Die Lander sehen erhebliches Verbesserungspotenzial bei der Coronapolitik des Bundes. Zu Beginn der Ministerprasidentenkonferenz der 16 Landerchefinnen und Landerchefs mit dem Kanzleramt haben sie nach SPIEGEL-Informationen Kanzler Olaf Scholz (SPD) mehrheitlich scharf fur die geplante Abschaffung fast aller aktuellen Coronamassnahmen kritisiert. Die Schelte kam demnach parteiubergreifend.
So sprach Hessens Ministerprasident Volker Bouffier (CDU) von einem >>schlicht unsaglichen<< Verfahren. Seine rheinland-pfalzische Amtskollegin Malu Dreyer (SPD) sprach laut Beteiligten von >>grossem Frust<>Es trifft die Lander ins Mark<<, beschwerte sich Bayerns Ministerprasident Markus Soder (CSU).
Konkreter Streitpunkt ist der von der Ampel geplante Umschwung bei den Coronamassnahmen. Nach mehreren Monaten unter scharfen Vorgaben wie Masken- und Testpflichten sowie Zugangsregeln wie 2G und 3G sollen zum Sonntag fast alle Beschrankungen fallen. Ein neues Infektionsschutzgesetz, das morgen durch Bundestag und Bundesrat soll, wird die bisherigen Massnahmen ablosen. Erhalten bleibt dann nur die Maskenpflicht an ausgewahlten Orten und eine Testpflicht in Einrichtungen fur gefahrdete Menschen – wie Pflegeeinrichtungen und Kindergarten. Eine Hotspot-Regelung soll den Landern ermoglichen, lokal Verscharfungen einzufuhren.
>>Das ist kein guter Weg, der hier eingeschlagen wird<<
Dass die Maskenpflicht weitestgehend fallt, sei gegen den Expertenrat und >>falsch<>Die Pandemie ist nicht vorbei.<< Auch Niedersachsens Ministerprasident Stephan Weil (SPD) warnte, dass die Coronapandemie noch andauere. >>Das ist kein guter Weg, der hier eingeschlagen wird<<, sagte er uber das Ende der Massnahmen.
Baden-Wurttembergs Landerchef Winfried Kretschmann (Bundnis 90/Die Grunen) beschwerte sich, noch nie sei eine Regierung so mit den Landern umgesprungen. >>Alles ist uns aus der Hand genommen<<, sagte er laut Teilnehmern.
Er verstehe nicht, was das Ganze solle, kritisierte Kretschmann demnach. Bisher habe man immer gut zusammengearbeitet. >>Es ist mir unerfindlich, was zu diesem Bruch gefuhrt hat.<<
Harte Kritik ausserte dem Vernehmen nach auch Soder. Er gratulierte der FDP, die sich >>komplett durchgesetzt<>definitiv beendet<<, wird Soder zitiert.
Sie konne den Frust der Kollegen verstehen, sagte SPD-Ministerprasidentin Dreyer laut Teilnehmern. Sie selbst konne mit dem Gesetz leben, warne aber zugleich vor dem Herbst, dann musse das Gesetz noch einmal angeschaut werden.
Laut Patrick Dahlemann (SPD), Chef Staatskanzlei in Mecklenburg-Vorpommern, gebe es bereits jetzt Versorgungsengpasse in den Krankenhausern im Land, etwa wegen krankheitsbedingter Ausfalle. Alle Schutzmassnahmen dramatisch zuruckzufahren, sei der falsche Weg. Es hatte geholfen, die Maskenpflicht noch eine Weile beizubehalten. Mit Blick auf die von der Ampel geplante Hotspot-Regelung, die die Lander fortan ergreifen konnen, sagte Dahlemann: >>Wir werden ganz Mecklenburg-Vorpommern als Hotspot erklaren.<<
Obwohl die Lander parteiubergreifend deutliche Kritik aussern, sieht es bislang nicht so aus, dass sie das Infektionsschutzgesetz im Bundesrat scheitern lassen. Es durfte den Ministerprasidenten deshalb vor allem darum gehen, sich aus der Schusslinie zu nehmen, wenn kunftig moglicherweise nicht angemessen auf eine zugespitzte Coronalage reagiert werden kann. Schuld hat dann der Bund – das ist die klare Botschaft der Landerchefs.
Kanzler Scholz reagierte dem Vernehmen nach kurz angebunden auf die Kritik. >>Ich danke fur die Diskussion<>Ich glaube, dass wir da noch was zu arbeiten haben.<<