dymir Selenskyj per Videoschalte im Bundestag: … und um 9.53 Uhr herrscht schon wieder deutscher Parlamentsalltag //
>>Herr Bundeskanzler Scholz, zerstoren Sie diese Mauer<<: Emotional wendet sich der ukrainische Prasident Wolodymyr Selenskyj an den Bundestag. Und dann? Folgte eine wurdelose Debatte uber die Tagesordnung.
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Es soll ein historischer Tag werden. Live wird der ukrainische Prasident Wolodymyr Selenskyj in den Bundestag zugeschaltet, aus der umkampften Hauptstadt Kiew. Die Abgeordneten, diesmal in grosser Zahl aus allen sechs Fraktionen erschienen, haben kaum Platz genommen, da verkundet Vizeparlamentsprasidentin Katrin Goring-Eckardt von den Grunen eine Verzogerung.
8.59 Uhr zeigt in diesem Moment die digitale Uhr uber einem der beiden Bildschirme, auf denen der Prasident sprechen soll. Man musse noch >>einige Minuten<>unmittelbarer Nahe einen Anschlag gegeben<< habe.
Der Gerauschpegel im Plenarsaal steigt an, auf der Ehrentribune tippt der ukrainische Botschafter Andrej Melnyk in sein Handy. Neben ihm hat der polnische Vizeaussenminister Platz genommen, auch Altbundesprasident Christian Wulff sitzt auf der Tribune.
Um 9.05 Uhr schliesslich wird Selenskyj zugeschaltet, mude sieht er aus, winkt. Alle Abgeordneten im Plenum stehen auf, applaudieren lange. Dann spricht zunachst die Vizeprasidentin Goring-Eckardt, fur die an Corona erkrankte Bundestagsprasidentin Barbel Bas. >>Wir sehen euch, wir sind in Gedanken bei euch und bei denen, die um euch trauern<<, sagt Goring-Eckardt.
Vierte Rede vor einem westlichen Parlament
Viele Menschen in den Nachbarlandern der Ukraine und auch Deutschland wurden helfen, wo sie konnen, >>sammeln Spenden, organisieren Hilfslieferungen, kummern sich um die Kriegsfluchtlinge<>dass neben menschlicher Solidaritat eine entschlossene Politik notwendig ist<<.
Der russische Prasident habe mit seinem Krieg >>auch unsere Friedensordnung angriffen<<, Wladimir Putin wolle der Ukraine >>eine eigene Geschichte<>Doch damit ist er schon jetzt gescheitert<<, die Ukrainerinnen und Ukrainer seien geeinter und entschlossener als je zuvor, zeigten jeden Tag, wie stark ihr Freiheitswille sei. Dieser Krieg musse beendet werden, Russland seine Truppen aus der Ukraine abziehen. Die Welt stehe der Ukraine bei, >>Deutschland steht an Ihrer Seite<<, sagt die Grunenpolitikerin.
Eines aber meidet Goring-Eckardt: keine Aussage zu Waffenhilfen. Gerade das aber verlangt die Ukraine in diesen Tagen am starksten, um wenigstens eine Chance bei dem Versuch zu haben, mit Moskau eine diplomatische Losung zu erzielen. Erst am Vortag hat der US-Prasident Waffenhilfen in Hohe von 800 Millionen Dollar bekannt gegeben.
Dann spricht Selenskyj, es ist seine mittlerweile vierte Rede vor einem westlichen Parlament in kurzester Zeit, am Vortag hat er zum US-Kongress gesprochen, davor zum kanadischen Parlament, zum britischen Unterhaus, alles per Videoschalte.
Was also wird Selenskyj dem Bundestag in Berlin sagen? Mehr Waffenlieferungen verlangen, eine Flugverbotszone? Der ukrainische Prasident meidet an diesem truben Wintermorgen, der uber der deutschen Hauptstadt liegt, solche Worte.
Es ist eine Ansprache, die dennoch nichts an Deutlichkeit vermissen lasst. Seine Rede dreht sich um das fruhere Symbol der deutschen und europaischen Teilung in Berlin, die Mauer, sie dient ihm als Metapher, die er mit der Gegenwart verknupft, um die deutsche Politik in die Pflicht zu nehmen.
Fruh habe die Ukraine darauf hingewiesen, dass schon die umstrittene russisch-deutsche Pipeline Nord Stream 2 ein Mittel des Krieges sei. >>Das war traurig fur uns<>Wir haben den Widerstand verspurt, wir haben gespurt, Sie wollen die Wirtschaft, Wirtschaft, Wirtschaft weiter fortfuhren<>Sie befinden sich irgendwie wieder in der Mauer<<, sagt Selenskyj, die Mauer entstehe durch jede Entscheidung, die nicht getroffen werde, um Frieden zu schaffen.
Ganz vorn in der Regierungsbank, hinter ihren Schutzmasken, sitzen Kanzler Olaf Scholz, Wirtschaftsminister Robert Habeck und Finanzminister Christian Lindner. Sie haben sich zum Bildschirm umgedreht, um den Worten Selenskyjs zu folgen. Es sind bittere Worte, die der Prasident aus Kiew in den Plenarsaal spricht, er erinnert an die Grauel im Zweiten Weltkrieg, an Babi Jar, dem Ort bei Kiew, in dem die Deutschen im September 1941 rund 33.000 Juden ermordeten, ein Ort, der zuletzt von Russland bombardiert wurde. Selenskyj schont seine Zuhorer in Berlin nicht. Die Sanktionen seien womoglich zu wenig, um den Krieg zu stoppen. Jedes Jahr wiederholten die Politiker die Worte >>Nie wieder<>nichts wert sind<<.
Wenn es um Berlin und die Mauer geht, dann darf in Reden oft nicht der einstige US-Prasident Ronald Reagan fehlen, der 1987 in seiner Ansprache in West-Berlin den damaligen sowjetischen Machthaber Michael Gorbatschow aufforderte, die Mauer niederzureissen. Selenskyj bedient sich nun dieses rhetorischen Verweises: >>Herr Bundeskanzler Scholz, zerstoren Sie diese Mauer. Zeigen Sie sich als Leader, und Ihre Nachkommen werden stolz auf Sie sein<>Helfen Sie uns, diesen Krieg zu stoppen.<<
Die Anzeige zeigt 9.23 Uhr, der gesamte Bundestag erhebt sich, auch das Kabinett, die Vertreter der Lander, stehend wird applaudiert.
Zweiter Akt: Ein deutsches Trauerspiel
Und dann beginnt eine Posse. Denn direkt im Anschluss verliest Goring-Eckardt, wie es sonst bei normalen Sitzungen ublich ist, Geburtstagsgrusse an Parlamentarier, nennt die Namen von Abgeordneten, die neu in Ausschusse und einen Beirat entsandt werden. Auf der Tagesordnung steht – fur 9.25 Uhr angesetzt – als nachster Punkt die Aussprache uber einen der Entwurfe zum Impfgesetz.
Das wirkt merkwurdig routiniert an diesem besonderen Tag.
Ukrainischer Prasident Selenskyj, deutsche Kabinettsmitglieder
Foto: Christian Ditsch / epd / IMAGO
Die Unionsfraktion verlangt plotzlich per Geschaftsordnungsantrag, eine >>Aufsetzungsdebatte<< uber den Krieg Russlands in der Ukraine zu fuhren – also eine Debatte nach der Rede des ukrainischen Prasidenten.
Am Vortag hatten sich die Fraktionen erst auf die Tagesordnung geeinigt, doch die Unionsfraktion anderte plotzlich ihre Haltung, zum Arger der Ampelkoalitionare.
Der neue Fraktionschef Friedrich Merz geht ans Pult: Es ware Zeit fur eine Zwischenbilanz gewesen, >>stehen wir heute eigentlich als Bundesrepublik Deutschland an der richtigen Stelle, wenn es um diesen Konflikt geht<<.
Die Ampelkoalitionare sind emport, verweisen auf die Debatte im Bundestag am Vortag uber den Krieg, am Donnerstagnachmittag solle es zu einem spateren Zeitpunkt noch einmal um die Lage der Menschenrechte gehen, auch habe es in den USA und Grossbritannien nach der jeweiligen Selenskyj-Rede keine Aussprachen gegeben.
Die Parlamentarische Fraktionsgeschaftsfuhrerin der SPD, Katja Mast, verteidigt die Entscheidung der Ampelkoalition. Selenskyj habe eine sehr eindringliche Rede gehalten, seine Worte hatten es verdient, >>fur sich wahrgenommen zu werden<>um funf Stunden spater eine Rolle ruckwarts<< hinzulegen.
Zwischenrufe, Gelachter, es geht turbulent zu. Grunenfraktionschefin Britta Hasselmann eilt ans Pult, wirft Merz vor, seine Fraktion >>einzuheizen<>Debatte in der Sache<>um Inszenierung<<. Auch FDP-Fraktionschef Christian Durr spricht von einem >>Schauspiel<>solche parteipolitischen Spielchen zu unterlassen<<.
Uberraschend gesellt sich die Linksfraktion an die Seite von Merz, ihr Parlamentarischer Fraktionsgeschaftsfuhrer Jan Korte will auch uber >>die Aufrustung<< der Bundeswehr reden, der Ampel falle kein >>Zacken aus der Krone<<, wenn sie die Debatte zuliesse.
Die Koalitionare mussten aufpassen, dass sie >>nach 100 Tagen nicht so arrogant werden wie andere nach 16 Jahren<<. Gelachter, emporte Zwischenrufe aus den Ampelfraktionen. Auch der AfD-Fraktionsgeschaftsfuhrer Bernd Baumann geht ans Pult, kritisiert Merz’ Vorstoss zwar als >>Klamauk<<, will aber den Kanzler in einer Debatte horen.
Am Ende lasst Goring-Eckardt uber den Unionsantrag abstimmen. CDU, CSU, AfD und Linke sind fur die Ansetzung einer Debatte. SPD, FDP und Grune mit ihrer Ampel-Mehrheit dagegen.
Die digitale Uhr im Bundestag zeigt 9.53 Uhr. Der Bundestag ist im deutschen Alltag angekommen. Was folgt, ist die Beratung des Corona-Gesetzentwurfs >>zur Aufklarung, Beratung und Impfung aller Volljahrigen<<.
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