g in der Ukraine: Interview mit Litauens Aussenminister Gabrielius Landsbergis //
Litauen hat sich in der Energiepolitik langst von Russland, dem gefurchteten Nachbarn, unabhangig gemacht. Aussenminister Gabrielius Landsbergis stellt nun sehr konkrete Forderungen an Deutschland.
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SPIEGEL: Herr Aussenminister, Deutschland liefert Waffen an die Ukraine, hat die Gaspipeline Nord Stream 2 gestoppt und will militarisch aufrusten. Uberrascht Sie dieser Wandel?
Landsbergis: Ich bin Anfang Januar vor einem Treffen der EU-Aussenminister gefragt worden, was meine Botschaft an die deutsche Regierung ist. Damals haben wir uber Waffenlieferungen an die Ukraine vor einem moglichen russischen Angriff diskutiert. Ich habe gesagt, dass man einer neuen Regierung etwas Zeit geben sollte.
Gabrielius Landsbergis, Jahrgang 1982, ist seit Dezember 2020 Aussenminister Litauens. Er war zwei Jahre lang Abgeordneter im Europaischen Parlament. Der Vorsitzende der konservativen TS-LKD ist Verfechter eines harten Kurses gegenuber autokratischen Regimen wie Russland oder China.
SPIEGEL: Warum dachten Sie, die Bundesregierung brauchte Zeit?
Landsbergis: Um sich auf die vollkommen veranderte Realitat einzustellen. Das Erbe Angela Merkels, all die strategischen Entscheidungen der Vergangenheit, passten nicht mehr zu der neuen Lage. Aber es dauert eben, bis ein so grosses Land wie Deutschland sich umstellt. Aber schauen Sie sich das Ergebnis an: 100 Milliarden fur die Bundeswehr, mehr als zwei Prozent des Bruttoinlandsprodukts – das hat selbst Donald Trump nicht geschafft.
SPIEGEL: Reicht das angesichts der Herausforderungen, die noch bevorstehen?
Landsbergis: Es ist ein enormer Wandel, den wir sehen, auch in anderen europaischen Landern. Das hat viel mit dem Druck der Offentlichkeit zu tun. Ich glaube, es wird noch weitere Veranderungen geben.
SPIEGEL: An welche denken Sie konkret?
Landsbergis: Wollen wir wirklich weiter Ol und Gas aus Russland kaufen, um Putin zu finanzieren? Und dann einfach sagen: Wir konnen nicht mehr tun? Menschen werden abgeschlachtet, Millionen sind obdachlos. Es ist unmoglich, weiterhin so zu argumentieren.
SPIEGEL: Energiesanktionen sollten also der nachste Schritt sein?
Landsbergis: Ja, als Nachstes sollte Ol auf der Tagesordnung stehen. Es ist fur Putin eine riesige Geldquelle, deutlich wichtiger als Gas. Und es ist leichter zu ersetzen. Es gibt mehr Infrastruktur, Oltanks, Lander, die es produzieren. Es gibt einen grosseren weltweiten Markt, es ist also leichter, Ol von anderen Produzenten zu kaufen.
SPIEGEL: Deutschland spricht sich bislang gegen einen Importstopp fur russische Energie aus.
Landsbergis: Ich glaube, dass um die deutsche Position noch gerungen wird. Die Bundesregierung pruft die Auswirkungen, die ein solcher Schritt auf den Haushalt, die Wirtschaft, die Preise, aber auch auf die offentliche Wahrnehmung hatte. Wir haben in Berlin beachtliche Proteste gegen den Krieg erlebt. So etwas hat es seit sehr langer Zeit nicht mehr gegeben, und das wird die Bundesregierung berucksichtigen.
SPIEGEL: Ist es an der Zeit, dass Deutschland die selbst reklamierte Fuhrungsrolle in der EU wahrnimmt?
Landsbergis: Deutschland hat alle Instrumente, um Europa im Kampf fur die Ukraine und gegen die russische Aggression zu fuhren: eine starke politische Fuhrung, okonomische Macht, gute diplomatische Verbindungen. Was jetzt gebraucht wird, ist eine wirklich klare Position. Wenn die fehlt, dann ist es schwieriger, politisch zu fuhren.
SPIEGEL: Deutschland ist starker als die meisten anderen europaischen Lander von russischen Energielieferungen abhangig.
Landsbergis: Westliche Lander haben in der Vergangenheit gezeigt, was man in sehr kurzer Zeit erreichen kann, wenn es notig ist. Nehmen Sie den japanischen Angriff auf Pearl Harbor im Jahr 1941. Die Industrie in den USA hat sich schnell an die neuen Erfordernisse angepasst. Das hat den Amerikanern geholfen, den Krieg zu gewinnen. Das hat eine neue Realitat geschaffen, die unter anderem zur Grundung der Europaischen Union gefuhrt und uns am Ende die Unabhangigkeit gebracht hat. Diese Entschlossenheit brauchen wir heute, wenn es um Energie geht. Lander wie Deutschland, Japan, die USA, Frankreich und Grossbritannien konnen, wenn sie wollen, in kurzer Zeit enorme Veranderungen bewaltigen.
SPIEGEL: Derzeit ist die Solidaritat mit der Ukraine gross. Aber was passiert, wenn die Energiekosten immer weiter steigen, zu einer Zeit, in der das Leben ohnehin teurer wird? Dann konnte die offentliche Stimmung schnell kippen.
Landsbergis: Ich habe den Eindruck, es gibt bei manchen immer noch das Gefuhl, dass der Krieg bald beendet ist und dass die Kosten fur uns vertretbar bleiben werden. Aber die Zeit vor dem 24. Februar, dem Tag des russischen Angriffs, ist unwiderruflich vorbei. Wir mussen uns klarmachen, dass wir in einer neuen Wirklichkeit leben. Es kommt jetzt darauf an, dass wir diese neue Lage massgeblich gestalten, nicht Putin. Dabei ist Zeit ein Faktor, wir mussen schnell handeln.
SPIEGEL: Die Bundesregierung hat sich vorgenommen, bis zum Jahr 2030 eine echte Wende in der Energiepolitik einzuleiten. Das wird schwierig genug.
Landsbergis: Ich glaube nicht, dass wir so viel Zeit haben.
Foto: Olivie Douliery / dpa
SPIEGEL: Deutschland ist seit dem Zweiten Weltkrieg ein Land mit einer pazifistischen Grundhaltung. Selbst wenn die Bundesregierung eine 180-Grad-Wende vollzogen hat, heisst das nicht, dass die Bevolkerung ihr folgt.
Landsbergis: Das ist ein Prozess, und der bedarf der politischen Fuhrung. Wir haben hier in Litauen, naturlich in viel kleinerem Massstab, im Jahr 2008 unsere Energiepolitik umgekrempelt. Die damalige konservative Regierung war der Auffassung, dass unsere Energieabhangigkeit von Russland gefahrlich ist. Also haben wir ein Terminal fur Flussiggas gebaut, um Gas aus anderen Landern beziehen zu konnen. Das war hochst umstritten und ein gewaltiger politischer und finanzieller Kraftakt. Im Ruckblick war es eine der besten Entscheidungen, die wir je getroffen haben.
SPIEGEL: Hat jemals ein Mitglied der Bundesregierung zu Ihnen gesagt: Sie hatten recht?
Landsbergis: (lacht) Lassen Sie uns nicht daruber reden, was geschehen ist, sondern daruber, was geschehen muss. Wir haben eigene Ideen. Vielleicht sollten sich einige die Frage stellen, ob es nicht an der Zeit ist, auf die Balten zu horen.
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