an der Ahr: Anne Spiegel verteidigt sich im Untersuchungsausschuss //
Um 20 Minuten nach Mitternacht scheint sie es fast geschafft zu haben. Ihre Vernehmung vor dem Flut-Untersuchungsausschuss ist nach mehr als drei Stunden beendet. Bundesfamilienministerin Anne Spiegel packt einen dicken Aktenordner und eine dunne Mappe mit Papieren in ihre orangefarbene Umhangetasche und will gerade den Sitzungssaal des Mainzer Landtags verlassen. Doch dann steht sie vor einer Wand aus Kameraleuten und Mikrofontragern, die sich zwischen sie und den Ausgang des Parlamentsgebaudes gestellt haben.
Schon wieder soll sie diese Fragen beantworten, die seit Tagen wie grobe, schwere Drahtbursten uber ihre bislang fast makellos glanzende Karriere kratzen: War ihr das eigene Image wichtiger als das Schicksal der Flutopfer an der Ahr?
Symbolfigur fur Versaumnisse der Behorden
Die 41-jahrige Grunen-Politikerin wirkt erschopft, sie muss sich noch einmal konzentrieren und zusammenreissen in dieser Nacht zum Samstag. Sie wisse gar nicht, wie lange sie noch stehen konne, raunt sie den wartenden Journalisten zu. Dann holte sie Luft und sagte noch einmal den Satz, den sie zuvor auch den Abgeordneten des Untersuchungsausschusses viele Male in leicht abgewandelten Variationen prasentiert hatte: >>Es ist absolut falsch, dass ich zu irgendeinem Zeitpunkt eine andere Prioritat hatte, als den Menschen vor Ort zu helfen.<<
Anne Spiegel, bis zu ihrem Wechsel nach Berlin im Dezember 2021 Ministerin fur Umwelt und Klimaschutz in Rheinland-Pfalz, ist, ob berechtigt oder nicht, zu einer Symbolfigur fur Versaumnisse und Fehlleistungen von Behorden und Politik vor und wahrend der todlichen Flutwelle im Ahrtal geworden. In Rheinland-Pfalz war sie als Ministerin verantwortlich fur Hochwasservorsorge und die Voraussage der Pegelstande. Wahrend die zu ihrem Ministerium gehorende Landesumweltbehorde am Nachmittag des 14. Juli fur die Ahr langst katastrophale Rekord-Pegelstande weit uber dem bisherigen Jahrhunderthochwasser vorausgesagt hatte, liess Spiegel eine Presseerklarung veroffentlichen, in der es hiess, es drohe >>kein Extremhochwasser<>gut vorbereitet<<.
>>Nicht unsere Zustandigkeit<<
Diese Erklarung habe sie vor der Veroffentlichung nur >>kursorisch gelesen<>Campingplatzbesitzer<< im Text zu gendern.
Selbst als sich die Alarmmeldungen aus dem Ahrtal immer mehr hauften und eine Pressesprecherin ihres Ministeriums schriftlich mahnte, die Erklarung habe sich uberholt, sahen Spiegel und ihr Staatssekretar Erwin Manz keine Veranlassung dazu, eine Korrektur loszuschicken und die Menschen an der Ahr dringend aufzufordern, sich so schnell wie moglich in Sicherheit zu bringen. Es sei >>nicht unsere Zustandigkeit, Warnungen an die Bevolkerung zu geben<>Alles, was dann zu tun ist, muss vor Ort passieren<>Die Regularien mussen ganz streng beachtet werden<>Chaos<<.
Tatsachlich kam es im Juli an der Ahr aber nicht zuletzt deshalb zu chaotischen Verhaltnissen, weil Warnungen vor der Flutwelle viele Menschen viel zu spat oder gar nicht erreichten und weil ortliche Helfer und Burgermeister mit der Bewaltigung der Flutwelle lange auf sich allein gestellt waren. 134 Menschen starben am 14. und 15. Juli in dem Tal durch die Flut.
Abendessen mit Fraktionschef
Ministerin Spiegel will von der zunehmend dramatischen Lage erst erfahren haben, nachdem sie ihre Presseerklarung am Nachmittag des 14. Juli im Landtag herausgegeben und auch eine Rede mit ahnlichem Inhalt gehalten hatte. Der Staatssekretar des Innenministeriums habe ihr anschliessend am Rande der Landtagssitzung erzahlt, dass Menschen auf einem Campingplatz an der Ahr mit Hubschraubern gerettet werden mussten. Spater habe dieser Staatssekretar ihr noch mitgeteilt, dass Innenminister Roger Lewentz (SPD) ins Ahrtal aufgebrochen sei, um sich selbst ein Bild zu machen. Sie habe daraufhin ihren eigenen Staatssekretar Manz zweimal gefragt, ob sie ebenfalls losfahren solle, berichtete Spiegel. Doch Manz habe ihr abgeraten: Katstrophenschutz sei nicht ihre Zustandigkeit.
Was Spiegel dann nach der Landtagssitzung am 14. Juli tat, ist nicht restlos klar. Abgeordnete der CDU-Opposition vermuten, die Ministerin sei mehr oder weniger abgetaucht und habe sich uberwiegend privaten Dingen gewidmet, wahrend die Flut an der Ahr tobte. Spiegel wies das im Ausschuss zuruck. Sie habe am Abend ein >>dienstliches Gesprach<>bis zwei Uhr nachts telefoniert<< – so schrieb es Spiegel jedenfalls am nachsten Morgen an Ministerprasidentin Malu Dreyer.
Schwer nachvollziehbare Erklarung
Tatsachlich seien es nur drei Telefongesprache gewesen, raumte Spiegel jetzt im Ausschuss ein. Eines mit ihrem Ehemann, ein weiteres erneut mit Fraktionschef Braun und ein drittes, angeblich sehr kurzes, mit ihrem Staatssekretar Manz. Dieses ist allerdings in einer Liste mit seinen Telefongesprachen von diesem Abend, die Manz dem Ausschuss vorgelegt hatte, gar nicht verzeichnet. Das sei ein Fehler gewesen, sagte Manz und prasentierte eine komplizierte und nur schwer nachvollziehbare Geschichte daruber, wie diese unvollstandige Liste zustande gekommen sein soll.
Fur nicht weniger erklarungsbedurftig halten viele Ausschussmitglieder einen kurzlich bekannt gewordenen Kurznachrichtendialog zwischen Spiegel und dem damaligen Vize-Regierungssprecher Dietmar Bruck, der zeitweise auch als Sprecher von Spiegels Ministerium fungiert hatte. Bruck machte mehrere Vorschlage, wie die Ministerin sich auch mit Terminen an der Ahr in der Krise in Szene setzen konne: >>Anne braucht eine glaubwurdige Rolle.<<
Spiegel antwortete mit einer atzenden Bemerkung uber ihren damaligen Kabinettskollegen Lewentz, der bereits am Vorabend ins Ahrtal aufgebrochen war. Sie furchte, dass jetzt ein >>blame game<>wording<<, dass ihre Behorde rechtzeitig gewarnt habe und dass gerade ihre Hochwasservorsorge Schlimmeres verhindert habe.
Diese sei jedoch nur >>ein Gedanke<>tausenden Nachrichten<>freundschaftliches, herzliches und hoch professionelles Verhaltnis<<.