe Leserin, lieber Leser, guten Morgen,
heute geht es um das Sondervermögen für die Bundeswehr, um eine Zugfahrt, um die Zwanzigerjahre, um Südkorea und um Goldene Visa.
Heute geht es um das Sondervermögen für die Bundeswehr, um eine Zugfahrt, um die Zwanzigerjahre, um Südkorea und um Goldene Visa.
Abschrecken, rüsten
Wer vorher keine Diskussionen will, bekommt sie hinterher. Das ist eine Regel der Demokratie, deren Wirksamkeit Gerhard Schröder bei der Agenda 2010 erleben durfte, Angela Merkel bei ihrer Flüchtlingspolitik. Nun ist Olaf Scholz an der Reihe. Sein Sondervermögen für die Bundeswehr war eine Überraschung für seine Koalition, nun ist es umstritten.
AdvertisementOlaf Scholz
Foto: CLEMENS BILAN / POOL / EPA
Manche Grüne und Sozialdemokraten wollen Teile des Geldes lieber für die Energiesicherheit oder andere Projekte verwenden. In meinen Augen wäre das ein Fehler. Was jetzt nicht mehr bezweifelt werden kann: Wladimir Putin führt einen brutalen Kampf gegen Freiheit und Demokratie. Pazifistische Optionen haben sich damit weitgehend erledigt. Wer künftige Kriege verhindern will, muss mit Worten freundlich bleiben, aber mit Waffen abschrecken, also stärker rüsten als bisher, so bitter das ist.
Scholz hat das richtig erkannt. Heute empfängt er in Berlin den kanadischen Premierminister Justin Trudeau, um die Einigkeit des Westens zu demonstrieren.
Flüchtlinge
ICE 952 von Berlin nach Köln, gestern Morgen kurz vor zehn Uhr, 1. Klasse. Gedränge beim Einstieg, ein paar Waggons fehlen, das übliche DB-Chaos. Eine fünfköpfige Familie mit vielen Taschen und Tüten hat sich auf Plätze gesetzt, die andere reserviert haben. Sie sprechen kein Deutsch, sehen müde aus, wollen nicht weichen. Der Schaffner kommt, überprüft ihre Tickets.
Flüchtlinge aus der Ukraine in Frankfurt (Oder)
Foto: Soeren Stache / dpa
»Sie haben zweite Klasse gebucht«, sagt er, »Sie müssen in einen anderen Waggon.«
»Ukraine, Ukraine«, sagt die Frau.
»Second class«, sagt der Schaffner.
Die Familie rafft ihre Sachen zusammen, zieht weiter.
Aber damit ist diese kurze Geschichte nicht zu Ende. In Köln, wo die Geflüchteten mit großer Verspätung ankommen, erwarten sie Helfer in Signalwesten mit blaugelben Schildern. Über die Lautsprecher laufen Ansagen in Ukrainisch. Willkommenskultur Teil zwei.
Der Innenausschuss des Bundestags wird sich heute in einer Sondersitzung mit den Folgen der Zuwanderung aus der Ukraine befassen.
Die Zwanzigerjahre, damals und heute
Für die Deutschen sind die Zwanzigerjahre des 20. Jahrhunderts ein Mythos. Sie sind vor allem als Goldene Zwanziger in der Erinnerung verankert. Dabei begannen sie fürchterlich. Ein Putschversuch in Berlin, bürgerkriegsartige Kämpfe im Ruhrgebiet, Hyperinflation. Erst 1924 stabilisierte sich die Weimarer Republik, aber die halbwegs guten Zeiten waren mit Ausbruch der Weltwirtschaftskrise Ende 1929 schon vorbei.
Zu Beginn unserer Zwanzigerjahre wurde viel darüber spekuliert, ob sich die Geschichte irgendwie wiederholen könne. Im März 2022 muss man sagen, dass die Dekade kaum schlechter hätte anlaufen können. Erst die Pandemie, jetzt Putins Krieg in der Ukraine. Ob es 2024 besser wird? Die Geschichte ist in dieser Hinsicht nicht verlässlich. Zum Glück, denn 1929 begann der Weg in die wohl größte Katastrophe der Menschheit.
Offene Wahl
In paranoiden Minuten zähle ich die Demokratien, auf die man sich in einer kommenden großen Auseinandersetzung mit den autoritären Staaten verlassen kann. Nach einer gängigen Definition ist das entscheidende Kriterium für eine Demokratie, dass ein friedlicher Machtwechsel durch Wahlen möglich ist.
Wahlplakate in Seoul
Foto: KIM HONG-JI / REUTERS
In dieser Hinsicht sind die Präsidentschaftswahlen in Südkorea heute ein Lichtblick. Personell ist der Machtwechsel institutionalisiert, da ein Präsident nur eine Amtszeit absolvieren darf. Darüber hinaus gibt es eine eher linke Partei, die Demokraten, und eine eher rechte, die Konservativen, die um die Macht konkurrieren. Der Wahlausgang ist offen. Südkorea ist auf meiner Liste.
Verlierer des Tages…
Küste in Zypern
Foto: Petros Karadjias / AP
…sind, hoffentlich, jene Leute, die sich mit sogenannten Goldenen Visa in die Europäische Union einkaufen wollen. Einige Mitgliedsländer verticken Staatsbürgerschaften für mindestens sechsstellige Beträge. Früher war das vor allem Zypern, derzeit ist Portugal groß im Geschäft.
Das EU-Parlament will heute das Ergebnis einer Abstimmung vorlegen, die solche Praktiken verurteilen soll. Diese spezielle Willkommenskultur ist beschämend für die EU, die arme Geflüchtete, sind sie nicht Ukrainer, mit aggressiven Mitteln abwehrt.
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Ich wünsche Ihnen einen guten Start in den Tag.
Ihr Dirk Kurbjuweit