des Tages: Marina Ovsyannikova, Ukraine, Spritpreise, Corona-Neuinfektionen //
Guten Abend, die drei Fragezeichen heute:
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Grosser Mut – Wer ist die Frau, die live im russischen Fernsehen protestierte?
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Kleine Probleme – Kostet der Liter Diesel bald so viel wie die Mass Bier auf dem Oktoberfest?
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Unsichtbare Pandemie – Warum kummern uns steigende Coronazahlen nicht mehr?
1. Mut der Verzweiflung
Wenn Menschen zu Helden werden, bedeutet das meist nichts Gutes. Ausserhalb von Kinosalen sind heldenhafte Taten haufig der Beweis fur die Existenz des Bosen. Leider, muss man folglich sagen, hat die Welt seit gestern Abend eine Heldin mehr:
Marina Owsjannikowa ist Mitarbeiterin beim russischen Staatsfernsehen Kanal 1. Wahrend einer Livesendung lief sie ins Bild und rief >>Nein zum Krieg<>Glaubt der Propaganda nicht. Hier werdet ihr belogen.<<
Marinas Vater ist Ukrainer, ihre Mutter Russin: >>Sie waren nie verfeindet<<, sagt sie in einem Video, das kurz vor ihrer heldenhaften Tat online ging. >>Meine Halskette ist ein Symbol dafur, dass Russland diesen Brudermord-Krieg sofort beenden muss.<<
Owsjannikowa werde derzeit abgeschottet, heisst es in einem SPIEGEL-Bericht. >>Wo genau sie festgehalten und befragt wird, ist auch 17 Stunden nach ihrer Festnahme am Dienstag unklar. Sie hat keinen anwaltlichen Beistand.<< Vieles spricht demnach dafur, dass die Sicherheitsbehorden an ihr ein Exempel statuieren werden, um vor weiteren Protestaktionen abzuschrecken.
Mehr als 100.000 Menschen haben bereits Kommentare und Likes auf der Facebook-Seite der russischen TV-Journalistin hinterlassen, und es werden immer mehr. >>Danke fur Ihren Mut!<>Danke fur die Wahrheit<>eine Heldin<<.
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Lesen Sie mehr: Die Frau, die das Staatsfernsehen sturmte
Und hier weitere Nachrichten und Hintergrunde zum Krieg in der Ukraine:
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Finanzieren wir mit unserem Ol- und Gaskonsum tatsachlich Putins Krieg? : Mit Ol- und Gaslieferungen nach Europa nimmt Russland taglich Hunderte Millionen Dollar ein. Doch kann Putin das Geld uberhaupt ausgeben? Die Antwort ist entscheidend fur die Diskussion um einen moglichen Boykott.
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Regierungschefs von Polen, Tschechien und Slowenien reisen nach Kiew: Mateusz Morawiecki, Petr Fiala und Janez Jansa treffen in Kiew den ukrainischen Prasidenten Wolodymyr Selenskyj. Die Reise ist mit EU-Kommissionschefin Ursula von der Leyen abgestimmt.
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Warum Deutschland auf die F-35 setzt: Die Bundesregierung will US-amerikanische Tarnkappenbomber kaufen. Was konnen die besser als Tornados und Eurofighter? Und ist damit das europaische FCAS-Projekt gestorben?
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Alle aktuellen Entwicklungen finden Sie hier im News-Update
2. Neues zur Relativitatstheorie
Bevor wir uns dem Jammer an deutschen Zapfsaulen oder den maroden Kasernen der Bundeswehr zuwenden, sollte unser Blick zunachst an die ukrainisch-polnische Grenze wandern. Das Krankenhaus im ukrainischen Lwiw ist nach Angaben des Uno-Kinderhilfswerks Unicef uberlastet durch die Anzahl an verletzten Kindern, die aus umkampften Regionen eintreffen.
Arztinnen und Arzte in Lwiw hatten ein Aufklebersystem einrichten mussen, um die Behandlung der Kinder zu koordinieren, berichtete ein Unicef-Sprecher. Ein gruner Sticker heisse: verletzt, aber ohne dringenden Bedarf. Gelb bedeute: muss behandelt werden. Und rot signalisiere: Um dieses Kind muss sich sofort gekummert werden. Es gibt auch schwarze Sticker: Das Kind lebe noch, aber es konne nicht gerettet werden.
Nachrichten wie diese sind kaum zu ertragen. Mehrmals musste ich heute beim Versuch, diesen Tag in Worte, Zahlen und Bilder zu fassen, mit den Tranen kampfen. Da gibt es den Bericht uber eine werdende Mutter, die laut dem ukrainischen Aussenministerium ihren Verletzungen erlag.
Oder den Text meiner SPIEGEL-Kollegen Lina Verschewele und Oliver Imhof uber die katastrophale Lage im belagerten Mariupol mit dem Titel >>Es ist die Holle<<.
Das Hinsehen, so schwer es uns fallt, ist Aufgabe der freien Presse und Privileg der freien Burger in einem demokratischen Land wie Deutschland. Wo der Liter Diesel womoglich bald teurer ist als die Mass Bier auf dem Oktoberfest – viele Autofahrer aber dennoch weiter Gas geben. Und wo Kasernen Schimmel ansetzen, obwohl die Bundeswehr zuletzt fast funf Milliarden Euro investiert hat.
Probleme, die in Friedenszeiten relativ gross waren, heute aber relativ klein wirken.
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Lesen Sie hier mehr uber den heute vorgestellten Jahresbericht der Wehrbeauftragten des Bundestages, Eva Hogl
3. Augen zu und durch
Noch eine Nachricht, die in Deutschland niemand mehr zu alarmieren scheint: Die bundesweite Sieben-Tage-Inzidenz der Corona-Neuinfektionen ist mit 1585,4 auf einen neuen Hochstwert gestiegen. Einer der frisch Infizierten ist Nordrhein-Westfalens Ministerprasident Hendrik Wust. Wahrend seines Besuchs in Israel sind zwei PCR-Coronatests positiv ausgefallen. Der NRW-Landeschef hat sich im beruhmten Jerusalemer King David Hotel in Isolation begeben.
>>In Isolation zu sein, ist nie schon. Nicht mal in einem solchen Hotel<<, sagt Wust im Interview mit meinem Kollegen Lukas Eberle: Zur Ministerprasidentenkonferenz am Donnerstag wird er sich als Vorsitzender der Bund-Lander-Runde aus Israel zuschalten lassen mussen. Auf der Tagesordnung wird unter anderem das geanderte Infektionsschutzgesetz stehen.
Ob es richtig ist, die Coronaregeln zum 19. Marz auslaufen zu lassen, debattiert morgen bereits der Bundestag. Der wohl grosste Streitpunkt sei das Ende der Maskenpflicht in Supermarkten, Restaurants und anderen offentlichen Orten, schreiben meine Kollegen aus dem SPIEGEL-Hauptstadtburo, das den schonen Titel tragt: >>Augen zu. Und durch?<<
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Mehr zum Thema lesen Sie im Interview mit dem Epidemiologen Gerard Krause: >>Herr Krause, ist die Pandemie vorbei?<<
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Was heute sonst noch wichtig ist
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Konjunkturerwartungen brechen so stark ein wie noch nie: Die Belastungen durch die Coronapandemie sind noch lange nicht ausgestanden. Und jetzt der Ukrainekrieg. Die schon geschwachte Wirtschaft erwartet einen neuen Tiefschlag.
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Mittelalterliche Graber unter Notre-Dame entdeckt: Bei Untersuchungen fur den Wiederaufbau der Kathedrale Notre-Dame machten Archaologen einen aufregenden Fund: Wer wurde in den nun entdeckten Grabern unter dem Kirchenschiff beigesetzt?
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Auch Metro rationiert Lebensmittel: Wegen des Kriegs in der Ukraine horten viele Menschen in Deutschland offenbar wieder Lebensmittel – vor allem Speiseole sind gefragt. Nach Aldi begrenzt nun auch der Grosshandler Metro die Abgabemengen.
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Gerhard Schroder verzichtet >>unwiderruflich<< auf Ehrenburgerschaft: Der Altkanzler kommt einer Aberkennung der Ehrenburgerschaft Hannovers zuvor. Schroder war vorab von der Stadt die Gelegenheit zu einer Stellungnahme gegeben worden – die umgeht er nun.
Was wir heute bei SPIEGEL+ empfehlen
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Wen die hohen Sprit- und Gaspreise treffen – und wer sie locker stemmen kann: Benzin, Diesel, Gas: Die Preise fur Energie sind im Zuge des Krieges in der Ukraine in kaum fur moglich gehaltene Hohen gesprungen. Doch welche Bevolkerungsgruppen leiden am meisten darunter?
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Bleich, abgemagert und stark gealtert: Londoner Richter versagten es Julian Assange, Berufung gegen seine Abschiebung in die USA einzulegen. Jetzt hat er noch zwei Optionen. Welche Rolle die konservative Hardlinerin Priti Patel dabei spielt.
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Cosplay im Elysee-Palast: Der franzosische Selenskyj? Textiles Sabelrasseln? Emmanuel Macron zeigt sich im Kapuzenpulli. Bei einem Prasidenten, der optisch nichts dem Zufall uberlasst, wird der Schlabberlook zum kampferischen Statement.
Was heute weniger wichtig ist
Duell Use: Elon Musk, 50, der reichste Mensch der Welt und Grunder des Elektroautoherstellers Tesla, hat den russischen Prasidenten Wladimir Putin, 69, zum Duell gebeten: >>Ich fordere hiermit Wladimir Putin zu einem Kampf von Mann zu Mann heraus. Der Einsatz ist die Ukraine<<, twitterte Musk. In einer zweiten Botschaft fugte er auf Russisch hinzu: >>Nimmst du diesen Kampf an?<<
Tippfehler des Tages, inzwischen korrigiert: >>Zwar beruhen die Daten auf einer Erhebung des Jahrs 2013, strukturell durfte sich aber an der Verteilung in der Zwischenzeit wenig gerandert haben.<<
Cartoon des Tages: Hochgerustete Bundeswehr
Und heute Abend?
Derzeit lauft der Superhelden-Film >>The Batman<< im Kino. Soll ganz gut sein, sagt mein Mann. Einen Helden mit schusssicherer Weste statt schwarzem Ganzkorperanzug kann man heute Abend aber auch vor dem Fernseher bestaunen: Arte und die ARD zeigen um 22.15 Uhr die Dokumentation >>Selenskyj – Ein Prasident im Krieg<<.
Mein Kollege Arno Frank, der sie vorab gesehen hat, schreibt: >>Mit Wolodymyr Selenskyj hat eine Figur die Weltbuhne betreten, die schon jetzt und beinahe im Alleingang die westliche Erzahlung vom >>postheroischen Zeitalter<< als allzu bequem entlarvt hat.<< Die Dokumentation sei durchaus sehenswert, findet Arno – besonders in den Momenten, in denen sie >>nicht Ikonenmalerei sein will<<.
Einen schonen Abend wunscht Ihnen
Anna Clauss
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