Ein Ursprung der Grünen ist die Friedensbewegung – umso erstaunlicher ist, dass es trotz des Kurswechsels der Bundesregierung in der Verteidigungspolitik bislang ziemlich ruhig in der Partei war. Diese Phase ist nun anscheinend beendet.
In der Nacht zu Mittwoch haben Mitglieder der »Unabhängigen Grünen Linken«, einer Basisgruppierung innerhalb der Grünen, nach SPIEGEL-Informationen einen offenen Brief an die Parteivorsitzenden Ricarda Lang und Omid Nouripour, die stellvertretende Parteivorsitzende Pegah Edalatian sowie Außenministerin Annalena Baerbock und Wirtschaftsminister Robert Habeck geschickt. Darin fordern sie das Ende der Waffenlieferungen an die Ukraine.
»Wir bitten Euch eindringlich, KEINE WAFFENLIEFERUNGEN IN DIE UKRAINE, VERHANDLUNGEN ZUR DEESKALATION SOFORT«, heißt es in dem Brief. Die Verfasser verurteilten den völkerrechtswidrigen Militärangriff auf die Ukraine »aufs Schärfste«. Dennoch sähen sie »eine diplomatische Lösung immer noch als die einzig mögliche«, es müsse über »einen sofortigen Waffenstillstand« verhandelt werden.
AdvertisementDie Grünen in der Regierung nährten mit den Waffenlieferungen den Glauben von »westlich orientierten Menschen in der Ukraine«, sie hätten »eine militärische Chance gegen Russland«. Dabei würden Probleme ausgeblendet, etwa, was geschehe, wenn Angriffe auf Waffentransporte erfolgten.
Regierung hat Kurswechsel vollzogen
Noch bis vor wenigen Wochen hatten sich auch führende Grüne gegen Waffenlieferungen an die Ukraine ausgesprochen. »Die Haltung der deutschen Bundesregierung mit Blick auf Waffenlieferungen, und zwar mit Blick auf eine restriktive Rüstungsexportpolitik« sei auch in der deutschen Geschichte begründet, erklärte Baerbock bei einem Besuch in Kiew vor wenigen Wochen.
Am Samstag entschied sich die Bundesregierung, doch Waffen ins Kriegsgebiet zu liefern, zunächst 1000 Panzerabwehrwaffen sowie 500 Boden-Luft-Raketen vom Typ »Stinger« – inzwischen sind diese in der Ukraine eingetroffen. Am Sonntag erläuterte Kanzler Olaf Scholz im Bundestag in einer Regierungserklärung den neuen Kurs. (Lesen Sie hier eine Rekonstruktion, wie es zu der neuen Verteidigungspolitik kam.)
Außenministerin Baerbock begründete ihren Kurswechsel im Bundestag so: »Wir haben es bis zur letzten Minute mit Diplomatie versucht. Der Kreml hat uns hingehalten, belogen und sich all dem verweigert, wofür wir bisher als Europäerinnen und Europäer eingestanden haben. Putin wollte diesen Krieg«, sagte sie.
Die Verfasser des Briefs widersprechen dem nicht. Trotzdem schreiben sie: »Wer jetzt Waffen liefert, füttert diesen wahnsinnigen Krieg.« Sie fordern die Bundesregierung auf, die Ukraine und Russland zu Verhandlungen zu bewegen. »Die Ukraine ist nicht allein, die Weltgemeinschaft wird sich für einen Fortbestand der Ukraine nach einem Waffenstillstand einsetzen«, schreiben sie. Der Brief hat bislang nach SPIEGEL-Informationen 75 Unterzeichner und Unterzeichnerinnen.