des Tages: Energiesparen, Tschernobyl, Flut im Ahrtal //
Guten Abend, die drei Fragezeichen heute:
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Putin-Boykott: Was konnen die Burger beim Heizen und Tanken tun, um den Krieg zu stoppen?
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Tschernobyl: Wie gefahrlich ist der Stromausfall in der Atomruine?
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>>Wording<<: Welche Rolle spielte Ministerin Spiegel bei der Flutkatastrophe im Ahrtal?
1. Wir frieren fur den Frieden
EU-Kommissionsprasidentin Ursula von der Leyen hat die Burgerinnen und Burger heute dazu aufgerufen, sich am Kampf gegen Wladimir Putin zu beteiligen: beim Heizen und Tanken. >>Wir konnen alle dazu beitragen, unabhangiger zu werden von russischem Gas, uberhaupt von fossilen Brennstoffen, indem wir Energie sparen. Jede und jeder an seinem Platz kann das tun<<, sagte von der Leyen im ZDF. Die EU plant, die Gasimporte moglichst schnell um zwei Drittel zu reduzieren. Das sei erreichbar, wenn man den Ausbau der Erneuerbaren mit Energiesparprogrammen kombiniere.
Nun bin ich normalerweise skeptisch, wenn Politikerinnen und Politiker glauben, mit Verzichtsappellen die Welt retten zu konnen. Auf mittlere Sicht werden es Innovationen und technischer Fortschritt sein, mit denen wir unsere Probleme losen. Doch Putins Krieg ist ein Schock, und gegen Schocks braucht es Mittel, die schnell wirken.
Deshalb ist ein Zehn-Punkte-Programm interessant, das die Internationale Energieagentur (IEA) letzte Woche in einem Bericht vorgelegt hat. Vorschlag Nummer neun geht direkt an uns Verbraucher. In der EU liege die durchschnittliche Temperatur in beheizten Gebauden bei 22 Grad Celsius, so die IEA. Verzichteten die Menschen nur auf ein Grad Warme, hatte das sofortige jahrliche Energieeinsparungen von etwa zehn Milliarden Kubikmetern Erdgas zur Folge. Das waren immerhin sieben Prozent der Gasmenge, die Europa bislang aus Russland importiert.
>>Wer eine Gasheizung besitzt, kann also mit einem behutsamen Griff zum Thermostat schnell und unburokratisch die Gasnachfrage reduzieren, dabei das Klima schutzen und spart auch noch Geld<>Und 21 Grad Raumtemperatur gehen sogar noch als warm durch. Gemutlicher war politischer Aktivismus wohl nie.<< Wir wurden frieren fur den Frieden – aber nur ein bisschen.
Und wie sieht es beim Tanken aus? Laut ADAC kostete Diesel gestern im Schnitt 2,15 Euro pro Liter und Super E10 etwa 2,10 Euro. Bei diesen Preisen muss niemand Tempo 100 fordern, auch nicht die Schlaumeier von Greenpeace, die es naturlich trotzdem getan haben. Viele Menschen sind froh, wenn sie sich die Fahrt zur Arbeit uberhaupt noch leisten konnen.
US-Prasident Biden hat gestern bereits verkundet, dass die USA kein Ol mehr von Russland kaufen. Von der Leyen hingegen sagte heute, die EU werde vorerst keinen Importstopp verhangen. Europa sei leider starker als die USA abhangig von russischem Ol.
Die Preise an den Tankstellen werden auch von Spekulationen getrieben und sind teilweise ubertrieben. Dennoch spricht vieles dafur, dass Diesel und Benzin noch langer teuer sein werden. Die Bundesregierung konnte die Burgerinnen und Burger aber kurzfristig etwas entlasten: Uber die Mehrwertsteuer verdient der Staat bei steigenden Spritpreisen derzeit automatisch mit. Zumindest auf diesen Krisengewinn konnte Finanzminister Christian Lindner verzichten.
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Lesen Sie hier mehr: Von der Leyen ruft Burger zum Energiesparen auf
2. Schon wieder Tschernobyl
Schon der Name Tschernobyl lost blankes Entsetzen aus. Er steht fur den schlimmsten Unfall in der Geschichte der Atomkraft, den Super-GAU im Jahr 1986. Ich erinnere mich an gesperrte Spiel- und Fussballplatze, Ausgehverbote bei Regen und Ostwind, jahrelange Angst vor dem Verzehr von Pilzen. Und heute nun diese Meldung:
Das ehemalige ukrainische Kernkraftwerk Tschernobyl ist von der Stromversorgung abgeschnitten. Nach Angaben des ukrainischen Netzbetreibers wurden Stromleitungen durch Beschuss beschadigt. Weil weiter gekampft werde, sei es nicht moglich, die notwendigen Reparaturarbeiten durchzufuhren. Das staatliche ukrainische Atomenergieunternehmen Energoatom warnt nun davor, dass radioaktive Substanzen aus dem Atomkomplex austreten konnten. Ohne eine Stromversorgung konne der vor Ort befindliche verbrauchte Kernbrennstoff nicht sachgemass gesichert und uberwacht werden.
Welche Gefahr geht von Tschernobyl aus? Viola Kiel und Hilmar Schmundt aus unserem Wissenschaftsressort haben zusammengetragen, welche Informationen wir haben und woruber nur spekuliert werden kann.
Ein staatlicher Kommunikationsdienst der Ukraine hat geschildert, was im schlimmsten Fall passieren konne: Vor Ort lagerten rund 20.000 Brennelemente. Sie mussten standig gekuhlt werden. Das ist jedoch nur moglich, wenn es Strom gibt. Ohne eine Anbindung ans Stromnetz konnten die Pumpen nicht dauerhaft kuhlen. In der Folge steige die Temperatur in den Lagerbecken an, es komme zu einer Verdunstung – und zu einer Freisetzung radioaktiver Stoffe in die Luft.
Das klingt dramatisch. Doch dazu muss es nicht kommen. Sven Dokter von der Gesellschaft fur Anlagen- und Reaktorsicherheit (GRS) in Koln schatzt die Lage so ein: >>Der letzte Reaktorblock in Tschernobyl ist im Jahr 2000 stillgelegt worden, die Brennelemente klingen dort schon seit mindestens 20 Jahren ab. Das heisst, die Nachzerfallsleistung ist mittlerweile sehr gering. Selbst, wenn in den Abklingbecken die Pumpen ausfallen sollten und das gesamte Wasser im Laufe mehrerer Wochen verdunstet und nicht nachgefullt werden kann, ware die Hitzeentwicklung der alten Kernbrennelemente nicht hoch genug, um die Hullen zu beschadigen.<<
Die Internationale Atomenergiebehorde IAEA informierte ebenfalls in einem Tweet bei Twitter uber den Stromausfall. Die Unterbrechung der Stromversorgung verletze einen der wichtigsten Sicherheitspfeiler. Allerdings sehe die IAEA >>in diesem Fall keine kritischen Auswirkungen auf die Sicherheit<<. Die Warmekapazitaten des Lagerbeckens fur abgebrannte Brennelemente und das Volumen des Kuhlwassers im Kernkraftwerk Tschernobyl reichten fur eine wirksame Warmeabfuhr aus, ohne dass Strom benotigt wird.
Clemens Walther, Strahlungsexperte an der Uni Hannover, schatzt die Lage gegenuber dem SPIEGEL so ein: >>Der Reaktorkern im Block 4 in Tschernobyl ist nun schon so lange zerstort, da braucht man keine aktive Pumpleistung mehr fur die aktive Kuhlung wie bei einem frisch abgeschalteten Reaktor. Ich wurde aus dem Stromausfall in Tschernobyl erst einmal keine kurzfristige Notlage ableiten.<<
Dennoch sei der Stromausfall in Tschernobyl besorgniserregend und inakzeptabel, sagte Walther: >>Von einem Tag auf den anderen wird daraus kein grosses Strahlungsrisiko entstehen, es geht aber um die nachsten Wochen und Monate. Derzeit durften die Notbeleuchtung und wichtige Messaufgaben wahrscheinlich durch die Notstromversorgung abgedeckt sein, je nachdem, wie lange der Dieselvorrat reicht.<<
Also kein Grund zur Panik. Aber ein Grund, sich Sorgen zu machen.
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Lesen Sie hier die ganze Geschichte: Welche Folgen hat der Stromausfall in Tschernobyl?
3. Ministerin Spiegel und das Katastrophen-Wording
Als sich am 14. Juli 2021 im Ahrtal eine gewaltige Flutwelle aufbaute, hatte die damals zustandige Umweltministerin von Rheinland-Pfalz die Menschen rechtzeitig warnen konnen. Das legen Dokumente des Untersuchungsausschusses nahe, uber die heute die >>Frankfurter Allgemeine<< berichtete. Die damals zustandige Ministerin heisst Anne Spiegel. Heute arbeitet sie als grune Bundesfamilienministerin in Berlin.
Doch Spiegel warnte die Menschen im Ahrtal nicht. Stattdessen verschickte die Pressestelle ihres Ministeriums am Nachmittag eine Mitteilung, in der es falschlicherweise hiess, es drohe >>kein Extremhochwasser<>uberholt<< bezeichnet und von einem Extremereignis geschrieben haben. Doch eine entsprechende Warnung an die Offentlichkeit wurde nicht verschickt. Weil Pressemitteilungen nicht Teil des Meldewegs seien, wie ein Ministeriumssprecher sagte.
Das war ein Fehler, den am nachsten Morgen offenbar auch Ministerin Spiegel erkannte. Interne Chatprotokolle, die der >>FAZ<>FAZ<>Das Blame Game konnte sofort losgehen, wir brauchen ein Wording, dass wir rechtzeitig gewarnt haben, wir alle Daten immer transparent gemacht haben, ich im Kabinett gewarnt habe, was ohne unsere Praventionsmassnahmen und Vorsorgemassnahmen alles noch schlimmer geworden ware etc.<<
Der Untersuchungsausschuss im Landtag von Rheinland-Pfalz will Spiegel demnachst zur Flutkatastrophe befragen. Es wird interessant sein, zu erfahren, mit welchem Wording die Ministerin ihr Verhalten erklart.
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Lesen Sie hier die ganze Geschichte: Umweltministerium hatte offenbar vor Flut warnen konnen
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Was heute sonst noch wichtig ist
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Expedition findet das 1915 gesunkene Shackleton-Schiff >>Endurance<< Vor rund einhundert Jahren versank die >>Endurance<< im Sudpolarmeer, wahrend im Rest der Welt ein Krieg tobte. Nun wurde das Wrack von einer Expedition aufgespurt, mithilfe eines alten Logbuchs kombiniert mit Satellitenbildern, einem Tauchroboter und einer grossen Portion Hartnackigkeit.
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Osterreich setzt Coronaimpfpflicht aus: Mit der Impfpflicht war Osterreich Vorreiter in der EU – jetzt kommt das vorlaufige Aus: Vorerst wird es in der Alpenrepublik keine verpflichtende Immunisierung gegen Corona geben.
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Athleten klagen uber hohe Temperaturen bei Paralympics: Matschige Pisten, erhohte Sturzgefahr: Bei den Paralympics sorgen hohe Temperaturen fur Probleme – nicht zum ersten Mal. >>Ware nett, wenn wir demnachst mal wieder in echte Wintersportregionen gehen wurden<<, sagt eine Athletin.
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Deutschland hat so viele Michelin-Sterne-Restaurants wie noch nie: Der neue >>Guide Michelin<< ist auf dem Markt, und siehe da: Deutschland hat mehr Spitzenkochinnen und -koche als je zuvor. Auch bei der Nachhaltigkeit und Kreativitat legen sie zu.
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Patient stirbt zwei Monate nach erster Schweineherz-Transplantation: Anfang Januar hatten Arzte an einem Uniklinikum in den USA einem 57-jahrigen Mann ein Schweineherz eingesetzt. Doch in den vergangenen Tagen verschlechterte sich sein Zustand. Nun ist der Patient gestorben.
Meine Lieblingsgeschichte heute: Die Blamage der Populisten
Ex-Prasident Trump (USA) und Amtskollege Putin (Russland) bei einem Treffen 2018 in Helsinki
Foto by Brendan Smialowski / AFP
In diesen dunklen Tagen ist es umso wichtiger, auch die positiven Seiten einer Entwicklung zu sehen, wie es mein Kollege Michael Sauga in seiner Kolumne uber Wladimir Putin tut. Michaels These lautet: Nachdem Populisten die liberale Demokratie jahrelang bedroht haben, konnte nun ausgerechnet Putins verbrecherischer Krieg die Wende bringen. >>Dafur spricht die Geschlossenheit, mit der die Regierungen des Westens auf Putins Invasion reagiert haben<>Darauf deutet der mutige Widerstand hin, mit dem die ukrainische Bevolkerung Europaern und Amerikanern auf geradezu beschamende Weise den Wert von Freiheit und Demokratie vor Augen fuhrt. Und das signalisiert das Tempo, mit dem Putins einstige politische Freunde im Westen plotzlich vorgeben, mit dem Kriegsherren im Kreml noch nie etwas zu tun gehabt zu haben.<<
Endlich erkenne jede und jeder, wessen Geistes Kinder der italienische Rechtspopulist Matteo Salvini und die Franzosin Marine Le Pen sind. Auch die deutschen Putin-Versteher von der AfD stehen blamiert da. Wohingegen die politische Mitte, also Italiens Mario Draghi, Frankreichs Emmanuel Macron, aber auch US-Prasident Joe Biden, gestarkt sei.
>>Wer mit dem Populismus flirtet, wird den Putinismus ernten<<, schreibt Michael. Das durfe jetzt vielen Menschen glasklar sein. Ich hoffe, er hat recht.
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Lesen Sie hier die ganze Geschichte: Wer mit dem Populismus flirtet, wird den Putinismus ernten
Was wir heute bei SPIEGEL+ empfehlen
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>>Das kann Putin aussitzen<< Der Entwicklungsokonom Jeffrey Sachs sieht im Ukrainekrieg ein Scheitern des Westens. Er fordert, dass Deutschland auf Putin zugeht. Weitere Sanktionen gegen Russland seien viel zu riskant.
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Warum wollten Sie keine Gefluchteten aus der Ukraine aufnehmen, Herr Vogt? Die Gemeinde Lubmin, wo die Nord-Stream-Pipelines ankommen, wollte eine >>unkontrollierte Aufnahme von Fluchtlingen verhindern<<. Burgermeister Axel Vogt erklart seine Dienstanweisung – die er inzwischen zuruckgenommen hat.
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>>Da kriegt man wirklich Gansehaut!<< Ungenaue Positionsangaben, das Meer 3000 Meter tief: Wie gelang es trotzdem, die >>Endurance<< im Sudpolarmeer zu finden? Die deutsche Meereisforscherin Stefanie Arndt erzahlt uber Hightech, Risiko und Gluck.
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Sie mussen reden! Beim 7:1 gegen RB Salzburg zeigt Robert Lewandowski einmal mehr, wie wertvoll er fur den FC Bayern ist. Aber hat er auch eine Zukunft im Klub? Auf Zeichen zu einer Vertragsverlangerung wartet er bislang vergeblich.
Was heute nicht so wichtig ist
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Ed Sheeran, 31, hat vor einem Londoner Gericht bestritten, seinen grossten Hit >>Shape of You<< geklaut zu haben. Die Songschreiber Sami Chokri und Ross O’Donoghue werfen ihm das vor. >>Shape of You<>Oh Why<>Oh Why<>Wo haben Sie das her?<<, fragte Sheeran sichtlich irritiert. Sheerans Anwalt erklarte, es sei versehentlich ein falscher Computerordner geoffnet worden. Die Urheberrechtsfrage wurde vor Gericht noch nicht geklart. Entscheiden Sie selbst: Hier finden Sie den Song von Ed Sheeran und zum Vergleich den Song der Klagerseite.
Tippfehler des Tages, inzwischen korrigiert: Demnach soll der Stromkostenaufschlag nach dem Erneuerbare-Energien-Gesetz zum Ausbau des Okostroms bereits sechs Monate fruher als ursprunglich geplant, um Unternehmen und Verbraucher zu entlasten, die unter den sprunghaft gestiegenen Energiepreisen leiden.
Cartoon des Tages: Spritsparen
Foto:
Thomas Plassmann
Und heute Abend?
Wann waren Sie das letzte Mal auswarts essen? In der Coronazeit sind Restaurantbesuche leider aus der Mode gekommen. Und jetzt stellen wir fest: Herrje, das nette Bistro um die Ecke hat zugemacht. Und bei unserem fruheren Lieblingsitaliener brennt auch kein Licht mehr.
Sollten Sie uber ein gutes Einkommen verfugen: Der >>Guide Michelin<>Vendome<>Schanz Restaurant<< in Piesport an der Mosel den dritten Stern hinzu.
Mein Kollege Hannes Finkbeiner hat kurzlich beschrieben, was mit Kochen passiert, die einen Stern verlieren. Etwa Nils Henkel, dem ehemaligen Chef im Schlosshotel Lerbach. An einem Abend im November 2011 wurde ihm mitgeteilt, dass sein Gourmetrestaurant nur mit zwei statt drei Sternen gefuhrt werde. >>Ich bin zuruck in die Kuche und habe versucht, mir nichts anmerken zu lassen<>Ich wollte mich verstecken, fuhlte mich wie ein Verlierer.<<
Spater erkochte sich Henkel in einem anderen Restaurant wieder zwei Sterne. Seit vorletztem Jahr ist er Kuchenleiter des Restaurants Bootshaus in Bingen, hier serviert er Gutburgerliches, auch raffinierte Gemusegerichte. Hannes schreibt: >>Einen Stern hat das Lokal nicht, aber die Medien und Kritiker sind voll des Lobes. Manchmal genugt es also auch, einfach nur gut zu kochen.<<
Gehen Sie doch auch mal wieder auswarts essen.
Ich wunsche Ihnen guten Appetit und einen schonen Abend,
herzlich
Ihr Alexander Neubacher
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