Europas Energiepreiskrise fordert gerade viele parteipolitische Paradoxien zutage. Erst sprach sich mit Wirtschaftsminister Robert Habeck ausgerechnet ein Grunenpolitiker fur eine langere Nutzung klimaschadlicher Braunkohlekraftwerke als Stromreserve aus. Nun fordert mit EU-Kommissionschefin Ursula von der Leyen ausgerechnet eine CDU-Politikerin einen massiven Eingriff des Staates in den freien Markt: Sie will die Energiepreise vorubergehend deckeln.
Naturlich sind Krisenzeiten noch immer Krisenzeiten, und es ist ja an sich gut, wenn man exekutive Verantwortlichkeiten von parteipolitischen Ideologien trennt. Dennoch ist die Geschwindigkeit, mit der gerade alte Denkmuster abgeraumt werden, bemerkenswert. Zumal sich bei der Umsetzung der gerade diskutierten Ideen auch viele praktische und juristische Fragen stellen.
Die langere Nutzung der Braunkohlemeiler ist dabei nicht das Problem: Sie wandern einfach zusatzlich in eine ohnehin seit Jahren bestehende stille Reserve und werden auf Geheiss der Bundesnetzagentur bei Bedarf von den Betreibern reaktiviert.
Bei einem Deckel fur die europaischen Energiepreise ist die Lage diffiziler. Hier gibt es noch juristische, kartellrechtliche und marktwirtschaftliche Fragen zu klaren. Einige davon versucht die EU-Kommission nun in einem Hintergrundpapier zu beantworten.
Die Kommission will demnach einen fixen maximalen Endkundenpreis festsetzen, zu dem Versorger Strom und Gas an private Haushalte und kleinere Betriebe verkaufen. Im Strommarkt gibt es eine entsprechende Regelung bereits, die Kommission will diese nun weitgehend auf den Gasmarkt ubertragen.
Die Unternehmen sollen dem Konzept zufolge teils davor bewahrt werden, beim Einkauf womoglich hohere Preise zu zahlen, als sie durch einen Preisdeckel noch von den Endkunden verlangen durfen. EU-Staaten durfen den Firmen dafur einen Ausgleich zahlen. Besonders kleine Unternehmen sollen vor >>unverhaltnismassigen Belastungen<< geschutzt werden, schreibt die Kommission. Unklar ist, ob sie hohere Kompensationen erhalten sollen als marktbeherrschende Konzerne.
Die Grenzen des Staatsdirigismus
Klar ist dagegen: Der Staatsdirigismus soll auf ein Mindestmass beschrankt werden. Versorger sollen neben dem fixen, staatlich geregelten Tarif auch weiterhin andere Angebote fur private Haushalte und kleinere Betriebe haben konnen. Flexible Tarife, bei denen die Endkundenpreise je nach Angebot und Nachfrage schwanken, sollen ebenfalls unreguliert bleiben.
Auch der Grosshandel mit Energieprodukten und langfristige Liefervertrage sollen von der Regelung ausgenommen werden. Der Preisdeckel fur die anderen Marktsegmente soll hoch genug angesetzt werden, um Gross- und Langfristabnehmer moglichst wenig zu diskriminieren. Sie gehen ja gerade deshalb lange Verpflichtungen ein, um gunstigere Tarife zu bekommen.
Weiterhin sollen die Preisdeckel fur Strom und Gas auch zeitlich begrenzt werden: Vorgeschlagen wird dafur ein Fahrplan mit Etappenzielen zur Abschaffung der regulierten Preise. Die vollstandige Ruckkehr zum freien Markt soll explizit nicht erst erfolgen, wenn die Energiepreise wieder Vorkrisenniveau erreicht haben – sondern schon vorher.
Wo genau der Preisdeckel angesetzt wird, ist noch nicht entschieden. Klar ist dagegen, dass die zustandigen Behorden als Grundlage fur diese Entscheidung tiefe Einblicke in Geschaftsgeheimnisse der Energiekonzerne bekommen sollen. >>Fur das Berechnungsverfahren sollte die zustandige Behorde Zugang zu Informationen uber die Kostenstruktur der Branche haben<<, heisst es in dem EU-Papier. Den betroffenen Unternehmen durfte das kaum gefallen.
Gedeckelte Preise – knapperes Gas?
Auch eine andere wichtige Frage lasst das EU-Papier offen. So warnen Experten, dass die Flussiggastanker, die derzeit vor allem Europa anlaufen, bei einem Preisdeckel wieder nach Asien abdrehen konnten – also dorthin, wo am meisten gezahlt wird. Genau dieses Gas aber benotigt die EU, um sich von russischen Lieferungen unabhangiger zu machen.
Obendrein beisst sich der geplante Preisdeckel mit einem anderen Plan der EU-Kommission, laut dem man ubermassige Gewinne von Energiekonzernen auch abschopfen konnte, um damit den Ausbau erneuerbarer Energien zu finanzieren oder Verbraucherinnen und Verbraucher zu entlasten. Beides gleichzeitig durfte nicht gehen.
Mehr Klarheit soll nun die europaische Agentur fur die Zusammenarbeit der Energieregulierungsbehorden (ACER) schaffen. Laut Kommission soll sie in spatestens ein paar Wochen eine Analyse vorlegen, welche Vor- und Nachteile all diese >>alternativen Preismechanismen<< haben. Erst danach werde final entschieden.