Heute geht es um ein Treffen von zwei Aussenministern, um ein Treffen von 27 Staats- und Regierungschef, um Angst, um Diktatoren im Krieg und um Matthias Brandt.
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Wenn Unrecht belohnt wird
Heute gibt es ein Gesprach, das ein bisschen Hoffnung auf Frieden macht. In Antalya trifft der ukrainische Aussenminister Dmytro Kuleba auf seinen russischen Kollegen Sergej Lawrow. Deshalb werden die Waffen nicht schweigen, aber vielleicht ist das ein Auftakt zum Besseren.
Allerdings kann es wohl keinen Frieden geben, der nicht wehtut. Frieden mit einem unbesiegten Aggressor bedeutet oft, dass Unrecht belohnt wird. Der Status quo ante ist dann keine Option. Die Russen werden ihre Panzer nur abziehen, wenn sie dafur etwas bekommen, einen Verzicht der Ukraine auf die Nato oder eine Anerkennung der Krim als Teil Russlands.
Frieden heisst dann in diesem Fall auch, sich mit dem Unrecht zu versohnen. Nur die Ukrainer konnen entscheiden, wozu sie bereit sind.
Das Trostliche am Schlechten
Die Staats- und Regierungschefs der Europaischen Union treffen sich heute und morgen in Versailles zu einem informellen Gipfel. Drei Themen sind aufgerufen: die Starkung der Verteidigungsfahigkeit, die Verringerung der Energieabhangigkeit von Russland, der >>Aufbau einer robusteren wirtschaftlichen Basis<<.
Wenn es heisst, das Trostliche am Schlechten sei, dass es auch etwas Gutes schafft, klingt das immer ein bisschen zynisch. Schlecht bleibt schlecht, grauenhaft bleibt grauenhaft. Die Menschen in der Ukraine, die jetzt das Grauen erleben, haben erst einmal nichts davon, dass die EU nun so einig scheint wie lange nicht mehr. Gleichwohl muss man sagen, dass dieser Krieg auch eine Chance in sich birgt. Eine Chance, die die EU auf keinen Fall verpassen darf: doch noch eine starke Union zu werden.
Flussig fur den Notfall
Angst ist ein Wort, das ich derzeit oft hore. Gesprachspartner bekennen, dass sie Angst haben. Man bereitet sich vor, schafft Jodtabletten an, weil sie bei einem Nuklearangriff helfen sollen. Oder besorgt sich Klebeband, um die Fenster abzudichten. Jemand hat mir erzahlt, dass er grossere Mengen Haferflocken gebunkert habe, um eine Versorgungsmittelkrise uberstehen zu konnen. Ein Bekannter hat 10.000 Euro abgehoben und zu Hause versteckt, um im Notfall flussig zu sein.
Man ist froh, ein Wochenendhaus in einer entlegenen Gegend zu haben. Oder uberlegt sich, eins zu mieten oder zu kaufen. Andere denken uber Fluchtrouten nach. Athen, dann mit dem Schiff nach Australien, habe ich zum Beispiel gehort. Manche dieser Gedanken werden halb ironisch geaussert, andere ernst. Der Krieg, heisst es, sei der Vater aller Dinge. Im Moment ist er der Vater vieler Gedanken und Gefuhle.
Isolierte Diktatoren
Am Montag hatte ich erwahnt, dass ich derzeit die Biographie Adolf Hitlers von Ian Kershaw lese, und erstaunliche Parallelen zwischen damals und heute finde. So war es wieder, als ich gestern die Berichte uber die Aussagen von CIA-Chef William Burns sah.
>>Er hat ein System geschaffen, in dem der Beraterkreis immer enger wird<<, sagte Burns zum Beispiel. Bei Hitler war es ahnlich. Je langer der Krieg dauerte, je schwieriger die Lage wurde, desto mehr hat er sich isoliert. Regelmassigen Zugang hatten nur noch langjahrige Vertraute wie Goebbels oder Goring. Selbst mit den Generalen im Fuhrerhauptquartier wollte Hitler kaum noch reden. Er nahm seine Mahlzeiten lieber allein ein, um nicht mit ihren Sorgen konfrontiert zu sein.
Burns sagte uber Putin, es sei >>nicht karrierefordernd<<, wenn jemand sein Urteil infrage stelle. Auch hier gibt es eine Parallele. Hitler hielt sich fur einen genialen Kriegsstrategen und bekam mitunter Schreiattacken, wenn Generale seine Ideen nicht fur genial, sondern fur schadlich hielten. Was sie oft waren. Wer nicht spurte, wurde entlassen.
Putin habe sich >>komplett verkalkuliert<<, was die Starke seiner Gegner angehe, sagte Burns. Das lasst sich eins zu eins auf Hitler ubertragen. Und noch eine Parallele: Beide sind vollig empathiefrei, gerade gegenuber dem Schicksal grosser Stadte und ihrer Bewohner. Hitler geiferte oft, er wolle eine Stadt ausradieren oder dem Erdboden gleichmachen. Auch von Kiew hat er das gesagt.
Es geht mir nicht darum zu sagen, Putin sei ein neuer Hitler. Es geht mir darum zu verstehen, wie sich ein isolierter Diktator im Kriegsfall verhalt. Und von Hitler ist mehr bekannt als von Putin.
Gewinner des Tages…
…ist Matthias Brandt. Gestern war ich im Theater, Berliner Ensemble: >>Mein Name sei Gantenbein<< mit Brandt als Solisten. Die beiden Manner neben mir schliefen sofort ein. Es sind immer die Manner, die in Theatern einschlafen. Brandt spielte hinreissend, war scheinblind, war eifersuchtig, war hysterisch, war Schleicher, war Wuterich, war hinfallig und vital, war in manchen Augenblicken Willy Brandt, ungespielt. Je alter wir werden, desto mehr kommen unsere Vater durch. Mein Spiegel sagt mir das jeden Morgen.
Am Ende klatschten die beiden Manner neben mir, die durchgeschlafen hatten, frenetisch. Das ist die wirklich grosse Kunst, sie erreicht auch die Schlafenden.